Blog
03
09
2014

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

ISTAF 2014 – Feuersäulen und ein Hammer – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Nicht nur die Begeisterung der 46.000 Zuschauer schlug Antje Möldner-Schmidt entgegen im Olympiastadion von Berlin. Als die Europameisterin von Zürich am Ende des Hindernislaufes über 3000 Meter zum fünften Platz spurtete, gut sieben Sekunden hinter der Junioren-Weltmeisterin Ruth Jebet aus Bahrein (9:26,94 Minuten), stiegen Feuerstöße auf im Ziel.

„Das Publikum war überwältigend“, sagte Antje Möldner-Schmidt. „Aber die Flammen habe ich gar nicht mitgekriegt.“ Sie hatte sich darauf konzentriert, das zweitschnellste Rennen ihrer Saison zu laufen. Auch so kann man Feuer und Flamme sein für Leichtathletik.
 
Die Welt hat sich verändert für die Läuferin aus Cottbus. „Man bekommt viel, viel mehr Jubel als früher“, sagte sie im Olympiastadion. „Und bei der deutschen Hymne hätte ich heulen können.“ Dabei sei der Erfolg von Zürich immer noch ein wenig unwirklich, verrät sie. Am Schlusstag der Europameisterschaften vor vierzehn Tagen war sie überraschend zum Titel gespurtet und hatte sich im Ziel gefragt: „Habe ich gerade Gold gewonnen?“

Seitdem ist das öffentliche Interesse auf die dreißigjährige Polizeiobermeisterin aus Cottbus eingestürzt, wie sie es noch nie erlebte. „Das Leben ist turbulenter geworden“, sagt sie. „Ich muss lernen, damit umzugehen, damit der Kopf nicht platzt.“

Ihre Goldmedaille, eine von vier, die deutsche Athleten gewannen, brachte das Istaf dazu, kurzfristig den Hindernislauf ins Programm für den Sonntagnachmittag aufzunehmen und Antje Möldner auf der Titelseite des Programmheftes abzubilden. Sie verlängerte im Gegenzug ihre Saison um zwei Wochen.

Wlodarczyk entreißt Heidler den Weltrekord

Diskus-Europameister Robert Harting dagegen genoss das Feuerwerk, das er mit seinen Würfen im Innenfeld auslöste. Und ganz besonders den fünften Sieg beim Istaf in Folge – mit der glänzenden Weite von 68,21 Meter.

Martin Seeber, der neue Sportdirektor, hatte das Istaf 3.0 ausgerufen. Noch knackiger solle es werden, versprach er, was bedeutet: konzentriert, kürzer und spektakulärer präsentiert.

Zwei Fach-Moderatoren und eine Rampensau für Interviews im Innenraum hatte er dafür verpflichtet, die Musik wurde praktisch gar nicht mehr ausgeblendet. Das Programm war – bis zur Verpflichtung von Antje Möldner-Schmidt – auf fünfzehn Wettbewerbe und zweieinhalb Stunden Dauer konzentriert. Die Präsenz aller deutschen Leichtathleten mit Rang und Namen war allerdings auch Pflicht.

So kam es, dass beim Istaf, das aus dem Olympiastadion mit seiner blauen Bahn das Zukunftslabor der Leichtathletik machen will, auch Betty Heidler und nicht zuletzt Europameisterin Anita Wlodarczyk den schönen Rasen mit ihren Eisenkugeln bombardierten.

Mit einem besonderen Knalleffekt: Die Polin schleuderte das vier Kilo schwere Gerät auf 79,58 Meter – Weltrekord. Und Betty Heidler war ihre drei Jahre alte Weltbestmarke (79,42 Meter) los.

Das war eine willkommene Zugabe für das Istaf, das zeigte, wie schwierig Innovation bei einem Sportfest ist. An der Diamond League will das Istaf, um weiter freie Hand zu haben, auch in Zukunft nicht teilnehmen. Die Veranstaltungsreihe, die als Champions League der Leichtathletik gilt, ist den Berlinern zu starr; sie reagieren lieber auf Erfolge deutscher Athleten und halten an Bewährtem fest – Robert Harting startet nicht nur Jahr für Jahr im Sommer, im vergangenen Winter war er sogar Mittelpunkt eines Hallen-Istaf.

Auch von den Athleten wird Flexibilität erwartet.
Shanice Craft, die in Zürich die Bronzemedaille im Diskuswerfen gewann, wurde kurzerhand zum Kugelstoßen verpflichtet – „um im Olympiastadion starten zu können, lasse ich auch mal meinen Diskus zu Hause“, sagte sie. Mit 17,06 Meter schloss sie ihren ersten Wettkampf in dieser Disziplin seit der deutschen Meisterschaft auf dem Platz vor dem Ulmer Münster auf Platz fünf ab, fast zweieinhalb Meter hinter Europameisterin Christina Schwanitz (19,53).

„Schön, dass wir so im Mittelpunkt gestanden haben“, freute sich diese, und die Ulmerin Craft beteiligte sich gern an der Weiterentwicklung des Sportfestes: „Die Feuersäulen könnte man im nächsten Jahr vielleicht auch bei uns einführen.“

„Ich finde gut, dass das Istaf das Zepter selbst in der Hand hält“, sagte Antje Möldner. „So kann es eigene Varianten ausprobieren.“
Genau wie sie. Als mehrmalige deutsche Meisterin über 1500 Meter merkte sie während der Saison 2007, dass ihre Leistungen rückläufig seien. Sie übersprang Hindernisse, imitierte auf einer Wiese den Sprung über den Wassergraben – und wechselte, bei einer Körpergröße von 1,73 Meter und guter Technik, in die gerade erst für Frauen bei Olympischen Spielen ausgeschriebene Disziplin. „Das war eine strategische Entscheidung“, sagt sie.

Nicht nur sportlich hat sich die Kämpferin neu erfunden. Eine Erkrankung an Lymphdrüsenkrebs überstand sie 2010, im Jahr darauf gab sie tränenreich ihr Comeback. Doch jetzt erst scheint die Krankheit gebannt. „Früher konnte ich den Krebs nicht beim Namen nennen“, sagt sie. „In diesem Jahr habe ich die Kraft, darüber zu sprechen.“

 

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 31.8.2014

 

 

Themengleich:

 

 

Wieder absolute Weltklasse beim ISTAF am Start: 9 Olympiasieger, 15 Welt- und 15 Europameister!

 

ISTAF BERLIN 2014 – Zehn Europameister von Zürich, sieben Weltmeister, zwei Weltrekordhalter und ein Nackt-Jubler beim ISTAF

 

ISTAF Berlin 2014 – Kugelstoßen und 3000m Hindernis neu beim ISTAF: Deutsches Gold-Quartett von Zürich in Berlin komplett!

author: GRR

Comment
0

Leave a reply