Irina Mikitenko vor ihrem London-Rennen: „Ohne Konkurrenz wäre es langweilig“
Irina Mikitenko (SC Gelnhausen) startet am Sonntag beim Virgin London-Marathon, den sie 2008 und 2009 jeweils gewann. Im vergangenen Jahr zwang sie eine Verletzung zur Aufgabe des Rennens. Die 38-jährige deutsche Marathon-Rekordlerin (2:19:19 Stunden) trifft an der Themse auf ein hochkarätiges Feld. Irina Mikitenko gab das folgende Interview:
Beim Virgin London-Marathon haben Sie 2008 und 2009 die größten Siege Ihrer Karriere gefeiert. Im vergangenen Jahr mussten Sie das Rennen dann verletzungsbedingt aufgeben. Mit welchen Gefühlen und Gedanken werden Sie nach London reisen?
Irina Mikitenko: Ich fahre mit einem positiven Gefühl nach London. Dort habe ich 2008 meinen ersten Marathon gewonnen und das ist ein ganz besonderes Ereignis, das man nicht vergisst. Der Virgin London-Marathon ist eines der bedeutendsten und wichtigsten Marathonrennen. Wer sich für einen Start dort entscheidet, muss sehr, sehr hart trainieren, um eine Chance zu haben. Das Starterfeld ist extrem stark. Aber was wäre unser Sport ohne Konkurrenz? Es wäre langweilig. Deswegen macht es mir auch sehr viel Spaß und ich freue mich darauf, wieder in London zu laufen. Es ist ein tolles Rennen.
Sie haben zwei Wochen vor dem Marathon ein 10-km-Rennen im holländischen Brunssum gewonnen. Gibt Ihnen das eine gewisse Sicherheit?
Irina Mikitenko: Ich bin im Nachhinein froh, dass ich direkt nach meinem Trainingslager in Südafrika dort gelaufen bin. Denn du kannst so gut trainiert haben wie du willst – ein Wettkampf ist immer noch etwas anderes. Wenn ein solches Rennen wie am Sonntag erfolgreich ist, bekommt man das Gefühl, dass man stark ist und dass es rollt. Jetzt muss ich in den letzten zwei Wochen aufpassen, dass ich mich nicht erkälte und nichts dazwischen kommt.
Wie stark beeinträchtigt das Ihren Alltag? Machen Sie sich ständig Gedanken, was passieren könnte?
Irina Mikitenko: Es kann wirklich passieren, dass man plötzlich sehr genau aufpasst, wenn man zum Beispiel eine Treppe hinunter geht. Aber da wir jetzt dreieinhalb Wochen im Trainingslager waren, haben sich zu Hause einige Dinge aufgestaut, die erledigt werden müssen. Dadurch bin ich ganz gut abgelenkt.
Wie war das Rennen in Brunssum verglichen zu Ihren Wettkämpfen im schwierigen Jahr 2010?
Irina Mikitenko: Wenn man sich im Frühjahr eine Verletzung zuzieht, wie mir das 2010 passiert ist, dann dauert es sehr lange, bis man wieder in Form kommt. Beim Chicago-Marathon bin ich im Herbst aufgrund einer Erkältung auch nicht so gut ins Rennen gekommen. Aber so etwas gehört zum Sport und ich will gar nicht mehr so viel zurückdenken und vergleichen. Jetzt ist 2011 und ein neues Wettkampfjahr hat begonnen. Ich habe schon im Training gemerkt, dass es gut läuft und dieses Gefühl hat sich in Brunssum bestätigt. Natürlich sind aber 10 km und Marathon zwei völlig verschiedene Strecken. Entscheidend ist, was am 17. April in London passiert.
Der Londoner Race-Direktor David Bedford spricht vom besten Frauen-Feld in der Geschichte seines Rennens. Wie bewerten Sie die Konkurrenz und mit welchen Zielen gehen Sie an den Start?
Irina Mikitenko: Die Konkurrenz ist in der Tat so stark, dass ich mir die Startlisten eigentlich gar nicht erst anschauen bräuchte. Es sind viele Athletinnen dabei, die sehr schwer zu schlagen sind. Mindestens zehn Läuferinnen haben Siegchancen. Ich bin mir nicht sicher, welcher Lauf besser besetzt ist – der in London oder das WM-Rennen im Sommer in Daegu. London ist auch vom Rennablauf wie ein Meisterschaftsrennen. Der Kampf Frau gegen Frau entscheidet. Angesichts der enorm starken Konkurrenz setze ich mir keine konkreten Ziele. Aufgrund der Konstellation mit dieser enorm starken Konkurrenz geht es für mich darum, am Tag X vollkommen fit zu sein und alles geben zu können. Dann werden wir sehen, was herauskommt.
Gibt es eine bestimmte Taktik, mit der Sie in dieses Rennen gehen?
Irina Mikitenko: Natürlich nimmt man sich vor dem Start etwas vor, aber man darf sich bei einem solchen Marathon nicht festlegen. Denn es kann schnell alles über den Haufen geworfen werden, zum Beispiel durch das Wetter oder durch ein anderes Tempo. In London musst du als Topläuferin alles alleine entscheiden und auf alles vorbereitet sein.
Sie waren zuletzt dreieinhalb Wochen im Trainingslager in Südafrika. Es war das erste Mal, dass Sie dort trainierten. Wie war das?
Irina Mikitenko: Als wir dort in Potchefstroom, rund eineinhalb Stunden von Johannesburg ankamen, bekamen wir erst einmal einen Schreck wegen der Hitze. Ich habe mich gefragt, wie ich dort bei über 30 Grad Celsius 200 Kilometer pro Woche rennen soll. Wir haben es dann gemacht wie die Afrikaner und es hat ganz gut funktioniert. Ich bin früh morgens und am Abend gelaufen und habe die zweite Trainingseinheit sogar besser vertragen als sonst im Höhentraining. Das hatte sicher damit zu tun, dass ich nach dem morgendlichen Training eine längere Regenerationszeit hatte. Hilfreich war, dass am Anfang auch Claudia Dreher dort war und uns einiges zeigen konnte. Außerdem trainierten die Geher mit Ronald Weigel dort. Es war schön, während des Trainings bekannte Gesichter zu treffen.
Zu welchen Zeiten und in welchen Höhen sind Sie gelaufen?
Irina Mikitenko: Ich habe morgens um 7 Uhr für zwei bis zweieinhalb Stunden trainiert und dann noch einmal bis zu zwei Stunden ab 17.30 Uhr. Gelaufen bin ich in Höhen zwischen 1.350 und 1.500 Metern. Das ist nicht so hoch wie sonst in St. Moritz. Ich werde nach London wissen, ob die Höhe ausreichend war.
Gibt es manchmal Phasen, in denen Sie sich fragen, warum Sie sich ein derart hartes Training mit 38 Jahren noch antun müssen? Wie lange wollen Sie noch laufen?
Irina Mikitenko: Solche Phasen gibt es nach Verletzungen. Dann frage ich mich schon mal, was soll das, wofür dieser ganze Aufwand? Aber meine Familie steht voll hinter mir und gibt mir immer wieder Rückhalt. Und dann gibt es auch wieder neue Reize und Ziele. Natürlich ist der olympische Marathon 2012 in London ein großes Ziel. Doch abgesehen davon denke ich immer nur an das nächste große Ziel und plane Schritt für Schritt. Ich plane mit 38 Jahren nicht mehr langfristig, überlege aber daher auch nicht, wie lange ich noch laufen werde. Zurzeit kann ich mir ein Leben ohne meinen Sport nicht vorstellen.
Sind die London-Starts für Sie ein Vorteil für Olympia?
Irina Mikitenko: Sicherlich, das ist eine sehr gute Vorbereitung. Ich kenne die Atmosphäre, das Wetter, die Strecke, die Menschen, die Trainingsstrecken und es gibt inzwischen einige Kontakte in London.