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2009

Der Wettbewerb, für den sie als Favoritin galt, wird für das Fernsehpublikum in Fernost in der Mittagshitze ausgetragen.

Irina Mikitenko – Das Schicksal schlägt zu – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

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09. August 2009 „Ich will einmal einen Marathon laufen, bei dem ich im Ziel weiß, dass ich alles gegeben habe.“ Mit solchen Sätzen verblüfft das nur 1,62 Meter große und 48 Kilogramm schwere Energiebündel Irina Mikitenko immer wieder. Bei der WM in Berlin hätte sie alles geben wollen, am Samstag in einer Woche. An dem Tag wird sie 37 Jahre alt werden, und an dem Tag wird der Marathon der Frauen ausgetragen.

Der Wettbewerb, für den sie als Favoritin galt, wird für das Fernsehpublikum in Fernost in der Mittagshitze ausgetragen.

Doch aus ihrer Teilnahme, aus dem von ihr erwarteten Sieg wird nichts werden. Am Samstag sagte die Läuferin, die 1996 aus Kasachstan nach Deutschland kam und in den vergangenen zwei Jahren zur erfolgreichsten Marathonläuferin der Welt wurde, ihre Teilnahme ab. Sichtlich mitgenommen teilte Jürgen Mallow, der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, beim Sportfest in Cottbus am Samstag mit, durch den Tod des Vaters von Irina Mikitenko vor zwei Wochen sei es der Athletin nicht möglich gewesen, so konzentriert zu trainieren, wie das die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft verlange.

„Irina Mikitenko wird nicht starten können“, sagte er. „Das schwächt unsere Position natürlich erheblich.“ Die Internetseite der Läuferin, auf der sie vom ersten ihrer beiden Höhentrainingslager in der Schweiz berichtet, ist offensichtlich seit gut sechs Wochen nicht mehr aktualisiert worden.
 
Sie konnte nicht so konzentriert trainieren, wie es die Vorbereitung auf die WM verlangt

Irina Mikitenko lebt in Freigericht in Hessen, ihre Eltern wohnen in der Nähe. Zuletzt hielt sie sich zum Höhentraining in St. Moritz auf. Ihre Siege im Marathon sind auch Erfolge des Familienunternehmens Mikitenko: Ehemann Alexander, bis vor kurzem Schichtarbeiter in einem metallverarbeitenden Betrieb, ist ihr Trainer und Manager. Sohn Alexander, ein begeisterter Fußballspieler, begleitet sie auf dem Fahrrad bei Trainingsläufen in den Wäldern Hessens.

Reiste sie, hüteten ihre Eltern den Sohn und die kleine Tochter. Schwiegervater Leonid Mikitenko – 1968 als Langstreckenläufer im Olympiateam der Sowjetunion in Mexiko-Stadt und heute Triathlon-Trainer – half gemeinsam mit seiner Frau bei der Vorbereitung von Trainingslagern am 1700 Meter hoch gelegenen Issikul-See in Kirgistan.

Zum zweiten Mal gewann Irina Mikitenko im April den London-Marathon. In Berlin war sie im Vorjahr in 2:19:19 Stunden – ohne sich zu verausgaben – persönliche Bestzeit und deutschen Rekord gelaufen. Damit hatte sie auch die mit einer halben Million Dollar dotierte Jahreswertung der World Marathon Majors gewonnen. Von 3000 Meter über zehn Kilometer auf der Straße bis zu den 42,195 Kilometern des Marathons hält sie die deutschen Rekorde.
 
Schon ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen in Peking scheiterte. Ein Beckenschiefstand, der überraschend im Vorbereitungstrainingslager in Japan auftrat, zwang sie unverrichteter Dinge zur Heimreise. Nun wird es wieder nichts mit dem Start im deutschen Team.

Das deutsche Nationaltrikot trägt Irina Mikitenko demonstrativ bei ihren Straßenläufen – womöglich bereits im September wieder beim Berlin-Marathon.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Sonntag, dem 9.August 2009

author: GRR

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