Werner Sonntag als Autor ist der erfahrene und gern gesehene Streckenposten, der uns kundig und unaufhörlich durch die Bieler Nacht begleitet. Er erklärt uns das unverwechselbare „Profil“. Er lässt uns quasi über seine Schulter, aber nicht zu sehr in sich hineinschauen
Irgendwann musst du die Bieler Nächte lesen! – Werner Sonntag mit „summa cum laude“- Prof. Dr. Detlef Kuhlmann über das neue Buch von Werner Sonntag
Werner Sonntag ist am 22. Juni 82 Jahre alt geworden. Werner Sonntag hat sich selbst ein wunderbares Geburtstagsgeschenk gemacht. Er hat ein Buch geschrieben: Nach „Irgendwann musst du nach Biel“ vor genau 30 Jahren ist „Bieler Juni-Nächte“ nun schon das zweite von ihm über diese „Mutter“ des Ultralangstreckenlaufes in Europa.
Das grandiose Buch von Werner Sonntag, dem Nestor der Laufliteratur in Deutschland, trägt den bescheidenen Untertitel „Facetten eines Laufjubiläums“. Damit wird einerseits angezeigt, dass die Bieler Juni-Nächte selbst in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden ist, andererseits deutet der Begriff Facetten ziemlich unaufdringlich an, was dem Autor auf den 156 Seiten und 66 bunten Fotos glänzend gelingt, nämlich viele verschiedene Eindrücke von diesen Bieler Juni-Nächten aus fünf Jahr-zehnten erhellend zu präsentieren.
Werner Sonntag, der selbst 1966 auf ärztlichen Rat zum Laufen kam und seitdem zum andauernden Volksläufer generell und zum ausdauernden Ult-ralangstreckenläufer speziell avancierte, hat selbst erstmals im Jahre 1972 am 100-Kilometer-Lauf von Biel teilgenommen und es bis zum Erscheinen seines Buches auf 32 (!) Teilnahmen dort gebracht. So gesehen kann das Werk per se als eine Chronik des Laufes, aber auch als eine Teil-Biografie des Autors selbst gelten. Das originelle Werk will jedoch mehr noch „Ein Ratgeber für Erststarter“ sein. So steht es jedenfalls ganz unten auf der Coverseite.
Inwiefern das Buch tatsächlich diese laufpädagogische Funktion zu erfüllen in der Lage ist, kann eigentlich nur im späteren Selbstversuch verlässlich bestätigt werden oder nicht – aber: Alle, die schon mal in Biel dabei waren, und alle, die niemals vorhaben, dort an den Start zum Lauf durch die Nacht (Start ist immer um 22 Uhr) zu gehen – sie alle werden dieses ebenso informative wie unterhaltsame Buch nicht nur „in einem Atemzug“ durchblättern … mehr noch und dies: Wer das Buch „richtig“ zu lesen beginnt, der wird sogleich die Höhen und Tiefen des Laufes kennen lernen, also schon mal mental die Stationen durchlaufen und die Strapazen durchleiden.
Werner Sonntag als Autor ist der erfahrene und gern gesehene Streckenposten, der uns kundig und unaufhörlich durch die Bieler Nacht begleitet. Er erklärt uns das unverwechselbare „Profil“. Er lässt uns quasi über seine Schulter, aber nicht zu sehr in sich hineinschauen, wie dies bei seinem Erstling „Irgendwann mußt Du nach Biel“ noch der Fall war, wo er den olympischen Dreiklang „schneller, höher, weiter“ mit der Dimension „tiefer“ für Biel erweitert hatte, weil er selbst mit jedem Kilometer immer weiter „nach innen“ lief.
In den neuen Bieler Juni-Nächten schlüpft Werner Sonntag mehr in die Rolle des kompetenten Biel-Historikers, der aber auch die „nächtliche“ Atmosphäre authentisch zu schildern in der Lage ist, der einfühlsam beobachtet und genauestens berichtet, der bis in das kleinste Detail über alle und alles Bescheid weiß, ohne zu belehren und ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren.
Die verschiedenen Facetten sind vorn im Inhaltsverzeichnis in 13 Ein-Wort-Überschriften angekündigt: Der Verfasser beginnt mit der Bedeutung („Was hat den 100-Kilometer-Lauf von Biel so einzigartig gemacht?“), nennt die (Sieger-)Namen und (Sieger-)Zeiten („In 37 Jahren von 13:45 auf 6:37:59 Stunden“), spart weder das Wetter („Von 4 bis 34 Grad ist alles möglich“) noch Unvorhergesehenes („Was alles passiert ist“) aus und endet schließlich mit den Emotionen („Biel lässt keinen unberührt“).
Wer sich wirklich mit dem Gedanken trägt, einen 100-Klometer-Lauf bzw. speziell den in Biel anzugehen, der findet im Kapitel zum Training zu allererst den reichlich ernüchternden Hinweis „Für 100 Kilometer gibt es kein Patentrezept“ (Unterüberschrift des Kapitels), sodann aber die bewährte schöne Sonntags-Weisheit für die empfohlene neunmonatige intensive Vorbereitungszeit: „Wichtiger als Trainingsfortschritte scheint mir zu sein, sich dauerhaft die Freude an der Leistung zu erhalten“.
Und was die zu erwartende Leistung beim 100-Kilometer-Lauf anbelangt, gilt auch für Sonntag die alte Faustregel: die persönliche Marathonzeit verdreifachen. Dennoch ist grundsätzlich Vorsicht angesagt, und das primäre Trainingsprinzip („Wöchentlich eine längere Trainingseinheit“) muss genauso eingehalten werden wie speziell für Biel das sekundäre – nämlich: „Einmal nachts laufen“!
Ein erstes vorsichtiges Fazit: Werner Sonntag hat dem Bieler Lauf – ohne Wenn und Aber – einen literarischen Stempel aufgedrückt. Er hat die Messlatte hoch gesetzt für alle anderen großen Läufe, die nun in die Jahre kommen und sich gern mit einem solchen Jubiläumswerk schmücken würden. Man kann den Machern solcher Läufe so gesehen nur empfehlen, Werner Sonntag als kompetenten Autor zu gewinnen … und andersherum ist Werner Sonntag zu wünschen, dass er noch viele weitere großartige Bücher besonders über jene Läufe verfasst, die es verdient haben.
Er selbst hat sich nun aber erstmal mit diesem Opus ein „summa cum laude“ verdient – Gratu-lation dazu!
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann
Werner Sonntag: Bieler Juni-Nächte. Facetten eines Laufjubiläums.
Ein Ratgeber für Erststarter. Ostfildern 2008: Verlag Laufen und Leben.
152 S.; 14 €. (Bezug über die Email-Adresse: laufenundleben@t-online.de).