Die Spitzenläuferin über ihr Engagement für den Frieden und die Bedrohung für die Sportler in ihrem Land.
Interview mit Tegla Loroupe – „Dies ist ein Krieg aller in Kenia, die betrogen wurden“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Wir haben mehrfach Beiträge über die Situation in Kenia publiziert und wir verweisen auch auf dem Spendenaufruf zugunsten der Sportler in Kenia – siehe den link am Ende des Beitrags.
Die 34 Jahre alte Tegla Loroupe ist eine der großen kenianischen Läuferinnen. Zwei Mal gewann sie den NewYork Marathon. Drei Mal wurde sie Weltmeisterin im Halbmarathon. Mit der Tegla Loroupe Peace Foundation hat sie vor fünf Jahren in ihrer Heimatstadt Kapenguria den „Peace Run“ begründet. Sie ist Botschafterin der Vereinten Nationen, des Kinderhilfswerkes Unicef, von Oxfam und des Welt-Leichtathletikverbandes IAAF.
Die Spitzenläuferin über ihr Engagement für den Frieden und die Bedrohung für die Sportler in ihrem Land.
Sportler trainieren gemeinsam, reisen gemeinsam, treten gemeinsam für Kenia an. Geben sie damit nicht ein Beispiel für friedliches Zusammenleben?
Wir versuchen es. Aber was sollen wir leisten, wenn sie schon drei Athleten getötet haben! Wir haben drei Athleten verloren!
Wir haben gehört, dass Lucas Sang erschlagen wurde, wir haben gehört, dass Wesley Kimutai Ngetich erschossen wurde, als er vermitteln wollte. Weltmeister Luke Kibet wurde verletzt . . .
Ein dritter Läufer ist getötet worden. Er war nicht bekannt, ein junger Mann. Er trainierte mit Luke Kibet, als ihre Trainingsgruppe angegriffen wurde.
Kibet wurde am Kopf verletzt. Wie geht es ihm?
Luke ist hier in Nairobi. Ihm geht es gut. Ich habe ihn vor zwei Tagen getroffen. Er versucht zu trainieren.
Moses Kiptanui sagt, in einer Situation wie der jetzigen sei es nicht angebracht, zu laufen. Stimmen Sie ihm zu?
New-York Champion Loroupe: „Wie soll man in Ruhe trainieren, wenn Krieg herrscht”
Er hat recht. Außer, man kommt wie ich vom Land. Dort habe ich trainiert. Aber in Nairobi weiß man nicht, wem man morgens begegnet. Man kann nicht allein unterwegs sein zum Training. Man ist nicht mehr so frei wie früher.
Ist nicht Laufen der einzige Weg für viele Kenianer zu Wohlstand und Bildung für sich und ihre Familien?
„Viele sind Flüchtlinge in ihrer eigenen Heimat”
Die Bedingungen sind nicht so, dass sie das erlaubten. Man kann nicht mal von Eldoret nach Nairobi reisen ohne Eskorte.
Wird es ein kenianisches Team geben bei den Olympischen Spielen in Peking?
Wie soll man in Ruhe trainieren, wenn man Angst um die Familie haben muss, weil Krieg herrscht? Freunde in Amerika und in Südafrika haben mir angeboten, mich aus Kenia herauszuholen. Aber ich kann meine Leute nicht verlassen. Als ich nach Nairobi kam, fragten die Politiker: Tegla, wo warst du? Ich hatte Friedensverhandlungen in Uganda und Kenia geführt, und ich habe Lebensmittel von meiner Farm verteilt. Jetzt wird jeder gebraucht, der zum Frieden beitragen kann.
Verlassen die besten Läufer Kenia?
Ich sage ihnen: Ihr könnt gehen, aber ihr müsst wissen, dass unsere Verwandten, unserer Familien und unsere Verpflichtungen zu Hause sind. Man kann nicht zu hundert Prozent weggehen.
Die Geschichte Ihres Lebens, das Ringen um Bildung und Freiheit mit dem Vater, ist das auch die Geschichte dieses Konflikts: der Kampf ungebildeter Männer?
Vielen Jugendlichen fehlt Bildung. Viele Menschen sind arm. Sie werden benutzt. Aber hauptsächlich ist dies ein Krieg aller in Kenia, die betrogen wurden. Die Leute haben um die Wahl gekämpft. Sie haben ihr Recht nicht bekommen. Dies ist ein Kampf für Gerechtigkeit.
Muss Präsident Mwai Kibaki zurücktreten, um Frieden zu schaffen?
Das sagen alle anderen Kenianer, nicht ich. Ich will meine Stimme gegen niemanden erheben. Es ist nicht die Zeit, jemanden zu beschuldigen. Es ist die Zeit, zusammenzukommen und das Problem zu lösen und die Interessen der Kenianer zu retten. Wenn eine Gruppe wirklich betroffen ist, dann sind es die Kinder. Bitte, wir müssen nicht noch mehr Blutvergießen sehen! Die Kinder leiden wirklich. Viele sind Flüchtlinge in ihrer eigenen Heimat.
Sie sind dabei, eine Schule zu bauen, unter anderem mit Spenden aus Deutschland und vom Fürsten von Monaco. Wie steht es darum?
Vierzig Kilometer entfernt von der Schule wird gekämpft. Sie liegt dreißig Kilometer vor der ugandischen Grenze. Die Arbeiter sind zur Wahl nach Hause gegangen. Dort sitzen sie jetzt fest. Daran sieht man: Dieser Konflikt schadet dem Aufbau des Landes.
Sie leben zeitweise in Detmold und im Westerwald. Werden Ihre Projekte weiterhin aus Deutschland unterstützt?
Im Moment funktioniert gar nichts. Aber ich will den deutschen Botschafter treffen. Wir brauchen wirklich Hilfe für die Tegla Loroupe Peace Foundation. Es ist uns kaum möglich, uns zu bewegen und denen zu helfen, die Hilfe brauchen. Bisher habe ich für all das mein eigenes Geld ausgegeben.
Helfen Sie mit, eine Verhandlungslösung zu finden?
Wir haben den ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan getroffen, Oppositionsführer Raila Odinga, den Abgeordneten William Ruto und andere Oppositionspolitiker. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es sind, die unsere Probleme kennen; besser als Kofi Annan. Er ist gekommen, um zu vermitteln; er hört dieser Seite zu und jener. Wir müssen mit den einfachen Leuten reden. Sie haben das Problem in ihren Händen, nicht allein die Politiker. Wir müssen die Leute verstehen lassen, dass unser Land wie Ruanda oder Sierra Leone oder Somalia werden wird, wenn es so weitergeht.
Im November sind beim "Peace Run" im Grenzgebiet zu Uganda 1500 Teilnehmer gestartet, davon 300 Kämpfer. Können diese Erfahrungen zum Friedensprozess beitragen?
Die Leute brauchen ihre Rechte. Wenn man versucht, ihnen etwas von Frieden zu erzählen, antworten sie: Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit. Das macht es uns schwer.
Waren Sie mit Ihren Friedensbemühungen erfolgreich?
Die Flammen schlugen zu hoch. Wenn die Leute kämpfen, kann man sie nicht zurückhalten. Seit fünf Jahren herrschte wirklich Harmonie zwischen den Gemeinschaften im Grenzgebiet zu Uganda. Jetzt zerstören sie alles.
Ist Ihr Engagement für Frieden in Kenia damit hinfällig?
Viele Leute sagen: Wir müssen uns verstehen. Aber sie sagen auch: Wir haben für den Richtigen gekämpft, für Odinga, und jetzt bekommen wir nicht, was wir wollen. Sie sagen: Wir können nicht an Frieden denken, wenn es keine Gerechtigkeit gibt.
Sind Ihnen die Hände gebunden, bis die Politiker sich einig werden?
Es wird immer schwieriger. Wer mit dem Auto fährt, wird angehalten, und dann stecken sie es in Brand. Auf dem Land kennen sie mein Auto, da habe ich keine Schwierigkeiten. In Nairobi brauche ich Wachen, um es zu schützen.
Werden Sie bedroht?
Nein. Aber man muss auf sich aufpassen. Wenn sie andere Athleten töten, wer bin dann ich?
Die Fragen stelle Michael Reinsch
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Freitag, den 8. Februar 2008
Spendenaktion für Kenia – Aufruf zur Hilfe