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16
06
2010

Vor der Mitgliedersammlung eines Landessportbundes muss es aber gestattet sein, den informellen Sport vornehmlich aus der Perspektive - also durch die Brille - des organisierten Sports zu betrachten

Informeller Sport und Vereinssport – Gegensatz oder Ergänzung? Vortrag bei der Mitgliederversammlung des LSB Berlin am 4. Juni 2010 – Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

By GRR 0

1 Einleitung
Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergangen ist, als Sie zum ersten Mal den Titel meines Vortrags gelesen haben: „Informeller Sport und Vereinssport – Ge-gensatz oder Ergänzung?“. Wer soll da wen ergänzen – etwa der Vereinssport den informellen Sport?

Vielleicht haben sich einige auch gewundert über den Titel, weil der Vereinssport doch rein gar nichts mit dem informellen Sport zu tun hat. Andere mögen die Frage „Gegensatz oder Ergänzung?“ für sich gleich eindeutig beantwortet haben … und hoffen nun darauf, dass ich mich ebenso schnell festlege und entweder für „Gegensatz“ oder für „Ergänzung“ plädiere. Der Vortrag wäre gleich wieder beendet. Der parlamentarische Teil Ihrer Mitgliederversammlung könnte beginnen, und wir kämen zeitig zum gemütlichen Teil des Abends. Aber so einfach will ich es uns allen hier und heute dann doch nicht machen …

Was haben Sie nun konkret in den nächsten knapp 30 Minuten von mir zu erwarten? Ich möchte das mir gestellte Vortragsthema schon wörtlich neh-men und Ihnen einige Antwortversuche auf die Frage: „Gegensatz oder Er-gänzung?“ präsentieren. In welche Richtung ich dabei tendiere? Abwarten! Ich werde nach dieser Einleitung zunächst einen Katalog mit Beschrei-bungsmerkmalen für das Sporttreiben allgemein vorstellen. Hierin lassen sich sowohl der Vereinssport als auch der Sport außerhalb verorten. Speziell um den informellen Sport geht es danach im Kap. 3, in dem ich einige Beobachtungen und Befunde vortrage.

Vor der Mitgliedersammlung eines Landessportbundes muss es aber gestattet sein, den informellen Sport vornehmlich aus der Perspektive – also durch die Brille – des organisierten Sports zu betrachten. Deswegen folgen in Kap. 4 einige Herausforderungen, die uns der informelle Sport bietet und denen wir uns möglicherweise zum eigenen Nutzen stellen sollten. Mein Vortrag endet mit einer kurzen Schlussbemer-kung, die dann auch die Auflösung der mir im Titel gestellten Frage enthält.  

2    Wie lässt sich das Sporttreiben generell beschreiben? Einige Bestimmungsstücke

Wie lässt sich unser Sporttreiben allgemein beschreiben? Ich möchte Ihnen ein kleines Beschreibungsraster vorstellen, das dazu dienen kann, das Sporttreiben – egal ob im Verein oder außerhalb – zu „verorten“. Es geht also nicht per se um einen typischen Sportanbieter, sondern mehr um eine Art „sozio-ökologisches Mobile“, mit dessen Hilfe alle möglichen Sportinstanzen mit ihren je speziellen Angeboten lokalisiert werden können. Dieses idealtypische Beschreibungsraster besteht aus acht Komponenten, die jeweils durch Pole gekennzeichnet sind. Das hört sich kompliziert an … ist aber ganz einfach zu lesen und hat den Vorteil, dass Sie alle sich mit Ihrer eigenen Sportbiografie und mit Ihren persönlichen Präferenzen hier einordnen können:

(1) Sporttreiben zwischen Individuum und Team – Gruppierung: Sport-treiben kann man zwar prinzipiell auch allein, meistens ist es aber in eine soziale Gruppierung eingebunden. Trotzdem sind solche Kollektivierungen höchst unterschiedlich. Das Schwimmen im öffentlichen Freibad stellt ein anderes soziales Setting dar als beispielsweise das Spiel von zwei Mann-schaften mit dem Basketball in einer Sporthalle.
 
(2) Sporttreiben zwischen Pflicht und Freiwilligkeit – Bindung:
Dem Sporttreiben liegen generell ganz unterschiedliche Freiheitsgrade zugrunde. Die Teilnahme am Sportunterricht in der Schule ist Pflicht für alle Kinder und Jugendlichen, während beispielsweise die Mitgliedschaft in einem Sportverein auf einem freiwilligen Entschluss eines jeden einzelnen beruht. Darauf basieren dann wiederum unterschiedliche Formen der (zeitlichen) Bindung und der (sozialen) Verpflichtung.

(3) Sporttreiben zwischen Treff und Training – Betriebsform:
Bei diesem Kriterium geht es um die organisatorische Rahmung. Wir verwenden dabei unterschiedliche Bezeichnungen, auch um das didaktische Arrangement an-zudeuten: Jemand geht zum „Fußball-Training“, besucht einen „Tennis-Kurs“, hat „Ballett-Unterricht“ … oder aber jemand macht so ganz nebenbei seine Rückengymnastik. Dennoch: So ganz unorganisiert ist das Sporttreiben wohl nie – schließlich bedarf es einer „Inbetriebnahme“ durch die organisatorische Herstellung und Nutzung von Raum und Zeit – gerade auch, aber nicht nur im informellen Bereich.

(4) Sporttreiben zwischen Lust und Leistung – Motive: Mit dem Sporttreiben verbinden wir meist bestimmte Interessen und Erwartungen … und das Sporttreiben soll uns Spaß machen. Dahinter stehen ganz unterschiedliche Motive: Wer im Fitness-Studio Übungen mit vorgegebener Wiederholungs-zahl an den diversen Geräten absolviert, will vermutlich etwas für seine Figur bzw. seine Gesundheit tun. Und wer allwöchentlich zum Tango-Kurs in einer Tanzschule zusammen kommt, schätzt vermutlich auch das Miteinan-der in der Gruppe bzw. mit wechselnden Partnern.

(5) Sporttreiben zwischen Sportarten und Bewegungserfahrung – Inhalte:
Sporttreiben ist meist, aber nicht immer an die Ausübung von Sportarten gebunden. Die Frage nach den Inhalten stellt sich aber in einer Kindertages-stätte anders als im Schulsport. Wer im Verein Sport treibt, trifft meist eine Entscheidung für eine ganz bestimmte Sportart und damit gegen zahlreiche andere. Sportarten mit ihrem international festgelegten Regelwerk sind nur eine Seite des Pols. Die Inhalte des Sporttreibens können aber auch sehr viel offener angelegt sein, elementare Bewegungsformen wie Schwimmen und Radfahren genauso einschließen wie Kriechen und Klettern.

(6) Sporttreiben zwischen Tour und Turnhalle – Räume:
Meist suchen wir zum Sporttreiben eigens dafür geschaffene Räume wie Sporthallen, Sport-plätze, Schwimmbäder etc. auf. Doch Sporttreiben kann man prinzipiell auch anderswo – entweder in solchen Räumen, die für eine so genannte se-kundäre Nutzung freigegeben sind (z.B. Pausenhof einer Schule) oder in sportfremden, die wir eigens dafür (auch temporär) einrichten oder umgestalten (z.B. beim Skateboard fahren auf der Treppe vor dem Rathaus in R.). Je mehr wir beim Sporttreiben den Wettkampfgedanken zu realisieren ver-suchen, desto mehr sind wir dabei auf normierte Bedingungen angewiesen, die einen gerechten Leistungsvergleich ermöglichen.

(7) Sporttreiben zwischen Unterricht und Betreuung – Anleitung: Je nach dem, wo und mit wem wir Sport treiben, können wir dabei auf eine fachgerechte Anleitung hoffen bzw. in anderen Fällen getrost auf eine Unter-weisung verzichten. Im Schulsport unterrichten in aller Regel akademisch ausgebildete Lehrkräfte. Ein guter Sportverein achtet darauf, dass sein Personal mindestens über eine Trainer- bzw. Übungsleiter-Lizenz verfügt. Wer einen Segelkurs bucht, kann davon ausgehen, von einer ausgewiesenen Lehrkraft unterrichtet zu werden. Und wer mit Freunden zu einer längeren Kanutour aufbricht, kann davon ausgehen, dass mindestens einer das Ge-wässer ganz gut kennt und insofern die Gruppe zeitweilig betreut.
 
(8) Sporttreiben zwischen Privatsphäre und Kommerz – Zugang:
Der Zu-gang zum Sporttreiben ist nicht überall gleich. Ein höchstes Maß an Offen-heit hat im Grunde nur der, der für sich ganz allein am Basketballkorb auf dem Privatgrundstück vor der Garage Positionswürfe und Korbleger übt. Meist ist das Sporttreiben durch unterschiedliche Formen des Zugangs gere-gelt, wobei finanzielle Aufwendungen ein (wesentliches) Kriterium sein kön-nen – egal, ob als Jahresvertrag im Fitness-Studio oder als Monatsbeitrag in der Tischtennis-Abteilung eines Sportvereins. Selbst wer nur einmal bei ei-ner Laufveranstaltung als Walker an den Start gehen möchte, muss sich vorher für fünf Euro eine Startnummer besorgen …

Dieses achtstufige Raster mit seinen jeweiligen Eckpunkten, so hatte ich eingangs bemerkt, soll helfen, das Sporttreiben der Menschen (also auch Ihr eigenes) generell zu verorten. Es dürfte auch nicht schwer gewesen sein, zwi-schendurch immer schon mit zu entscheiden, wo der Vereinssport und wo der informelle Sport jeweils anzusiedeln ist. Erst recht ließe sich nun fragen, ob es noch weitere Kriterien gibt, die dann ausschließlich oder immer nur für den Vereinssport gelten? Wie wäre es mit dem sportartspezifischen Spiel- und Wettkampfsystem, dem „Herzstück“ des verbandlich organisierten Sports? Was ist mit dem ehrenamtlichen Engagement? Und was mit dem Ausbildungssystem bzw. dem Erwerb von speziellen Lizenzen: Gibt es so et-was auch im informellen Sport? Damit leite ich über zum dritten Abschnitt:
   

3    Was wissen wir über den informellen Sport? Einige Befunde

Welchen Sport meinen wir, wenn wir vom informellen Sport sprechen? Die wenigen sportwissenschaftlichen Arbeiten, die dazu vorliegen, tun sich be-reits schwer mit der begrifflichen Klarheit: Da ist von selbst organisiertem Sport die Rede, vom freien und privat betriebenen, gar vom alternativen Sport. Ein identitätsstiftender Kern des informellen Sporttreibens ist damit noch nicht gefunden. So bleibt es häufig bei einer negativen Abgrenzung, indem darauf verwiesen wird, dass informeller Sport derjenige ist, der außerhalb von Sportorganisationen stattfindet.

Der informelle Sport verzichtet auf ein ausdifferenziertes Regelsystem, basiert auf kurzzeitigen Übereinkünf-ten, ist zeitlich flexibel, hat nur eine abgeschwächte Bindungskraft. Beim informellen Sport machen die Aktiven alles selbst. Hier gibt es keine Trainer und keine Platzwarte, weder Schiedsrichter noch Rechtsinstanzen. Das sind nur einige sehr pauschale Zuschreibungen. Und ich frage Sie daher: Ist das informeller Sport:

•    wenn sich im Prinzenbad viele Menschen im Wasser bewegen  
•    wenn jeden Samstag Erwachsene durch den Tiergarten joggen
•    wenn sich Jugendliche bei der Laienboxgala in Kreuzberg auspowern
•    wenn aus dem Flughafen Tempelhof wieder ein Sportfeld wird
•    wenn am Lietzensee Trimmgeräte für Senioren aufgestellt werden
•    wenn hinter sakralen Gebäuden Frisbees fliegen

Schon diese wenigen Beispiele provozieren die Frage, in welchem Verhältnis der informelle Sport zum Vereinssport steht. Es gibt offenbar Sportarten und Sportformen, die zwar informell, nicht aber im Vereinssport „angesagt“ sind. Es gibt offenbar aber auch andere, die sowohl in Sportorganisationen als auch im informellen Sport betrieben werden. Ich will das an Beispielen ver-deutlichen:

Der DFB als größter Fachverband der Welt hat gegenwärtig 6.756.562 Mitglieder. Angeblich spielen laut DFB-Angaben nochmals rund 7,5 Mio. Men-schen hierzulande „extern“, also außerhalb der Vereine Fußball. Sie tun das also informell. Demnach ist diese informelle Fußballbewegung größer als das, was Woche für Woche in den DFB-Ligen im ganzen Land stattfindet. Muss man sich deswegen beim DFB Sorgen machen, weil bald niemand mehr im Verein Fußball spielt und alle nur noch informell kicken (wollen)?

Jetzt werden Sie wissen wollen: Ist denn der Anteil generell im informellen Bereich höher? Ich gebe ein Gegenbeispiel, und das lautet Handball: Der Handballverband Berlin hat genau 13.066 Mitglieder. Doch niemand wird behaupten wollen, dass die Anzahl der Handballspielenden außerhalb der Vereine in Berlin noch größer ist. Vielleicht wäre der Verband aber sogar froh darüber, weil er eine solche Resonanz nachhaltig für die Entwicklung des Handballsports im Verein nutzen könnte.

So gesehen stehen die Leichtathleten noch viel besser da als der Fußball: Im DLV sind 886.107 Personen registriert. Die informelle Laufbewegung umfasst bundesweit angeblich 19,1 Mio. Menschen. Warum laufen die eigentlich nicht im Verein? Offenbar driften Vereinssport und informeller Sport auch manchmal weit auseinander, und zwar je nach Blickwinkel: Als Robert Harting letztes Jahr im Olympiastadion Weltmeister wurde, hat er damit leider keine informelle Diskusbewegung ausgelöst. In den Parks dominiert weiterhin die weiche Frisbeescheibe. Selbst der Zustrom in den Leichtathletikvereinen und die Nachfrage nach Diskuswerfen dort ist wohl eher als bescheiden zu bezeichnen … leider aus der Sicht der Vereine und Verbände, nicht nur bei uns in Berlin!

Ein Zwischenfazit: Der informelle Sport stellt zwar hierzulande summarisch durchaus ein Massenphänomen dar, seine Ausprägung differiert jedoch deutlich von Sportart zu Sportart. Im informellen Sport wird häufig dazu ein weiter (oder noch besser: ein weicher) Sportbegriff zugrunde gelegt, der viele und vor allem neue Formen der Bewegung mit einschließt. Bei den diversen Bevölkerungsbefragungen zu den Sportgewohnheiten, die überall kommunal erhoben werden, liegen meist Radfahren und Schwimmen ganz vorn; manchmal werden hier sogar außersportliche Bewegungsformen wie Trep-pensteigen und Gartenarbeit gleich mit abgefragt.

Egal, wie die Sportgewohnheiten auch verteilt sind – das Sporttreiben in unserem Land ist längst zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden. Vor ein paar Monaten haben wir den 40. Geburtstag der Trimm-Dich-Bewegung des damaligen Deutschen Sportbundes gefeiert und Trimmy, die Symbolfigur des Breiten- und Freizeitsports in der Bundesrepublik, hochleben lassen. Der DSB konnte (dank Trimmy!) im Laufe der Jahre rasch seine Mitgliederzahl verdoppeln. Das Besondere und Neue damals war jedoch die Vorstellung, dass man Sport nicht nur im Verein, sondern auch unabhängig von ihm au-ßerhalb betreiben kann: irgendwo draußen, allein oder mit irgendwem.

Trimmy hat das Sporttreiben individualisiert: Jeder soll nach seinen persönlichen Interessen, nach seinen eigenen Fähigkeiten und seinen jeweiligen Ansprüchen und Präferenzen sportlich werden können. Trimmy hat zum Sporttreiben im öffentlichen Raum aufgerufen und diesen bis heute nachhaltig mit sportlichem Leben angereichert. Niemand wird deshalb Trimmy böse sein für seinen Aufruf zum Sport in aller Öffentlichkeit. Das erklärt, warum es heute eine informelle Sportbewegung allgemein und eine informelle Laufbewegung im Speziellen gibt. Aber: Ist das nun ein Problem für den Leichtathletikverband oder ein Pfund, mit dem er wuchern kann? Damit leite ich über zum letzten Kapitel:

4    Was haben Sportorganisationen mit dem informellen Sport zu tun? Einige Herausforderungen

Wie sollen sich die Sportorganisationen dem informellen Sport gegenüber verhalten? Soll man den informellen Sport sich selbst überlassen oder ihn als Herausforderung für den Sport im Verein annehmen? Ich möchte Ihnen jetzt wenigstens ein paar „Steilvorlagen“ dafür liefern, wie der organisierte Sport sein Verhältnis zum informellen Sport prüfen kann. Sie sollten jeweils entscheiden, was davon für Ihren speziellen Bereich tatsächlich relevant ist und wo ergänzt und modifiziert werden muss. Vielleicht haben Sie solche Herausforderungen schon längst angenommen – umso besser: Dann fühlen Sie sich darin bestätigt! Jetzt aber erstmal der Reihe nach: Ein halbes Dut-zend solcher Merkposten soll genügen. Jede Herausforderung ist schlag-wortartig mit einem Aufruf überschrieben:

(1) Trägerrolle wahrnehmen!
Die Sportorganisationen sind die öffentlichen Anwälte des Sports und sollten dabei Entwicklungen im informellen Sport nicht aus dem Blick verlieren. Im Grunde verbirgt sich dahinter eine ganz banale, aber gleichsam prinzipielle Aufgabe mit hoher Priorität: Vereine und Verbände sind die Premium-Anbieter des Sports bzw. ihrer Sportarten. Die Trägerrolle wahrnehmen heißt auch, sich öffentlich und wenn es sein muss extern, also auch im informellen Bereich zu positionieren. Das steht so ähnlich übrigens in der Satzung des LSB Berlin. Die Gründungsväter haben damals eine äußerst kluge Formulierung gewählt, die (Gott sei Dank!) auch nachher bei TOP 11 nicht geändert werden soll. Der § 2, Absatz (1) beschreibt nämlich die „Förderung der Allgemeinheit durch Leibesübungen“ als Zweck des LSB und damit indirekt auch seiner 78 Mitgliedsorganisationen.

Die „Förderung der Allgemeinheit durch Leibesübungen“ ist eine geradezu pädagogische Formulierung:
Wer andere (nämlich die Menschen aus der All-gemeinheit) fördern will, der muss sich ihnen zuwenden, ihnen helfen beim und durch Sport. So können sich beispielsweise Schwimmvereine für den Erhalt der Schwimmfähigkeit unserer gesamten Bevölkerung einsetzen, wie das übrigens auch das „Aktionsbündnis ProBad“ tun will, das neulich der Deutsche Schwimmverband und die DLRG in Berlin gegründet haben. Allein diese Notiz unterstreicht den gesamtgesellschaftlichen Anspruch der Sportorganisationen.

Und nebenbei sei bemerkt: Es ist schon einigermaßen er-staunlich, lesen zu müssen, dass der vereinsbasierte Sport im neuen Leitbild des Senats für die „Sportmetropole Berlin“ diese Trägerrolle gar nicht mehr zu spielen scheint. Jedenfalls kommt bei den sog. „strategischen Zielen“ als „Grundlage für die Ausrichtung sportpolitischen Handelns“ (wie es so hoch-trabend heißt) nominell der Vereinssport gar nicht mehr vor. Aber vielleicht habe ich das alles nur falsch verstanden oder nicht gründlich genug gelesen.
 
 (2) Potenziale nutzen!
Die Sportorganisationen sollten den informellen Sport nutzen, um die Poten-ziale für den Vereinssport zu entdecken und realistisch einzuschätzen. Wo der Anteil der informellen Ausübung hoch ist, könnte sich dahinter ein dy-namisches Wachstum für den Vereinssport verbergen – denn: Jeder, der in-formell Fußball spielt oder informell läuft oder informell sonst was macht, könnte das womöglich auch im Verein tun bzw. könnte für den Verein gewonnen werden … wenn ihm das Angebot passt und dort besser ist! Manchmal liegen diese Potenziale sogar am Wegesrand: beispielsweise bei Deutschlands größtem informellen Lauftreff im Tiergarten. Ich meine die sog. „RBB-Laufbewegung“, die es nun nicht mehr gibt. Soll man den RBB rügen, weil er sich als informeller Betreiber zurückgezogen hat, oder soll man SCC RUNNING beglückwünschen, weil nun Hunderte von Läuferinnen und Läufern als potenzielle Vereinsmitglieder auf ihn zulaufen?   

(3) Partizipation ermöglichen!
Die Sportorganisationen können auch die Menschen erreichen, die im informellen Sport vergessen werden. Im Zuge der Breitensportbewegung damals ist die Formel vom „Sport für alle“ geprägt worden. Auch wenn sie immerzu eine utopische Formel bleibt, müssen sich die Sportorganisationen immer wieder neu fragen, ob sie schon alle Menschen erreichen, die offen sind für das Sporttreiben, und insbesondere diejenigen, die auch im informellen Sport nicht oder nur dort vertreten sind, weil es im Vereinssport noch kein geeignetes Angebot für sie gibt. Egal an welche Alters- und Zielgruppen wir dabei konkret denken und welche Sportarten (einschließlich Boxen) dafür konkret in Frage kommen: Partizipation ermöglichen, heißt zu aller erst, sich als Sportanbieter öffnen zu wollen und eine passende Offerte zu bieten für die noch Fernstehenden. Partizipation geht dann mit Integration einher.

(4) Öffnungsschneisen suchen!
Der informelle Sport findet nicht nur, aber oft draußen „Open Air“ im öffentlichen Raum statt. Er steht – wenn man so will – dann unter ständiger Beobachtung, ist eine Art Schaufenster. Für den Vereinssport gilt das generell auch. Öffnungsschneisen suchen bedeutet, sich mit seinen Angeboten öffentlich zu platzieren – sei es virtuell beim Internetauftritt, aber mehr noch „live“ dort, wo die Menschen sind: Eine prominente Öffnungsschneise ist das Tempelhofer Feld – nicht nur, weil es Anfang Mai wieder seiner ursprünglichen Nutzung als Sportfeld zugeführt wurde, sondern weil sich hier der Vereinssport vielleicht sogar in einer einzigartigen Symbiose zusammen mit dem informellen Sport positionieren kann.

In Ihrem Jahresbericht auf Seite 30 ist darüber hinaus vom neuen Park am Gleisdreick die Rede, und ich füge gern den großflächigen Olympiapark hinzu, für den das Leitkonzept des Senats aus dem Jahre 2004 einen „Nutzungsmix“ vorsieht, der m.W. immer noch nicht Realität geworden ist. Der Olympiapark könnte so oder so eine weitere Öffnungsschneise sein.  

(5) Netzwerke schaffen!

Wer sich mit seinen Angeboten öffnet, versucht sich damit in aller Regel gegenüber Verbündeten zu öffnen. Solche Verbündeten mag es auch im infor-mellen Sport geben. Netzwerke zu schaffen bedeutet dann aus der Sicht des Vereinsports, nach Partnern Ausschau zu halten – sei es außerhalb der Sportorganisationen oder sei es sogar außerhalb des Sports beispielsweise mit den im Gesundheitssystem agierenden Organisationen – ein Netzwerk, das im LSB-Jahresbericht schon als „Erfolgsspur“ hoch gelobt wird. Sportgelegenheiten bieten sich neuerdings auch auf Senioren-Spielplätzen wie in Steglitz, wo ein Fitnessparcours entstehen soll, für den das Nachbarschafts-zentrum und der TuS Lichterfelde gerade ein Konzept entwickeln.   

 (6) Alleinstellungsmerkmale herausstellen!
Der organisierte Sport leistet vieles, was es anderswo nicht gibt. Er kann vie-les besser, was der informelle Sport nicht kann. Umgekehrt mag der infor-melle Sport auch vieles bieten, was der Vereinssport nicht im Programm hat. Nur sollte der organisierte Sport nicht versuchen, den informellen Sport voll-ständig zu kopieren und dabei womöglich noch seine eigenen Werte preiszugeben.

Ganz im Gegenteil kommt es darauf an, die Alleinstellungsmerkmale des Vereinssports herauszustellen: „Kultivierung der Vereinskultur“ hat das Ommo Grupe, der Nestor der Sportwissenschaft in Deutschland einmal ge-nannt. Das heißt nun nicht, dass alles beim Alten bleiben muss. Nur wer sein Selbstverständnis immer wieder neu auf den Prüfstand stellt und sich so „von innen“ reformiert, der beugt der Gefahr vor, irgendwann als „closed shop“ zu verkommen oder als Auslaufmodell zu enden.       

5    Schlussbemerkung

Ich komme zum Schluss und damit noch einmal zurück an den Anfang und zu der im Vortragstitel gestellten Frage: „Informeller Sport und Vereinssport – Gegensatz oder Ergänzung?“. Mein Fazit dazu lautet: Ohne den informellen Sport wäre unser sportliches Leben blasser und ärmer. Ohne den Vereins-sport wäre der Sport in unserer Gesellschaft nicht mehr existent.

Deswegen lautet ganz am Ende mein Appell an Sie: Helfen Sie mit und sorgen Sie dafür, dass der Vereinssport nie seine Existenzberechtigung verliert. Die Vortragsfrage lässt sich dann ganz einfach beantworten. Man braucht nur an zwei Stellen die Formulierung ein klein wenig verändern. Aus der Perspektive des Vereinssports und mit Blick auf den informellen Sport heißt es dann: „Gegensatz und Ergänzung!“.

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

author: GRR

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