Der TSV Drebber vor dem Olympiastadion - die beiden Holzschuhläufer (ganz rechts) - Foto: privat
In Holzschuhen durch die Bundeshauptstadt – Ein besonderes Lauferlebnis bei den „25 Km von Berlin“.
Neugierige Blicke begleiten uns zum Start. Wir, das sind Christine, Jürgen, Dieter, Nils, Michael und ich. Auslöser des Erstaunens ist das Schuhwerk von Michael und mir. An unseren Füßen befinden sich nämlich Holzschuhe. Diese unter normalen Umständen schon verwundernde Tatsache ist jetzt besonders aufsehenerregend, denn wir befinden uns in Berlin 1995 auf dem Olympischen Platz kurz vor dem Start der „25 Km von Berlin“ .
Außer uns sind noch ca. 4.500 Läufer im Startbereich, die mit „normalen“ Sportschuhen die Strecke meistern wollen. Vor fast genau zwei Jahren fiel die Entscheidung zu diesem Spektakel. Anlässlich des Geburtstages unseres Vereinsvorsitzenden Dieter schwärmten Dieter, Michael und ich einigen anderen Gästen wieder einmal vom „New-York Marathon 1992“ vor, an dem wir teilnahmen. Nachdem die eine oder andere „Gerstenkaltschale“ alle redselig und mutig gemacht hatte, meinten Christine und Jürgen, sie würden auch einen Marathonlauf durchstehen.
Michael und ich erwiderten spontan, wenn dem so wäre, so würden wir sogar in Holzschuhen vor den beiden das Ziel erreichen. Gesagt – getan. Dieter schloss sich als „Zugpferd“ Christine und Jürgen an und schon wurde eine Wette vereinbart. Diese wurde dann allerdings häufiger verschoben und letztendlich auf die 25-Km-Distanz verkürzt.
Jetzt ist es also soweit. Die Strapaze geht los. Mehrere Läufer fragen, ob wir wirklich mit diesen Schuhen laufen wollen. Wir wollen! Ziemlich als letzte Läufer überschreiten wir die Startlinie und „klappern“ langsam los. Verwundert drehen sich mehrere Sportkameraden um, die sich über den Lärm wundern. Ich fühle mich wunderbar. Frohgelaunt biegen wir von der Olympischen Straße in die Reichsstraße. Die ersten Zuschauer klatschen, als sie unsere Aufmachung registrieren. Zur Feier des Tages habe ich neben einer schwarzen Tights und einem weißen T-Shirt noch eine schwarze Fliege und eine graue Weste angezogen. Die anderen tragen alle ein T-Shirt mit dem Aufdruck „75-Jahre TSV Drebber“.
So werben wir für unser Vereins-Jubiläum. Immer wieder werden wir von anderen Läufern angesprochen, ob wir tatsächlich die gesamte Strecke durchlaufen wollen. Michael und ich antworten aus tiefster Überzeugung „Selbstverständlich“. Unsere drei Vereinskollegen und Wettgegner haben wir mittlerweile hinter uns gelassen. Wir führen also in der internen Wertung. In der Kantstraße höre ich, wie ein Zuschauer ruft: „Schau mal! Holländer!“ Selbst die Läufer neben uns müssen lachen. Wir befinden uns inzwischen in der Leibnizstraße und passieren den 5-Km-Punkt. Die meisten Bekannten hatten uns vorausgesagt, spätestens an dieser Stelle auszusteigen. Wir aber fühlen uns immer noch bestens.
Durch die vielen Gespräche mit anderen Wettkämpfern merken wir nicht, wie die Zeit vergeht. Immer wieder spenden uns Passanten Beifall. Während eines Wettkampfes habe ich noch nie so viel Applaus erhalten. Der Kurfürstendamm ist erreicht. Hier fällt das Laufen besonders leicht. Neben der Gedächtniskirche werden wir fotografiert. Plötzlich läuft eine Zeitungsreporterin neben uns her und erkundigt sich nach den Namen und dem Wohnort. Wie einfach es doch ist, in der Hauptstadt Schlagzeilen zu machen!
Die Original-Holzschuhe – haben die 25 km von Berlin „gefinisht“ – Foto: Horst Milde
Wo unsere drei Konkurrenten wohl sind? Immer wieder blicken wir uns um. Hinter uns sind noch zahlreiche Athleten. Aber die drei können wir nicht sehen. Wir müssen somit mehrere Minuten Vorsprung haben. Schon einige Zeit bewegt sich ein weiterer Lauf-Exot“ neben uns. Ein Hund „mit Herrchen an der Leine“ bewältigt auch die 25 Km durch Berlin. Startgeld hat aber scheinbar nur das Herrchen gezahlt, denn nur er trägt eine Startnummer. Nach einem längeren Plausch bleiben beide zurück. Dem Hund geht wohl die „Puste aus“. Links vor uns taucht jetzt die Siegessäule auf. Michael hat Schwierigkeiten mit seinem Schuh. Er hat die Ledermanschette eingeschnitten und für eine bessere Stabilität diese mit Isolierband abgeklebt. Dieses hat sich jetzt gelöst. Klugerweise hat er eine Rolle Klebeband eingesteckt, sodass der Schaden schnell repariert ist. Gleich haben wir die Hälfte geschafft.
Bei Km 12,5 haben wir einen Km-Durchschnitt von 6,00 Minuten erreicht und sind noch immer bester Dinge.
Etwa 100 Meter vor uns laufen zwei hübsche Athletinnen, die wir schnell erreicht haben. Beim Näherklappern drehen sich beide erstaunt um. Schnell sind wir in eine Unterhaltung verwickelt. Bei der einen Läuferin handelt es sich um eine Französin, die andere kommt aus Meppen. Ihr dürfte unsere Fußkleidung also wohlbekannt sein. Leider hat Michael wieder Probleme mit seinen Schuhen, die drücken. Um Linderung zu verschaffen, entfernt er die eingelegten Sohlen. Jetzt hat er zu viel Bewegungsfreiheit. Also werden die Sohlen wieder eingelegt und ein Paar Socken ausgezogen. Das hilft. Leider sind die Damen jetzt enteilt.
Michael klagt weiter über Fußbeschwerden. Aber er beißt sich noch durch. Den 16-Km-Punkt haben wir soeben hinter uns gelassen. Gleichmäßig laufen wir über den Asphalt. Dieser Gleichklang veranlasst einen Läufer, sich uns anzuschließen, da der „Takt“ seinem Laufstil entspreche. Auch er genießt den Applaus, den wir weiterhin bekommen. Als wir einen anderen Läufer überholen, gibt der entsetzt von sich: „Oh-Weh! Jetzt überholen die mich sogar in Holzschuhen!“ Unser Mitläufer muntert ihn auf, sich uns anzuschließen: „Bleib d`ran und erfreu` Dich am Beifall, auch wenn er nicht für Dich gedacht ist“. So sind wir jetzt zu viert, als es kurz vor Km 19 in die Bismarckstraße geht. Hier folgt der schwierigste Teil der Strecke, denn eine lange Gerade mit leicht ansteigendem Profil liegt vor uns. Michael hat mit Seitenstichen zu kämpfen. Das ist sehr verwunderlich, da er nur ein leichtes „Sportlerfrühstück“ mit viel Rührei, Speck und Wurst zu sich genommen hat. Aber er kämpft weiter, wenn ich ihn auch gelegentlich aufmuntern muss.
Unsere Vierergruppe hat nun Km 21 passiert. Hier werden wir von einem bekannten Paar überholt. Hund und Herrchen hasten grüßend an uns vorbei, gezogen von einer Rad fahrenden Brünetten. Ein Schrittmacherdienst der besonderen Art. Ein Zuschauer schüttelt verächtlich den Kopf, als er uns sieht. „Schön verrückt!“ versuche ich seine Gedanken auszusprechen. Er bestätigt dieses. „Aber wie öde wäre die Welt, wenn alle normal wären!“ rufe ich ihm zu und wir lassen ihn grübelnd hinter uns. Mehrere Zuschauer muntern uns jetzt auf: „Da seid Ihr ja wieder! Ihr habt`s ja tatsächlich gleich geschafft! Toll!“ Michael will unbedingt eine Gehpause machen. Es bedarf schon einiger Anstrengung, ihn zum Weiterlaufen zu überreden. Seine Müdigkeit ist jedoch urplötzlich verschwunden, als neben uns ein Kamerateam des SFB fährt und uns mehrere Minuten filmt. „Gottseidank bin ich nicht gegangen!“ kommt es jetzt über Michaels Lippen. Doch diese positive Einstellung ist schnell vorbei. Nachdem das Kamerateam verschwunden ist, lässt auch der Biss bei Michael nach. Vor dem Olympiastadion hilft alles Zureden nichts. Michael nimmt eine Gehpause.
Hier ist allerdings auch die stärkste Steigung der gesamten Strecke und das Stadion muss noch fast zur Hälfte umrundet werden. Die Jesse-Owens-Allee nehmen wir wieder im Laufschritt. An der Straßenseite steht Nils, der wohl schon längere Zeit mit persönlicher Bestzeit im Ziel ist, und feuert uns an. Nach einer weiteren kurzen Pause sind wir jetzt im Stadionbereich. Durch das Marathon-Tor laufen wir in das Olympia-Stadion ein und können uns auf der Anzeigentafel bewundern. Aus den Lautsprechern ertönt: „Mit der Start-Nummer 2948 läuft jetzt Michael Windhorst vom TSV Drebber ein. Und schaut Euch mal die Schuhe an!“ Wir reißen die Füße hoch, damit jeder Zuschauer unsere Holzschuhe bewundern kann. Die Ansage war vorher schon vom Sport-Team abgesprochen worden. Denn diese in unserem Heimatort ansässige Firma ist für die Zeitmessung zuständig und hat somit guten Kontakt zum Stadionsprecher. Nur noch wenige Meter. Wir laufen gemeinsam durchs Ziel und sind glücklich, den Wettkampf geschafft zu haben. Außerdem ist die Wette gewonnen. Ein Fass mit isotonischem Getränk, auch „Haake-Beck“ genannt, ist der verdiente Lohn, den wir im Sommer gemeinsam genießen werden. Im Ziel ist wieder eine Kamera auf uns und besonders unsere Schuhe gerichtet. Es ist doch schön, ein Star zu sein – auch wenn es nur ein „Holzschuhstar“ ist.
Jetzt können wir auf unsere Konkurrenten warten. Wenige Minuten nach uns läuft Jürgen ins Ziel. Er habe uns bei Km 15 fast eingeholt, sich dann jedoch eine Wunde zugezogen, die mit einem Pflaster versehen werden musste. Dieses habe entscheidende Zeit gekostet. Dennoch ist er froh, das Rennen gemeistert zu haben. Es ist schon erstaunlich, wie er als „Nichtläufer“ innerhalb weniger Wochen diese Form antrainiert hat. Ohne die notwendige Willensstärke ist das nicht zu schaffen.
Nach einer weiteren Wartezeit kommen auch Christine und Dieter ins Stadion. Im Sog des Marathonläufers hat auch Christine ihren ersten 25-Km-Lauf geschafft. Noch mehrere Läufer passieren nach ihr das Ziel. Sie ist zwar erschöpft, freut sich aber dennoch über die tolle Leistung.
Unterdessen werden Michael und ich fortwährend auf unser Schuhwerk und auf unsere weiteren „Holzschuhziele“ angesprochen. Gegen meine Erklärung, ein Marathon in Holzschuhen würde uns schon reizen, protestiert Michael energisch. Also nicht! – Oder vielleicht doch? Ich fühle mich jedenfalls fantastisch. Bei einem Lauf habe ich selten dermaßen viel Spaß gehabt. Wenn doch nur der „Holzschuhlauf“ olympisch wäre!
Jürgen Lübbers – TSV Drebber
PS: Die „25 km Berlin“-Holzschuhe sind als Geschenk für das Sportmusuem Berlin – Marathoneum- vorgesehen.