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18
05
2022

Ruth Gerbracht: 1956 in Essen geboren in Bochum Lehramt Sport & Englisch studiert seit 1989 in Bremen, bis Ende 2021 beim Weser-Kurier Sportredakteurin & Betriebsratsvorsitzende seit 2012 1. Vorsitzende beim Verein Bremer Sportjournalisten & seit 2018 im VDS „Beauftragte für Chancengleichheit“ - Foto: Tom Wesse

„Im Sportjournalismus muss man ein bisschen robust sein“ – Ruth Gerbracht, Beauftragte für Chancengleichheit im Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS), über ihre Erfahrungen, Schönheitsideale und Gendern – SPORT BERLIN

By GRR 0

Wie sind Sie zu dem Amt beim Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) gekommen?

Erich Laaser, der Vorsitzende des VDS, hat mich angesprochen als die #metoo-Debatte hochkochte. Der Verband wollte prophylaktisch eine Anlaufstelle für Betroffene schaffen, ehe Fälle von Ungleichberechtigung auftreten. Weil ich nicht nur Ansprechpartnerin für Frauen sein sollte, haben wir uns für den Titel „Chancengleichheit“ entscheiden.

Wieso braucht man im VDS jemanden, der sich um Chancengleichheit kümmert?

Der VDS ist ein großer Verband – vornehmlich aus Männern bestehend. Man hatte womöglich Sorge, dass es Fälle geben könnte, in denen Journalistinnen nicht so behandelt werden, wie es sein sollte.

Ich habe lange überlegt, ob ich das machen möchte. Ich habe nie schlechte Erfahrungen mit Kollegen gehabt. Aber als ich mehr darüber nachdachte, fielen mir einige Situationen ein. Ich habe erlebt, dass es zu meiner Zeit viele ältere Funktionäre im Sport gab. Die sagten dann schon mal Dinge wie: „Ah, jetzt kommt da mal ein hübsches Mädel.“ Einer dieser Männer hat mir sogar einmal ins Haar gegriffen. – Damals habe ich das weggedrückt. Aber jetzt denke ich darüber anders. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es solche oder andere Vorfälle nicht auch heute noch gibt. Deshalb habe ich das Amt angenommen.

Was sind die Aufgaben als Beauftragte für Chancengleichheit im VDS?

Ich bin in erster Linie ein Ansprechpartner, dem man sich anvertrauen kann, zur Verschwiegenheit verpflichtet. Es ist eher eine beratende Funktion. Ziel war es, eine erfahrene Kollegin zu haben, die jungen eine Hilfestellung geben kann.

Mussten Sie denn einmal aktiv werden in Ihrer Position?

Nein, es ist niemand auf mich zu gekommen. Hoffentlich ist es ein gutes Zeichen – ich sehe das erstmal positiv. Generationen ändern sich und ich glaube, das bestimmte Dinge heute nicht mehr so oft vorkommen.

Sie sind selbst Sportjournalistin. Ist das in Ihren Augen ein Traumberuf?

Ich bin nur durch Zufall zu dem Job gekommen – wollte eigentlich Lehrerin werden. Journalismus ist wahnsinnig spannend. Es muss nicht unbedingt Sport sein, aber Sport hat eine gewisse Leichtigkeit. Das ist toll! Wenn ich früher beim Davis Cup war, mit Becker oder Stich, hatte das natürlich was von Traumberuf.

Was zeichnet eine gute Sportjournalistin aus?

Sie sollte selber Spaß am Sport haben und etwas davon verstehen. Die Sache manchmal nicht zu ernst zu nehmen und auch ein dickes Fell zu haben, hilft.

Haben Sie in Ihrem Beruf schlechte Erfahrungen gemacht – sich ungerecht behandelt gefühlt, weil Sie eine Frau sind?

Einmal hatte ich mich in einer Redaktion beworben. Der Ressortleiter ließ mich zum Vorstellungsgespräch kommen und sagte mir, dass es eigentlich gar keine Stelle für mich gäbe. Er hätte bloß die weiblichen Bewerberinnen einmal kennenlernen wollen. Damals bin ich wutentbrannt davongegangen.

In meinen ersten Jahren beim Weser-Kurier kam es öfter vor, dass ich Anrufe annahm, woraufhin die Frage kam: „Ist einer der Herren da?“ – Alle dachten, ich wäre die Sekretärin. Das fand ich natürlich doof!

Ich habe diese Dinge aber nicht an mich herankommen lassen und fühlte mich ansonsten nicht benachteiligt. Ich hatte auch nie Chefs, die gesagt hätten: „Das ist ein Frauenthema, das machst du.“ Im Gegenteil – für den Bremer Bundesstützpunkt ‚Rhythmische Sportgymnastik‘ war einer meiner männlichen Kollegen zuständig. Dabei hatte ich schon Angst, dass ich das übernehmen müsste. (lacht)

Wie sind Sie mit den Anrufen umgegangen, die Sie erwähnten?

Ich wollte mit denen gar nicht reden. Ich habe ihnen einfach gesagt, sie sollten morgen nochmal anrufen.

Werden Frauen im Sportjournalismus benachteiligt?

Es kommt darauf an, wo sie tätig sind. Im Fußball haben sie es sicherlich schwerer – davon bin ich fest überzeugt. In anderen Sportarten habe ich das allerdings nicht erlebt.

Studien zeigen, dass Frauen in der Sportberichterstattung stark unterrepräsentiert sind. Woran liegt das?

Das erstaunt mich. Wenn man in den Lokalsport schaut, ist die Berichterstattung meiner Meinung nach gleich und eher abhängig vom Erfolg. – Natürlich verdrängt der Männerfußball alles. Daneben haben es andere Sportarten schwer. Ich kann mir vorstellen, dass das in den Köpfen so drin ist: ‚Sport ist Männersache‘. Frauen hängen da einfach noch hinterher. Sie haben sich viele Sportarten erst später erarbeitet.

Berichten Frauen anders als Männer? Und wenn ja, warum?

Ich denke, dass Frauen meist besser zuhören und einen besseren Draht zu ihren Gesprächspartnern aufbauen können. Dadurch haben sie manchmal intensivere und emotionalere Geschichten. Ich glaube, deshalb haben Fernsehsender oft Frauen am Spielfeldrand, um Interviews zu führen: Weil die Sportler sich dann mehr öffnen. Aber das ist sicher nicht per se so.

Können Männer überhaupt unvoreingenommen über Frauen im Sport berichten?

Ich hoffe, dass die Männer das können. Ich kenne – zumindest heute – keine Gegenbeispiele. Wer voreingenommen ist, wird die Stories im Zweifel gar nicht machen.

Welche Rolle spielen Schönheitsideale bei der Berichterstattung?

Ich glaube, die können schon sehr wichtig sein – auch abhängig vom Medium. Aber solange ich in der Sportredaktion war, habe ich versucht, sowas zu vermeiden. Zum Beispiel habe ich immer auf neutrale Fotos geachtet. Meine männlichen Kollegen waren da tatsächlich eher unsensibel. Beim Aufmacher spielt ein attraktives Bild definitiv eine große Rolle – da wird eine Beachvolleyballerin sicher der Gewichtheberin vorgezogen.

Sind Frauen in manchen Sportarten mehr anerkannt als in anderen?

Das ist mir besonders beim Volleyball aufgefallen. Ich bin mit der Sportart groß geworden und immer haben Frauen hier einen großen Zuspruch erhalten. Wahrscheinlich, weil sie erfolgreich sind und das Spiel attraktiv, nicht so körperbetont ist. Eine Frauennationalmannschaft im Volleyball hat fast mehr Anhänger als die der Männer. Bei Laufwettbewerben oder Weitsprung in der Leichtathletik beispielsweise, ist die Aufmerksamkeit für Frauen ebenfalls sehr hoch. Auch das liegt wohl an der Attraktivität der Sportarten – unabhängig davon, dass sie die Werte der Männer nicht erreichen. Das gilt aber nicht für alle Disziplinen: Im Kugelstoßen sind Frauen-Wettbewerbe wiederum weniger beliebt. Wohl deshalb, weil die Sportlerinnen nicht dem Schönheitsideal entsprechen.

Haben es auch weibliche Journalistinnen in diesen Sportarten leichter?

Mein Gefühl ist: Je intelligenter die Sportler, desto besser ist die Kommunikation und desto leichter hat man es als Frau. Das ist mir zum Beispiel in der Leichtathletik, im Rudern, beim Volleyball oder Basketball aufgefallen. Dort hat man es meistens mit gebildeten Sportlern zu tun, die mit einem auf Augenhöhe sprechen. Das sind Menschen, die etwas zu erzählen haben, mit denen man gute Gespräche führen kann. Ich bin immer viel lieber zu diesen Sportarten gegangen als zum Fußball.

Was halten Sie von Gendern im Sportjournalismus? Schafft das mehr Chancengleichheit?

Das ist ein schwieriges Thema. Ich selbst musste es in Texten nicht mehr tun und bin darüber ganz froh. Wenn ich als Betriebsratsvorsitzende Reden hielt, habe ich immer Männer und Frauen angesprochen. Und ich finde es auch gut, wenn man beide Geschlechter ausschreibt. Aber den Doppelpunkt und das Gendersternchen sehe ich kritisch. Ob es wirklich hilft, wird die Zeit zeigen.

Was empfehlen Sie einer angehenden Sportjournalistin?

Sie sollte neugierig und selbstbewusst sein und ein bisschen was Robustes mitbringen. Der Sport macht eine Menge Spaß und bietet viele tolle Geschichten. Aber manchmal geht es eben etwas rauer zu. Da muss man manche Dinge wegstecken und auch mal dagegenhalten können.

Interview: Franziska Staupendahl

Quelle: SPORT BERLIN 02/2022

 

 

 

author: GRR