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12
2007

Den Eindruck, dass wir keine Debatten führten, teile ich nicht. Innerhalb und außerhalb des Sports diskutieren wir leidenschaftlich. Wie Doping effektiv zu bekämpfen ist, hat uns das ganze Jahr beschäftigt.

Im Gespräch: Seitenwechsler Michael Vesper über seine Rolle als Mittler zwischen Sport und Politik – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der frühere Grünen-Spitzenpolitiker Michael Vesper ist seit Herbst 2006 Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes. In der politischen Szene als Taktiker anerkannt, halten ihm Kritiker aus dem Sport vor, noch immer nicht ganz auf dem neuen Arbeitsfeld angekommen zu sein. Im kommenden Sommer wird er als „Chef de Mission“ die Olympiamannschaft in Peking anführen.

Sie kommen aus der Politik, von den Grünen mit ihren munteren Parteitagen, und haben in Hamburg kürzlich die dritte Vollversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes miterlebt. Fehlt Ihnen nicht die politische Kontroverse?

Nein, daran herrscht wirklich kein Mangel. Ich arbeite als Generaldirektor sehr politiknah und bin fast jede Sitzungswoche in Berlin. Ich leide nicht unter politischer Langeweile oder gar Vereinsamung.

Die öffentliche Debatte über Sportpolitik führt der Sportausschuss, nicht die Sportorganisationen.

Den Eindruck, dass wir keine Debatten führten, teile ich nicht. Innerhalb und außerhalb des Sports diskutieren wir leidenschaftlich. Wie Doping effektiv zu bekämpfen ist, hat uns das ganze Jahr beschäftigt. Eines unserer großen Themen heißt "Siegen und Moral". Nach dem Fair-Play-Kongress im Oktober werden wir dazu im Juli, unmittelbar vor der Verabschiedung unserer Olympiamannschaft nach Peking, eine weitere große Veranstaltung haben. Das ist eine gesellschaftliche Frage von hoher Spannung.

Wie ist Ihre persönliche Haltung: Können Sie sich vorstellen, auf bestimmte Disziplinen, auf bestimmte Sportarten aus Gründen der Moral zu verzichten?

Wir wollen saubere Erfolge. Und wir sind erfolgsorientiert. Dafür haben wir gerade ein neues Förderkonzept verabschiedet, denn wir wollen den seit Barcelona 1992 nach unten zeigenden Medaillentrend stoppen und möglichst umkehren. Aber wir wollen nur Medaillen, die mit fairen Mitteln errungen sind.

Das ist doch ein Widerspruch. Wie wollen Sie im Hundertmeterlauf und im Gewichtheben saubere Medaillen gewinnen?

Das geht. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die meisten Athleten sauber sind. Aber richtig ist: Wir müssen weg von der reinen Rekordorientierung, die in einigen Disziplinen – und Sie haben gerade zwei davon genannt – Einzug gehalten hat, hin zum Wettkampf. Der Vergleich ist die Ursprungsidee Olympischer Spiele. Sie haben es bei den Weltmeisterschaften in Osaka sehen können: Gewisse Weiten werden in den Wurfdisziplinen nicht mehr erreicht, und dennoch waren die Wettkämpfe spannend.

Was ist der Unterschied zwischen Weltrekord und Olympiasieg? Anders gefragt: Wo ist die neue Moral, wenn Sie den Gewinn von Medaillen zur Basis Ihrer neuen Förderstruktur machen?

Die Gesellschaft erwartet von uns, dass wir leistungs- und erfolgsorientiert sind. Sport ist nach wie vor ein Aushängeschild für ein Land. Der Wille zum Erfolg gehört zum Sport. Dies aufzugeben würde auch die Basis treffen. Denn wir brauchen Idole, wir brauchen Sportler, die Herausragendes leisten. Die Grünen hatten in den achtziger Jahren im Bundestag einen Sportpolitischen Sprecher, den Abgeordneten Hans-Joachim Brauer, der sagte, für ihn sei Sport Federball – aber ohne Zählen. Deshalb waren viele entsetzt, als ich 1995 in Düsseldorf Sportminister wurde. Selbstverständlich ist Federball ohne Zählen Sport. Aber Sport braucht auch die Spitze. Sport ist ein Räderwerk, in dem Breitensport und Spitzensport, Schulsport, Freizeitsport und Gesundheitssport ineinandergreifen. Man muss sie alle fördern, auch in ihrem Zusammenspiel.

Muss eine freie und aufgeklärte Gesellschaft jeden Wettbewerb annehmen? Muss der Steuerzahler jeden Athleten, der sich in einer olympischen Sportart messen will, subventionieren?

Der Steuerzahler subventioniert ja nicht direkt den Athleten, sondern der Staat finanziert ein Stück nationaler Repräsentation durch olympischen und nichtolympischen Spitzensport. Dafür bekommt er eine Menge zurück. Und was die Sportarten angeht: Wellenbewegungen in der Beliebtheit hat es immer gegeben, und auch unter den olympischen Sportarten gibt es Zugänge und Abgänge. Warum sollte man sich von einer Sportart verabschieden, für die sich Sportler begeistern und die ihr Publikum hat?

Die Sportförderung der Bundesregierung ist für das kommende Jahr um mehr als zwanzig Millionen Euro aufgestockt worden – vorbereitet wurde das unter größter Diskretion. Ist der Grund für die Geheimdiplomatie allein darin zu suchen, dass Geld und Haushälter so scheu sind?

Geheim war das nun wirklich nicht. Über unsere Anschubfinanzierung nach der Gründung des DOSB im Mai 2006 etwa hat es öffentliche Diskussionen gegeben, deren Intensität in keinem Verhältnis zu der Summe stand.

Die Anschubfinanzierung, mit der Sie auch die Grunderwerbsteuer für die Gebäude von DSB und NOK beim Land Hessen begleichen müssen, ist gerade mal von 900.000 auf 800.000 Euro gekürzt worden. So schlecht ist das nicht gelaufen für Sie.

Wir sind mit dem Ergebnis der Haushaltsberatungen sehr zufrieden, weil zum ersten Mal seit Jahrzehnten der Sportetat beträchtlich erhöht wurde. Das war aber auch nötig. Seit den Olympischen Spielen von Barcelona war er nicht gestiegen, während sich die Zahl der Disziplinen um mehr als ein Drittel vermehrt hat und damit auch die Kosten. Die Sportförder-Mark von 1992 ist heute noch 25 Cent wert. Wir sind sehr froh, dass das im ersten Jahr unserer Existenz gelungen ist und wir damit den Trend umdrehen konnten. Bei der Bundeswehr sollten achtzig der über 700 Stellen für Spitzensportler gestrichen werden, nun erhalten wir vierzig mehr als vorher. Das zeigt die gesellschaftspolitische Bedeutung, die der Sport durch die Fusion von DSB und NOK gewonnen hat.

Gesellschaftspolitische Bedeutung kann man doch öffentlich vertreten. Warum warten alle Beteiligten auf die letzte Sitzung des Haushaltsausschusses, um die drei Millionen Euro für die Bundeswehrstellen wie einen Trumpf aus dem Ärmel zu ziehen? Warum wird die erstmals gezahlte Fördermillion für die Stiftung Deutsche Sporthilfe unter allergrößter Diskretion und außerhalb des Sportetats verhandelt?

Das müssen Sie die Politiker fragen, nicht mich. Aber ich sehe da keine Besonderheit. Der Haushalt wird öffentlich debattiert. Dass sich die Meinungsbildung nicht immer vor den Augen der Öffentlichkeit abspielt, ist nicht Ausdruck eines schlechten Gewissens oder von Kungelei. Argumente brauchen halt eine Weile, um ihre Überzeugungskraft zu entfalten.

Auf welchen Feldern der Sportpolitik sind Sie gestalterisch tätig?

Wenn Sie in unserem siebzigseitigen Bericht zur Mitgliederversammlung schauen, sehen Sie eine Menge solcher Felder. Ich greife mal die Verbesserung der Spitzensportförderung bei Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll heraus, weil diese berufliche Absicherung entscheidend ist für den Spitzensport. Für den Breitensport ist es gelungen, neue potente Partner zu gewinnen. Besonders am Herzen liegt mir das Programm Integration durch Sport. Man kann noch so schön darüber reden: An der Basis ist Sport der wichtigste Partner von Integrationsarbeit. Die Konsolidierung unserer Finanzlage ist eine Überlebensfrage für den DOSB. Über die Hälfte meiner Arbeitszeit habe ich mit dem Thema Doping und Doping-Bekämpfung verbracht.

Warum gibt es auf Ihrer Mitgliederversammlung keine Kontroversen, keinen Widerspruch, sondern nur Akklamationen?

Die Kontroversen werden vorher ausgetragen. Die Versammlung selbst bildet das Ende eines Reifungsprozesses: Da fällt der Apfel fast von alleine vom Baum. Bis dahin sind alle wichtigen Punkte intensiv besprochen, verändert, gekürzt und erweitert worden. Wir greifen Kritik im Vorfeld auf, versuchen zu Verständigungen zu kommen, die breit getragen werden. Man hat in Hamburg gesehen, dass das gelungen ist. Zum Beispiel München: Die Olympiabewerbung für 2018 war kein Selbstläufer. Nachdem wir jahrelang über Sommerspiele diskutiert haben, war es nicht selbstverständlich, nun auf Winterspiele zu setzen. Das haben wir mit unseren Präsidenten internationaler Verbände, mit den Fachverbänden und den Landessportbünden intensiv vorgeklärt und nun vollzogen.

Die Mitgliederversammlung ist also bloß das Schaufenster des Sports?

Nicht Schaufenster, eher Bühne. Ich finde es seltsam, wenn man uns vorwirft, dass wir für das, was das Präsidium vorschlägt, große Mehrheiten bekommen. Das geschlossene Auftreten des Sports war ja ein Ziel der Fusion. Auch im Deutschen Bundestag werden doch Dinge entschieden, die in Fraktionen und Ausschüssen vorbereitet wurden. Wie die Abstimmungen ausgehen, ist meist vorher klar – außer vielleicht bei Parteitagen der Grünen.

Die Fragen stellte Michael Reinsch

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sonnabend, dem 15. Dezember 2007

author: GRR

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