Symboldbild - Schwimmen - Foto: Lothar Pöhlitz
Im Container vor der Schule – Wie Grundschulkinder künftig schwimmen lernen – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der Anteil der unsicheren Schwimmer und der Nichtschwimmer unter den Kindern steigt besorgniserregend. Das Land Nordrhein-Westfalen geht deshalb neue Wege – mit Schwimmübungen in Seecontainern.
Vermutlich ist dies der berühmte Tropfen auf den heißen Stein: Mit Schwimmübungen in Seecontainern kämpft Nordrhein-Westfalen gegen den Mangel an Wasserflächen an. Bäder schließen, an vielen Schulen ist Schwimmunterricht unmöglich, für private Schwimmstunden gibt es Wartezeiten von bis zu zwei Jahren. Das große, reiche Land im Westen verfügt, auf die Einwohnerzahl bezogen, nur noch über halb so viele Bäder wie etwa Sachsen.
Der Anteil der unsicheren Schwimmer und der Nichtschwimmer unter den Kindern steigt besorgniserregend: Jedes fünfte Kind im Grundschulalter kann nicht schwimmen. Mehr als die Hälfte der Zehnjährigen sind, obwohl Schwimmenlernen auf dem Lehrplan der Schulen steht, unsichere Schwimmer. In der Not muss deshalb nun auch mal ein Pool von nur drei mal neun Metern mit 1,35 Meter Wassertiefe für den Schwimmunterricht reichen – von Spöttern als große Badewanne beschrieben.
Acht Kinder gleichzeitig
Die für den Sport zuständige Staatssekretärin Andrea Milz nimmt die Krise persönlich. „Wir fahren das Schwimmen vor die Schule“, verspricht sie. Drei Millionen Euro haben die Regierungsparteien CDU und Grüne für das Programm Narwali lockergemacht. Der Wal mit dem Stoßzahn wurde zum Wappentier, weil er die Buchstaben NRW in seinem Namen trägt.
Seit Ende September steht in Düren der erste von fünf Containern, die bis Weihnachten ihre zweijährige Tour durchs Land beginnen sollen. 350 Schulen sollen so insgesamt erreicht werden. „Ich habe meine Buntstiftzeichnungen noch zu Hause“, sagt Andrea Milz. Sie hat sich vor anderthalb Jahren darangesetzt, die Möglichkeiten mobiler Lösungen zum Schwimmenlernen zu erkunden und zu entwerfen. Der Impuls dürfte als erstes Erbe der Olympiabewerbung Rhein-Ruhr in die Geschichte eingehen.
Zu dieser nämlich gehörte die Idee, für die Schwimmwettbewerbe ein temporäres Wettkampfbecken mit zehn Bahnen in die Arena auf Schalke zu setzen. So etwas müsste doch auch in Klein möglich sein, dachte sich die Politikerin. Sie stieß auf Anbieter, die Container zu Swimmingpools umbauen und in die Gärten von Privatleuten setzen. Dafür entfernen sie das Dach der Metallkisten und dichten sie ab. Sie stieß auf die Josef-Wund-Stiftung in Stuttgart und eine Gemeinde in Bayern, die Schwimmunterricht im Container anboten. So entstanden die mobilen Schwimmkisten.
Sie behalten das Dach, bekommen Fenster an den Seiten und in der Decke. Das kleine Becken bietet Platz für die Wassergewöhnung von lediglich acht Kindern gleichzeitig. Hätten die Dürener nicht für Umkleidekabine und Dusche, für Stromversorgung, Wasseraufbereitung und Wärmetauscher einen zweiten Container eingerichtet, wäre in ihrem mobilen Bad auf dem Schulhof von Lendersdorf noch weniger Platz.
Nicht nur für den zeichnerischen Entwurf sorgte die unermüdliche Andrea Milz. Sie brachte auch Ministerpräsident Wüst – der nominell der Sportminister von Nordrhein-Westfalen ist – dazu, im Wahlkampf des vergangenen Jahres mobile Lösungen für das Schwimmenlernen zu versprechen. Er kam, als in Düren der erste Container in Betrieb ging.
Die Vorbereitung war nicht trivial gewesen. Für den öffentlichen Betrieb eines Bades bedarf es umfangreicher Genehmigungen; die DLRG stellt die Trainer, die Feuerwehr brachte das Wasser. Für dessen Nachnutzung ist auch gesorgt. Ein Landwirt wird es, entchlort und gereinigt, zur Wässerung seiner Felder nutzen.
Das Beispiel scheint Nachahmer zu finden. Der Schwimmverband von Nordrhein-Westfalen scheint eigene Container in Auftrag geben zu wollen. Der Sportausschuss des Landtages von Rheinland-Pfalz beschäftigt sich mit der Idee der rollenden Wasserbecken. Zur Einweihung des Premieren-Schwimmcontainers schlugen die Wellen hoch. Dafür sorgte die Kölner Karnevalsband Kasalla. Als sie ihren Song „Piraten“ spielte, tanzte und sang die Kölnerin Milz so fröhlich wie stolz mit: „Kölle Ahoi!“
Selbst für den Fall, dass es mit Olympischen Spielen in Rhein-Ruhr nichts werden sollte: keine Frage, wer eine Goldmedaille im Schwimmen bekommen sollte.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 10. Oktober 2023