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05
09
2013

Start des 1. Berliner Volksmarathon am 13. Oktober 1974 in der Waldschulallee 80 in Berlin Charlottenburg ©Sportmuseum Berlin – AIMS Marathon-Museum of Running

„Ich trag’ den Staub von deinen Straßen … “ – 40 Jahre Berlin-Marathon – Eva Krusat in RUNNING

By GRR 0

„Die Straßen gehören den Autos!“ Diesen Spruch durfte sich Horst Milde, der Vater des Berlin-Marathons, 1981 noch anhören, als er den zunehmend beliebten Berliner Volkslauf gegen den Widerstand der Berliner Polizei aus dem Grunewald in die Innenstadt verlegen wollte. Heute ist es andersherum. Für zwei Tage im Herbst gehören die Berliner Straßen nicht den Autos, sondern den Läufern. 40.000 Menschen aus über 125 Ländern haben sich für den diesjährigen 40. Berlin-Marathon angemeldet – innerhalb von dreieinhalb Stunden. Dann waren alle Startplätze vergeben.

Am Anfang waren es 286 Läufer, die am 1. Berliner Volksmarathon teilnahmen. Zwar gab es auch vorher schon Marathonveranstaltungen in Berlin, aber die waren den Vereinsläufern vorbehalten. Beim 1. Berliner Volksmarathon verfolgten die Organisatoren um Horst Milde, damals Vorsitzender der Leichtathletikabteilung des Sportclubs Charlottenburg (SCC), dagegen eine andere Strategie, die sie vorher schon als Veranstalter eines Crosslaufs im Grunewald erfolgreich praktiziert hatten: Sie öffneten den Lauf für Läufer ohne Vereinszugehörigkeit und schufen damit den ersten Jedermann-Marathon im damals noch geteilten Berlin.

Von der prominenten Strecke durch die Innenstadt, die der Berlin-Marathon heute bietet, war man damals aber noch weit entfernt. Die Läufer absolvierten eine zweimal zu laufende Pendelstrecke, die bis auf wenige Kilometer den stockgeraden Königsweg längs der Avus entlang führte – auf der einen Seite die Autobahn, auf der anderen der Wald. Von den jubelnden Zuschauermengen, die heutzutage dazu beitragen, den Berlin-Marathon zu einem so einzigartigen Erlebnis zu machen, war man damals noch Welten entfernt.

Günter Hallas, der Sieger des ersten Berlin-Marathons, sagt heute lachend dazu: „Wenn man damals durch die Straßen lief, dann sind die Leute stehengeblieben und haben einen als verrückt bezeichnet. Deswegen lief man halt durch den Wald, wo man ungesehen war…“.

Auch beim Berlin-Marathon. Drei Verpflegungspunkte gab es auf der Strecke, wo die Läufer mit Wasser, Tee, Obst und Brühe versorgt wurden, Zielschluss war sechs Stunden nach dem Start, um 15.00h, denn „man hatte ja Zeit“, wie Horst Milde, der langjährige Organisator des Berlin-Marathons, entspannt erklärt.

Eine weitere Besonderheit des von der Vereinszugehörgkeit losgelösten Volksmarathons war der von Milde und dem SCC unternommene Versuch, alle Teilnehmer schon im Vorfeld zu unterstützen, indem man in der vierseitigen Anmeldebroschüre extra darauf hinwies, dass ohne Training kein Marathon gelaufen werden könne und dazu passend die ersten freien Berliner Lauftreffs etablierte, deren Betreuung Freunde und Laufkameraden übernahmen.

Man kannte sich halt. Sieben mal fand der Berlin-Marathon auf der abgeschiedenen Strecke im Grunewald statt, dann beschloss Horst Milde, angeregt durch die „25 km de Berlin“ der französischen Alliierten, dass es Zeit wäre, den Lauf in die Innenstadt zu verlegen.

“Da drüben sitzt ein Verrückter – der will durch die Stadt rennen.” Mit diesem Satz wurde Horst Milde dem damaligen Polizeipräsidenten von Berlin Klaus Hübner vorgestellt, von dessen Zustimmung die Verlegung des Marathons in die Innenstadt abhängig war. Schließlich musste die Verkehrspolizei die Straßen sperren und die Sicherheit gewährleisten – in Westberlin, damals von drei fremden Schutzmächten überwachtes und einer Mauer umschlossenes Gebiet, ein heikles Unterfangen.

Horst Milde allerdings erwies sich als geschickter Netzwerker. Er schaffte es nicht nur, den Rückhalt von Politik und Alliierten zu erlangen, sondern auch, entgegen dem festen Widerstand der Berliner Polizei, seine Wunschstrecke am damals einzigen Grenzübergang nach Ost-Berlin, dem Checkpoint Charlie, vorbeiführen zu lassen. Die Berliner Polizei hatte diese Route abgelehnt, der Chef der politischen Abteilung der US-Mission, in dessen Obhut der Grenzübergang lag, ließ sich von Milde jedoch begeistern und sagte zu, einen Posten abzustellen, der bei Lücken im Läuferfeld dafür sorgen würde, dass Grenzreisende und Diplomaten die Straße ungehindert passieren können.

Am 27. September 1981 fand der Berlin-Marathon dann tatsächlich zum ersten Mal in der Westberliner Innenstadt statt. 3.486 Läufer aus 30 Nationen hatten sich angemeldet, 2.583 erreichten das Ziel. Startpunkt war der Reichstag, das Ziel lag an der Gedächtniskirche am Kurfürstendamm. Die Veranstaltung war so erfolgreich, dass ihre Fortsetzung auf den doch eigentlich für die Autos bestimmten Straßen Berlins außer Frage stand.

Im Jahr darauf durfte sogar der Bezirk Kreuzberg durchlaufen werden – 1981 hatte die Polizei dies noch abgelehnt, da in dem von linken Protesten geprägten Bezirk nach dem tragischen Tod des 18-jährigen Demonstranten Klaus-Jürgen Rattay mit großer Aggressivität auf die Anwesenheit der Uniformierten reagiert wurde. Von Feindseligkeit war beim Lauf allerdings nichts zu spüren. Im Gegenteil – der Abschnitt durch das “SO 36” gehörte mit zu den stimmungsvollsten der Strecke, die schon damals als flach und bestzeitengeeignet angesehen wurde.

“Berlin hat eine Strecke, auf der 2:08 Stunden gelaufen werden können”. So urteilte Mitte der 80er Jahre der Londoner Streckenvermesser der Association of International Marathons and Road Races (AIMS), John Disley.

Passend dazu nahmen in Berlin auch immer mehr Weltklasseathleten teil. Und während sich die Siegerzeit, in der die Strecke gelaufen wurde, von Jahr zu Jahr verringerte, schossen die Teilnehmerzahlen kontinuierlich in die Höhe. Ab 1984 erfolgte begleitend eine siebenstündige Live-Übertragung im Radio, im Jahr darauf folgte die erste ARD-Sondersendung, die von über 400.000 Zuschauern gesehen wurde. Deutschland entdeckte den Marathon und Berlin war ganz vorne mit dabei.

Und dann fiel die Mauer! Schon Jahre vorher hatten die Berliner Läufer bei jedem Start nach Ostberlin geblickt und sich gefragt, ob es eines Tages wohl möglich sein würde, gemeinsam durch die ganze Stadt zu laufen, schon vorher gab es vereinzelte und heimliche Marathon-Teilnehmer aus der DDR, die das Glück hatten, eine Ausreisegenehmigung für einen Verwandtenbesuch in der BRD erhalten zu haben, ein Läufer aus Thüringen meldete sich gar unter dem Namen seiner Katze an.

Aber noch im Jahr 1989 war nicht vorauszusehen, dass es dann plötzlich ganz schnell gehen würde…

Schon einen Tag nach der Wende begann die Hintergrundarbeit an der Streckenänderung des Berlin-Marathons 1990. Der Lauf sollte durch beide Hälften seiner vormals zwangsgeteilten und nun wiedervereinigten Heimatstadt gehen und mitten durch das Brandenburger Tor führen – ein Bild mit unheimlicher Symbolkraft für alljene, die die gewaltsame Teilung Deutschlands miterlebt hatten und ein Moment, der von den Läufern mit Tränen und Jubel gleichermaßen begangen wurde.

Weil die Anmeldungen die Kapazitäten der Veranstalter überstiegen, wurde das Feld auf 25.000 Teilnehmer limitiert. Auch im Jahr 1990 war der Berlin-Marathon lange vor der Veranstaltung ausgebucht. Bei diesem besonderen Marathon erlief der Australier Steve Moneghetti mit 2:08:16 die erste Berlin-Marathon-Zeit unter 2:10. Den Umstand, dass mit Uta Pippig eine direkt nach dem Mauerfall aus der DDR ausgereiste Langstreckenläuferin die Damenwertung (2:28:37) gewann, hätte sich kein Drehbuchautor besser ausmalen können.

In den Jahren darauf etablierte sich Berlin endgültig als einer der ganz großen Weltklasseläufe. 1999 setze sich Berlin an die Spitze jener Tabelle, die Aufschluss über die schnellsten Männer-Marathonläufe der Welt gibt. Dabei wird der Durchschnitt der besten zehn jemals gelaufenen Zeiten einer Veranstaltung errechnet.

Berlin (2:07:18,6 Stunden) übernahm erstmals die Führung vor Rotterdam (2:07:25,2) und Chicago (2:07:44,9). Auch die Teilnehmerzahlen stiegen – nach einem Rückgang nach dem geschichtsträchtigen Lauf im Jahre 1990 – wieder an und überschritten im Jahr 2000 erstmalig die 30.000er Marke.

 

Weltrekorde in Berlin

1977 Christa Vahlensieck  (Wuppertal) 2:34:48*
1998 Ronaldo da Costa (Brasilien)        2:06:05
1999 Tegla Loroupe (Kenia)                  2:20:43
2001 Naoko Takahashi (Japan)             2:19:46
2003 Paul Tergat (Kenia)                       2:04:05
2007 Haile Gebrselassie (Äthiopien)     2:04:26
2008 Haile Gebrselassie (Äthiopien)     2:03:59
2011 Patrick Makau (Kenia)                   2:03:38


*bei den Deutschen Meisterschaften, die im
  Rahmen des Berlin-Marathon stattfanden.

Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern folgte Weltrekord auf Weltrekord. 2001 lief die Japanerin Naoko Takahashi in 2:19:46 ins Ziel und unterbot so als erste Frau die 2:20 auf die Marathondistanz. 2003 lief dann Paul Tergat aus Kenia nach einem dramatischen Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinem Tempoläufer Sammy Korir, der im Ziel nur eine Sekunde hinter ihm lag, eine Zeit von 2:04:55.

Diese Zeit wurde später als erster offizieller Marathon-Weltrekord von der IAAF anerkannt und hatte bis 2007 Bestand, als Haile Gebrselaissie in 2:04:26 ins Ziel lief. Natürlich auch in Berlin, der Strecke, auf der er ein Jahr später als erster Läufer überhaupt eine Zeit unter 2:04:00 erreichen sollte (2:03:59).

Auch der aktuelle Weltrekord von Patrick Makau aus dem Jahr 2011 (2:03:38) stammt: aus Berlin.

Und nun jährt sich dieser besondere Lauf, der aus der Tiefe des Grunewaldes in den Fokus der Welt gerückt ist, zum 40. Mal. Horst Milde, der langjährige Organisator, hat die Leitung 2004 an seinen Sohn Mark übergeben. Andere sind immer noch dabei.

Günter Hallas, der Sieger des ersten Berliner Volksmarathons wird dieses Jahr wieder an der Startlinie stehen. Zum 38. Mal. Zweimal konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen, ebenso wie Bernd Hübner, den Milde lächelnd als Aushängeschild des Berlin-Marathons bezeichnet und der von 1974 bis 2011 keinen Lauf ausgelassen hat, bis auch ihm der Körper einen Strich durch die Rechnung machte.

Hübner hat immer noch großen Anteil an der Veranstaltung, indem er das weiterführt, was Milde und der SCC schon ganz am Anfang, als es lediglich 286 “Verrückte” waren, die durch den Grunewald gerannt sind, auf ihre mit der Schreibmaschine getippten Anmeldungen geschrieben haben: Ohne Training kein Marathon.

Und so hält Hübner bis heute jenen Berliner Lauftreff am Leben, der sich damals in den ersten Jahren als Trainingsoption für die vereinslosen Läufer etabliert hatte. Und warum? Weil Laufen Freiheit und Passion ist. Das versteht niemand besser als eine Stadt wie Berlin!

In diesem Sinne: Alles Gute zum Geburtstag, lieber Berlin-Marathon! Auf die nächsten gemeinsamen 40 Jahre!

 

Eva Krusat in RUNNING – 5/2013 (Nr. 157)

 

RUNNING – DAS LAUFMAGAZIN

 

BERLIN-MARATHON 2013: Noch 3 Wochen – Trainingslauf an der Havel mit dem LT Bernd Hübner | Von 14 bis 42-km | 08.09.2013 – 08.00 Uhr

 

author: GRR

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