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30
07
2012

2009 World Championships Berlin, Germany August 15-23, 2009 Photo: Victah Sailer@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

„Ich sage mir: Hab‘ Mut, das kannst du!“ Interview im Tagesspiegel : Andreas Austilat, und Frank Bachner

By GRR 0

Ihre Sportart ist die komplizierteste der Leichtathletik – und die gefährlichste. Privat aber scheut Silke Spiegelburg das Risiko und zieht ein Sparbuch den Aktien vor.

Frau Spiegelburg, Sie haben gerade beim Leichtathletik-Meeting in Monaco 4,82 Meter überwunden. Wenn wir aus dem Fenster gucken, Sie würden da drüben in den zweiten Stock springen.

Ach, das täuscht optisch. Wenn ich im Stadion nur die dünne Latte vor mir habe, das sieht gar nicht so hoch aus. Klar, wenn ich mir das an einer Hauswand vorstelle, denke ich auch, du bist ja bekloppt, da oben auf den Balkon zu springen.

Wir haben den Stab vorhin angehoben, der wiegt bestimmt drei Kilo und ist fast fünf Meter lang.

Zweieinhalb Kilo kommt hin, und meine Stäbe sind viereinhalb Meter lang, Männerstäbe haben mehr als fünf Meter.

Sie greifen ihn ganz hinten, dadurch wirkt er erheblich schwerer. Und dann rennen Sie los.

Ich halte den Stab ja nicht wie eine Lanze, die Spitze zeigt beim Anlauf nach oben. Natürlich muss ich aufpassen, dass ich ihn bei dem Tempo am Ende richtig runterbringe und optimal einsteche…

… Sie meinen den kleinen Einstichkasten, diese Betonkuhle vor der dicken Matte.

Im Idealfall ist es so, als ob der Stab auf den letzten Schritten runterfällt, und ich muss ihm nur noch hinterher.

Sie haben beeindruckende Oberarmmuskeln.

Die Schultern müssen extrem trainiert sein, weil die ja schon den Absprung mit dem Einstich abfangen. Dann rolle ich mich auf, das belastet wieder vor allem die Schultern und die Oberarme, aber ich arbeite auch viel aus dem Rücken und dem Bauch. Eigentlich muss man den gesamten Oberkörper einbeziehen. Wenn der irgendwo eine Schwachstelle hat, wird es schwierig.

Und wenn Sie ein Kilo mehr wiegen, als Sie sollten, dann sicher auch?

Ich wiege mich schon seit Monaten nicht mehr, ich darf das gar nicht wissen.

Sie dürfen nicht, oder Sie wollen nicht?

Ich soll nicht, weil ich mich sonst verrückt machen würde. Solange ich mich mit meinem Körper wohlfühle und denke, ja, das passt, ist alles gut.

Auf was müssen Sie verzichten?

Ich habe das Glück, dass ich viele ungesunde Sachen gar nicht mag. Sahne zum Beispiel fand ich noch nie toll, Kuchen ist auch nicht mein Fall. Ich backe zwar gerne, mein Marmorkuchen ist wirklich gut, aber ich mache den nur für Freunde oder die Physiotherapeuten. Zusammenreißen muss ich mich beim Eis, gerade jetzt im Sommer. Das fällt mir schon schwer.

Die Hochspringerin Ariane Friedrich hat bei 1,79 Körpergröße ein Kampfgewicht von 57 Kilo.

Beim Hochsprung ist das extremer als bei uns. Sobald man zu dünn ist, lässt die Kraft nach. Im Stabhochsprung haben wir ja ein paar Schritte mehr, ich laufe 37 Meter an. Die Bänder und die Muskeln müssen dem Absprung und der Wucht des Stabes standhalten, sonst reißen die schon dabei.

Nach dem Einstich müssen Sie den Stab biegen…

… und ich versuche, den so lange wie möglich gebogen zu halten, dadurch habe ich die Chance, nach oben geschleudert zu werden. Wenn ich den nicht biegen kann, geht gar nichts. Im schlimmsten Fall fällt man wieder zurück. Einmal, bei Deutschen Hallenmeisterschaften, litt ich an den Folgen eines grippalen Infektes. Es war so heiß in der Halle, meine Hände waren nass. Ich konnte den Stab einfach nicht halten, da bin ich abgerutscht und habe den in der vollen Biegung loslassen müssen.

Und der ist ohne Sie losgeschnellt?

Der ist unkontrolliert weggeflogen, und zwar auf die 60-Meter-Bahn. Wenn die da gerade gelaufen wären, außer auf Bahn eins hätte ich alle abgeräumt. Ich habe noch das Ende des Stabes gegen den Oberschenkel bekommen. Eine Woche konnte ich nur humpeln, weil ich so einen dicken blauen Fleck hatte. Das ist wie dreimal mit der Peitsche.

Ist Ihnen der Stab schon mal gebrochen?

Zum Glück nicht. Ich habe das schon oft bei anderen gesehen. Meine Stäbe sind meist aus Fiberglas, das ist sehr robust, dafür aber etwas schwerer. Karbon ist leichter, aber wenn das eine Macke hat, bricht es schnell. Am häufigsten unten, 20 Zentimeter über dem Boden, wo der Stab am Einstichkasten lang ratscht.

Stäbe können brechen oder quer durch die Halle fliegen, da fragt man sich schon: Wie sind Sie ausgerechnet auf diesen Sport gekommen?

Meine älteren Brüder haben das schon gemacht, und mein Vater war ihr Trainer. Ich habe angefangen, weil ich als kleines Kind die Matte so toll fand, man konnte darauf herumspringen. Und dann habe ich gesehen, wie meine Brüder von oben in die Matte gefallen sind, wie die für einen Moment fliegen durften. Das hat mich gereizt. Und weil der Bewegungsablauf so komplex ist, habe ich gedacht, das will ich auch beherrschen.

Im Stabhochsprung macht man in einer einzigen Sekunde 18 verschiedene Bewegungen. Nur Golf ist ähnlich kompliziert.

Ach, das wusste ich gar nicht. Also in der Leichtathletik ist es sicher die komplizierteste Disziplin, weil es diese turnerischen Elemente gibt. Es hilft mir, dass ich vom Turnen komme.

Könnten Sie heute noch einen Flickflack?

Natürlich, sogar mit Salto.

Und welche Rolle spielt der Nervenkitzel?

Eine große. Ich muss mich immer noch überwinden, dass ich steil nach oben gehe. Man kann das weiter und weiter ausreizen, bis man quasi komplett im Handstand über dem Stab ist. Sich kopfüber um 180 Grad zu drehen und sich dabei vom Stab wegzudrücken, das ist sehr schwer. Je besser ich das schaffe, umso mehr steige ich nach oben und umso länger darf ich fliegen.

Eigentlich ist es ja mehr wie fallen, und zwar aus knapp fünf Metern. Wie ist das, wenn Sie ins Schwimmbad gehen?

Hm, schwimmen ist nicht so meine Stärke. Nicht, dass ich es nicht könnte oder wasserscheu wäre, aber Wasser ist nicht mein Element.

Wir meinten gerade den Fünf-Meter-Turm.

Das sieht viel höher aus als beim Stabhochsprung. Wir springen ja auf eine Matte, die müssen Sie noch abziehen. Ich bin trotzdem immer gern vom Fünf-Meter-Brett gesprungen, das war das Einzige, was mir im Schwimmbad richtig Spaß gemacht hat. Ich liebe die Höhe. Mich würde auch mal ein Fallschirmsprung reizen. Das darf ich nur meinen Eltern nicht sagen.

Vor ein paar Minuten haben Sie uns erzählt, was auch beim Stabhochsprung alles passieren kann.

Stimmt. Aber die Hammerwerferin Kathrin Klaas ist neulich im Ring so blöd auf den Kopf gefallen – ich glaube, sie musste sogar genäht werden. Und üble Stürze habe ich beim 3000-Meter-Hindernislauf am Wassergraben auch schon gesehen.

Beim diesjährigen Meeting in Götzis ist der Brasilianer Carlos Chinin beim Stabhochsprung so unglücklich gefallen, dass er sich am Halswirbel verletzte. Und im amerikanischen College-Sport gab es in den vergangenen Jahren sogar zwei Todesfälle.

Chinin ist Zehnkämpfer. Die kommen aus anderen Disziplinen und haben spät mit Stabhochsprung begonnen. Bei denen gucke ich gar nicht hin, das ist mir wirklich zu gefährlich. Die haben die Technik nicht, die halten den Stab in diesen Kasten rein, springen irgendwie ab, versuchen irgendetwas. Das sieht teilweise schlimm aus. Ich will gar nicht sehen, wo die hinfallen. Natürlich braucht es für jeden Sprung ein bisschen Mut, doch wenn ich weiß, ich laufe jedes Mal konstant an, ich beherrsche die Technik, das ist ganz etwas anderes.

Stabhochsprung-Bundestrainer Jörn Elberding hat uns von einem Springer erzählt, der senkrecht in den Einstichkasten gefallen ist, aus fünf Metern Höhe. Der war Zehnkämpfer. Wenn Sie als Spezialistin über diesem Kasten schweben, können Sie da noch Einfluss auf die Flugbahn nehmen?

Ich kann mit den Armen arbeiten, und ich habe noch die Seitenkissen. Ich weiß, ich komme da hin.

Es gibt ein Lehrbuch „Handlungskontrolle und Angst im Stabhochsprung", da kommt auf 356 Seiten mehr als 100-mal das Wort Angst vor.

Ich kenne das auch, dass ich da stehe und mir sage: Komm, hab Mut, das kannst du: Und dann versuche ich noch enger am Stab zu stehen, noch mehr Risiko zu zeigen. Ich würde das nicht als Angst bezeichnen, sondern als Respekt vor dem, was passieren kann.

Sind Sie privat auch risikobereit?

Beim Sport versuche ich, den inneren Schweinehund zu überwinden und nicht immer auf Sicherheit zu gehen. Beim Geld bin ich doch sehr scheu, da ziehe ich das Sparbuch den Aktien vor.

Haben Sie schon mal was Unvernünftiges getan?

Ich bin beim Viererbob mitgefahren. Mein Trainer meinte, das wäre gut für mich, um mehr Risikobereitschaft zu lernen. Ich liebe die Geschwindigkeit.

Können Sie sich als alpine Abfahrerin vorstellen?

Oh, ich liebe Skifahren! Aber Abfahrt, pfff! Ich war in diesem Jahr in Lenzerheide, wo alle zwei Jahre eine Weltcup-Abfahrt für Frauen stattfindet. Die Piste war offen, wir sind da runtergewedelt, wenn ich daran denke, dass andere im Schuss runterfahren, boaah, Respekt.

Als Sie Ihren Freund kennenlernten, haben Sie ihn angesprochen oder er Sie.

Das weiß ich gar nicht mehr. Das war in Bayern beim Ernährungsberater, und wir haben uns eigentlich nur nett unterhalten, ohne dass einer von uns gleich gedacht hätte, daraus wird was.

Und wenn Sie dann ein konkretes Ziel haben, wie konsequent steuern Sie darauf zu?

Das kommt drauf an, wie wichtig mir das ist. Ich scheue jedenfalls nicht davor zurück, irgendwelche Ämter anzurufen und mal ein bisschen Druck zu machen, wenn die nicht in die Pötte kommen.

Wer ist denn zuletzt nicht in die Pötte gekommen?

Das war vor ein paar Jahren, da ging's um die Uni. Ich habe den Minister angerufen. Den für Wissenschaft und Bildung in Nordrhein-Westfalen. Das Problem war, dass ich in Köln keinen Studienplatz für Gesundheitsökonomie bekommen hatte.

Und da rufen Sie gleich den Minister an?

Nein, der Anruf hatte eine längere Vorgeschichte. Mir fehlten bei meinem Notenschnitt 0,1 Punkte. Ich hätte natürlich auch irgendwo anders studieren können, nur wäre es dann mit dem Sport vorbei gewesen. Sportler müssen dort studieren, wo sie trainieren. Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, auch der Deutsche Leichtathletik-Verband und der Deutsche Olympische Sportbund haben sich sehr bemüht. Vergeblich.

Sie studieren in Köln. Der Minister ist also in die Pötte gekommen?

Ich bin gar nicht zu ihm vorgedrungen. Wir haben es irgendwie anders geschafft. Ich bin über BWL zur Gesundheitsökonomie gekommen.

Frau Spiegelburg, Sie wirken sehr tough. Doch es gibt Bilder, die zeigen, wie sensibel Sie sein können. Wir erinnern uns an die Weltmeisterschaft 2009 in Berlin, als Sie Vierte wurden und sich die ganze Anspannung in einem Weinkrampf löste.

Da kam so viel zusammen. Ich war ja genauso hoch gesprungen wie die Zweite und die Dritte, durch meine eigene Doofheit, weil ich gegen den Rat des Trainers die Latte fünf Zentimeter nach hinten verschoben habe, brauchte ich jedoch einen Versuch mehr. Hinzu kam, dass die große Favoritin Jelena Issinbajewa ausgeschieden war. Ich hätte an diesem Tag die Riesenchance gehabt, sogar zu gewinnen. Stattdessen landete ich auf dem vierten Platz, das hat mir den Rest gegeben.

Die Russin Jelena Issinbajewa ist die schillerndste Figur im Stabhochsprung. Weltrekordlerin, Seriensiegerin mit zeitweiligem Wohnsitz in Monaco, Goldkandidatin in London, eine Frau, die sich als unnahbare Diva inszeniert. Ausgerechnet bei der WM in Berlin scheiterte sie dreimal an der Anfangshöhe. Sind Sie ihr da nähergekommen, von Leidensgenossin zu Leidensgenossin?

Ich komme mit ihr ganz gut zurecht. Wir sagen uns höflich „Hallo", aber groß zum Reden kommen wir nicht, weil sie sich immer sehr zurückzieht. Sie ist vier Jahre älter als ich. Ich kenne sie seit 2004, damals habe ich sie auch mal angemeckert.

Sie waren erst 18 und haben sich mit der großen Issinbajewa angelegt?

Ich wollte beim Einspringen gerade loslaufen, sie ist halb an mir vorbei und hat mich angerempelt. Ich wäre fast hingefallen. Da habe ich ihr meine Meinung gesagt. Aber das war nichts gegen den Auftritt einer Isländerin. Jelena hat sich immer vor sie gedrängt, da hat die Isländerin sie derart fertiggemacht, ich musste lachen, als ich das sah.

Ist Issinbajewa sehr unbeliebt in der Szene?

Ach, ein paar mögen sie nicht, ein paar kommen gut mit ihr aus. Manche verehren und vergöttern sie regelrecht. Die kopieren ihre Kleidung, ihren Stil, sie tragen sogar die gleichen Käppis.

Jelena Issinbajewa hat durch ihre Erfolge und ihre Attraktivität zweifellos eine enorme mediale Bedeutung. Profitiert dadurch die ganze Sportart?

Viele haben eher davon profitiert, dass sie mal ein Jahr keinen Wettkampf bestritten hat. Diverse Springerinnen verbesserten in dieser Zeit ihre Bestleistungen erheblich. Jede hatte eine Chance, zu gewinnen. Als sie dann 2011 zurückkam, haben ich und andere gedacht: Komm, jetzt zeigen wir ihr es mal. Das war auch ein Ansporn. Als Jelena dann wieder mit den fünf Metern aufgetrumpft hat, Hallen-Weltmeisterin wurde, da war es wie früher. Sie hat kaum mit anderen geredet, es war sogar schwierig, ein „Hallo" aus ihr rauszukriegen.

Issinbajewa ist Millionärin geworden…

… weil sie die erste Frau war, die fünf Meter gesprungen ist. Da hat sich das Medieninteresse auf sie konzentriert. Zwei Prozent der Sportler, solche wie Usain Bolt, der 100-Meter-Weltrekordler aus Jamaika, fallen als Typen auf und bringen auch noch krasse Leistungen. Die verdienen halt viel.

Können Sie von Ihrem Sport leben?

Zurzeit ja, ich kann meinen Sprit bezahlen, meine Miete, doch ich kann keine Rücklagen bilden. Deshalb studiere ich, für den Beruf nach der Karriere.

Auch die Hochspringerin Ariane Friedrich inszeniert ihre Auftritte als Show. Bei den deutschen Meisterschaften trat sie mit pink gefärbten Haaren auf. Wäre das was für Sie?

Wenn andere das machen, finde ich das auch cool. Für mich ist das nichts. Da würden bestimmt alle denken, bei der stimmt irgendetwas nicht.

 

Interview im Tagesspiegel : Andreas Austilat, und Frank Bachner, Sonntag, dem 29. Juli 2012

 

 

 

author: GRR

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