In der Vergangenheit bin ich schon zwei, drei Mal enttäuscht worden, aber dass man nicht zum polnischen Nachbarn fährt, ist Ignoranz und Missachtung.
„Ich muss mich dauernd entschuldigen“ – Über die Nichtteilnahme deutscher Läufer an IAAF Titelkämpfen – Otto Klappert im SPIRIDON Gespräch mit Manfred Steffny
SPIRIDON: Wir sitzen hier beim Abschluss-Bankett der Crosslauf-Weltmeisterschaft in Bydgoszcz mit merkwürdigen Gefühlen. Unter den 56 teilnehmenden Nationen fehlte Deutschland, ich bin der einzige deutsche Medien-Vertreter bei diesen Titelkämpfen. Wie fühlen Sie sich als Deutscher und zugleich Vorsitzender der internationaler Crosslauf-Kommission?
KLAPPERT: Es ist für mich und den Verband beschämend, dass kein deutscher Athlet am Start war. Ich muss mich dauernd entschuldigen. Bei den polnischen Gastgebern und bei den Mitgliedern des Councils, die mich alle fragen: wie kann es sein, dass der DLV keine Läufer nach Bydgoszcz geschickt hat. Schließlich ist der DLV der mitgliederstärkste Leichtathletikl-Verband der Welt.
In der Vergangenheit bin ich schon zwei, drei Mal enttäuscht worden, aber dass man nicht zum polnischen Nachbarn fährt, ist Ignoranz und Missachtung. Früher hatten wir mit den Polen ein ganz enges Verhältnis und viele Länderkämpfe, von denen beide Länder profitiert haben. Lange kämpften der DLV und Polen um Platz 4 und 5 in der Welt hinter Amerikanern , Russen und der DDR.
SPIRIDON: Einigen Athleten passt der Crosslauf nicht in den Saisonaufbau, sie ziehen Trainingslager vor und wollen sich auf die Europameisterschaft in Barcelona konzentrieren.
KLAPPERT: Ich kenne die Gründe im einzelnen nicht, man hat mir nur gesagt, wenn wir wieder unter die besten zwanzig in der Welt kommen, starten wir auch wieder bei der Crosslauf-Weltmeisterschaft. Aber wie will man denn unter die besten 20 kommen, wenn man den Crosslauf vernachlässigt? Auf gar keinen Fall darf man auf eine Teilnahme des Nachwuchses bei den Junioren und Juniorinnen verzichten. Der einzige im DLV, der sich für den Crosslauf engagiert, ist der Bundestrainer Detlef Uhlemann, der früher ein hervorragender Crossläufer war. Es ist auch fachlich ein großer Fehler auf Crossläufe zu verzichten, abgesehen davon, dass die Teilnahme an einer internationalen Meisterschaft für jeden Athleten einen absoluten Höhepunkt darstellt. Leider ist das gleiche bei der Straßenlauf-Weltmeisterschaft im Halbmarathon der Fall, wo der DLV nicht unter ferner liefen landen wollte.
SPIRIDON: Der DLV legt beim populären Langstreckenlauf die gleichen Leistungsanforderungen an wie etwa beim Dreisprung.
KLAPPERT: Das ist falsch und wird der Bedeutung des weltweit ausgeübten Laufsports nicht gerecht.
SPIRIDON: Was spricht für den Crosslauf, auch wenn man hinterher läuft?
KLAPPERT: Man lernt in einer Crosssaison, den Laufrhythmus zu ändern, die Balance zu halten, taktisch zu spekulieren. Die Vielfalt in der Ausbildung ist wichtig. Und da ist der Crosslauf nicht ersetzbar. Der gleichmäßige Lauf macht nicht den Top-Langstreckler aus. Alle guten Crossläufer sind auch sehr gute Bahn- und Straßenläufer geworden und sind im Sommer in Topform gewesen, wenn sie im Winter Cross gelaufen sind. Cross-Saison und Trainingslager sind vom Saisonaufbau her gut miteinander zu verbinden.
SPIRIDON: Einige Läufer sind wohl zu feige hinter den Afrikanern her zu laufen und werfen schon vorher die Flinte ins Korn …
KLAPPERT: Ich habe Verständnis dafür, wenn ein Wessinghage oder ein Baumann damals zum Crosslauf ohne spezielle Vorbereitung angetreten sind und ihr normales Training durchgezogen haben. Der Amerikaner Craig Virgin ist im gleichen Jahr 50. bei der Cross-WM geworden, in dem er später Weltrekord gelaufen ist. Im Übrigen: so stark besetzt außerhalb Afrika ist der Crosslauf nicht mehr. Wo sind die besten Franzosen oder Italiener? Da kann man durchaus unter die ersten 30 kommen. Ich bin sicher, eine Ingrid Kristiansen oder Grete Waitz würde auch heute noch ganz vorne mit laufen.
SPIRIDON: Die Teilnehmerzahl an der Cross-WM ist leider insgesamt rückläufig.
KLAPPERT: Wir haben bereits die Kurzstrecken abgeschafft und die Veranstaltung auf einen Tag gelegt. Ein Grund des Teilnehmerrückgangs gegenüber den 70er und 80er Jahren ist, dass die Crosslauf-WM ursprünglich als Mannschaftswettewerb begann und wir nur allmählich Einzelstarter zuließen, um gezielt viele Nationen anzusprechen. Leider hat sich diese Tendenz zu Einzelstartern verstärkt. Es treten kaum noch Mannschaften an, fast kann man von afrikanischen Meisterschaften sprechen.
SPIRIDON: Ich erinnere mich, dass 1987 in Warschau zum letzten Mal noch Schotten, Walliser und Nordiren mit eigenen Mannschaften starten durften, von da ab aber als Großbritannien starten mussten. Auch sonst hat sich der Cross verändert. Viele Jahre lang bestand die Tendenz zu Rennen auf der Pferderennbahn und relativ leichten Strecken.
KLAPPERT: Wir haben 1977 in Düsseldorf damit angefangen und zuschauermäßig war dass ja mit 10.000 Leuten ja auch ein Erfolg. Aber wir sollten den Flachläufen auf der Bahn und der Straße keine Konkurrenz machen. Der Crosslauf hat seine eigene Philosophie. Die 2.000-m-Runde hier im Park war im Grund in Ordnung, die Organisation war einwandfrei, wir haben spannende Rernnen gesehen, aber ich wünsche mir noch schwierigere Strecken bei einer WM mit Steigungen und Gefälle, mit Hindernissen und unterschiedlichen Böden.
SPIRIDON: Der damalige Präsident Nebiolo hat in seiner Heimatstadt Turin extra einen Parcours in der Stadt legen lassen …
KLAPPERT: Das war der falsche Weg und hat den Verband viel Geld gekostet. Nebiolo hat aber in vielem Recht behalten und seine Idee war, zu den Menschen zu gehen. Damals hatte der italienische Verband eine ganz andere Strecke in einem Park vorgesehen.
SPIRIDON: Die Einführung von Europameisterschaften hat auch für einen Aderlass an Teilnehmern bei der Cross-WM gesorgt.
KLAPPERT: Das ist richtig, aber man kann durchaus im Dezember bei der Europameisterschaft und im März bei der Weltmeisterschaft laufen.
SPIRIDON: 2011 wird im spanischen Huelva zum letzten Mal der jährliche Rhythmus bei der Cross-WM beibehalten. Danach wird sie nur noch alle zwei Jahre ausgetragen.
KLAPPERT: Das ist eine Entwicklung, die vor allem die kontinentalen Meisterschaften fördern soll. Ich hoffe sehr, dass 2012 die erste afrikanische Crosslauf-Meisterschaft stattfindet.
Aufgezeichnet von Manfred Steffny
Zur Person: Otto Klappert, 74, Studiendirektor i.R., seit 1987 Vorsitzender der „Cross-Country Commission“ für Cross und Straßenlauf des Internationalen Leichtathletik-Verbandes, dienstältester hoher Funktionär der IAAF, von 1973 bis 1989 Sportwart des DLV, früher deutsche Spitzenklasse über 400 m mit Bestzeit von 47,4 (1959).
SPIRIDON – Mai-5/2010