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03
10
2007

Aber schließlich bin ich keine 5000 oder 10 000 m gelaufen. Nach einem Marathon tun einem schon die Beine weh. Doch nach einem solchen Rekord ist alles perfekt. Es war mein Tag.

Ich mache das, was gut für mein Land ist – Marathon-Weltrekordler Haile Gebrselassie über Neid, seine Vorbildrolle in Äthiopien und eine eventuelle Präsidentschaft – Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost

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Der Äthiopier Haile Gebrselassie (34) stellte am Sonntag beim real-Berlin-Marathon mit 2:04:26 Stunden einen neuen Weltrekord auf. Die Morgenpost sprach am Morgen nach dem Rekordlauf mit dem 34-Jährigen.

Berliner Morgenpost: Herr Gebrselassie, wie fühlen Sie sich 24 Stunden nach Ihrem Weltrekordlauf?

Haile Gebrselassie: Ein bisschen steif noch. Aber schließlich bin ich keine 5000 oder 10 000 m gelaufen. Nach einem Marathon tun einem schon die Beine weh. Doch nach einem solchen Rekord ist alles perfekt. Es war mein Tag.

Haben Sie keine Kopfschmerzen vom Feiern?

Nein, nein. Aber am Sonntagabend hatte ich Kopfschmerzen. Es war schon alles ein bisschen viel: der Lauf, die Interviews, die Pressekonferenz, der Doping-Test, die Feier. Erst um ein Uhr ins Bett zu kommen, ist nicht unbedingt meine Sache.

Was war anstrengender, Rekord zu laufen oder zu feiern?

(lacht) Der Rekord dauerte nur zwei Stunden, vier Minuten und 26 Sekunden, die Party ging viel, viel länger.

Seit Jahren hatten Sie den Traum, Weltrekord zu laufen. Jetzt haben Sie es geschafft. Fallen Sie jetzt in ein großes Loch?

Keine Angst. Sicher ist ein Traum erfüllt, aber es geht weiter. Ich träume jetzt von einer Zeit von zwei Stunden und drei Minuten oder vielleicht sogar zwei Minuten. Es ist möglich, ich weiß das. Also, die große Leere wird nicht entstehen.

Hatten Sie jemals Zweifel, den Rekord brechen zu können? Schließlich hatten Sie Probleme bei einigen Marathonläufen zuvor?

Nein, ich habe eigentlich nie gezweifelt. Ich wusste, dass ich es schaffen kann. Ich habe über die Jahre auch dazugelernt, daher war ich in diesem Jahr absolut perfekt vorbereitet. Ich hatte mir noch Energie für den letzten Teil der Strecke aufgespart.

Ihre Landsmännin Gete Wami, die Siegerin in Berlin bei den Frauen, hat erzählt, jeder in Äthiopien habe gehofft, dass sie den Rekord knacken. Welche Rolle spielen Sie in Ihrer Heimat?

Ich bin Vorbild für sehr viele.

Das ist eine schwere Bürde

Das kann man sagen. Sie müssen sehr vorsichtig sein, wenn viele in Ihre Fußstapfen treten wollen. Nicht nur als Läufer, sondern auch als Mensch. Ich trage eine sehr große Verantwortung, weil sich so viele nach dem richten, was ich tue. Manchmal sehe ich sie wie meine Kinder an. Ich muss immer auf dem richtigen Weg sein – und sollte keinen Fehler machen. Aber ich bin ja auch nur ein Mensch.

Alles schaut auf Sie, vermissen Sie nicht, ganz privat sein zu können?

Ja, schon seit langer Zeit. Aber das ist eben so.

Fühlen Sie sich wie in einem goldenen Käfig?

Vielleicht kann man das manchmal so sagen. Wenn ich mal mit meiner Frau und den vier Kindern unterwegs bin, kommt gleich jemand und will ein Foto oder ein Autogramm. Aber ich kann doch nicht nein sagen! Ruhe habe ich kaum. Wenn ich wieder zu Hause in Addis Abeba bin, muss ich gleich ins Büro, es gibt viele Meetings, Termine und ich muss mich um viele Dinge kümmern. Ich habe lernen müssen, auszuwählen. Ich mache vor allem das, was wichtig und gut für mein Land ist.

Sie haben einige Firmen mit 400 Angestellten, das bedeutet ebenfalls große Verantwortung, fühlen Sie sich unter Druck?

Druck ist das falsche Wort, das hieße, dass mir alles zu viel wäre, doch das ist es nicht. Sehen Sie, unser Land hinkt in vielem weit hinterher, es gibt sehr viel zu tun. Ich versuche, meinen Teil beizutragen.

Spüren Sie auch Neid in einem armen Land, schließlich sind Sie dort einer der Reichsten?

Neid mag es vielleicht geben. Schließlich habe ich alles, andere haben gar nichts. Aber ich gebe ja fast mein ganzes Geld, um eben Neid zu vermeiden. Das Beste, was ich machen kann, ist, den Leuten einen Job zu geben. Dann verdienen Sie Geld und haben eine Zukunft. Es ist ja keine Lösung, jemandem ein Jahr lang Geld zu geben. Und was ist dann?

Ihr Manager Jos Hermens hat einmal gesagt, er könne sich Sie sehr gut als Präsident von Äthiopien vorstellen. Wie sieht es aus mit einer politischen Karriere?

Na ja, ich habe schon eine Rolle im vergangenen Jahr gespielt, als ich mit anderen zwischen der Regierung und der Opposition vermittelt habe. Es ging um Oppositionelle, die nach der Wahl 2005 ins Gefängnis kamen. Unsere Gruppe hat es geschafft, dass sie nach einem Jahr und sechs Monaten freigekommen sind.

Was war genau Ihre Aufgabe dabei?

Ich stand als Vermittler in der Mitte, habe mit der Regierung und der Opposition gesprochen. Ich musste natürlich sehr vorsichtig sein, was ich sage. Unsere Gruppe hat sehr gute Arbeit geleistet. Sie hat es geschafft, dass Leute, die sich vorher feindlich gegenübergestanden, sich jetzt wieder nähergekommen sind. Es geht nicht darum, dass man gegeneinander kämpft, sondern um ein besseres Äthiopien.

Das ist Ihr Ziel.

Natürlich, Äthiopien muss sich weiter entwickeln. Aber ich Präsident? Come on! Zugegeben: Ich könnte als Präsident schon sehr viel für mein Land tun. Ich habe gute Kontakte zu vielen Ländern. Und nicht nur das, die Leute würden mir folgen. Aber jetzt lassen Sie mich erst mal meinen Sport machen – dann sehen wir weiter.

Sebastian Arlt
Berliner Morgenpost
Diensytag, dem 2. Oktober 2007

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