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09
08
2013

Christian Reif, 28, Europameister 2010, zählt zu den derzeit erfolgreichsten deutschen Leichtathleten. Er hat ein abgeschlossenes Sportwissenschaft-Studium und studiert zudem seit 2011 in Bayreuth mSportmanagement. ©EAA - European Athletics

„Ich könnte sehr gut auf Usain Bolt verzichten“ – Weitspringer Christian Reif im Interview – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Vor der Leichtathletik-WM in Moskau spricht Weitspringer Christian Reif über lebhaften Konkurrenzkampf, unschöne Situationen im Verband und seine Zweifel am Sprint-Weltrekordler.

 

SZ: Herr Reif, können Sie Weltmeister werden in Moskau?

Christian Reif: Theoretisch ist das möglich. Ich gehöre zu den schnellsten Weitspringern der Welt, ich bin mental stark genug, und meine Bestleistung, 8,47, liegt auch im Bereich, in dem das möglich ist.

Muss man an den Erfolg glauben,weil es anders erst recht nichts wird?

Wenn Sie mich nicht danach gefragt hätten, hätte ich mich mit dem WM-Titel kaum beschäftigt.Das ist nicht mein erstes Ziel. Dafür ist die Leistungsdichte im Weitsprung viel zu groß.

Die Weitspringer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) sind im Hoch mit Ihnen, Hallen-Europarekordler Sebastian Bayer und Alyn Camara. Ziehen Sie was aus dieser Konkurrenz?

Absolut. Wenn ich bei den deutschen Meisterschaften nicht so unter die Räder gekommen wäre als Dritter mit 7,90 Metern hinter Alyn (8,15; d. Red.) und Sebastian (8,04), dann wäre ich nicht in der Form, in der ich jetzt bin. Das war ein Wachrütteln.

Wie gehen Sie mit den Kollegen um?

Wie mit jedem anderen Menschen auch. Das Verhältnis hängt davonab, wie derjenige mit mir umgeht. Wenn das gut ist, ist das Verhältnis auch gut. Ich habe viele Freundschaften in der Leichtathletik, auch im Weitsprung. Aber es gibt auch Leute, die man weniger mag oder mit denen man vielleicht nichts zu tun hätte, wenn man nicht Weitsprung machen würde.

Ihr professionelles Nicht-Verhältnis zu Sebastian Bayer, Ihrem Nachfolger als Europameister, ist bekannt. Aber was passiert, wenn ein Jungspund wie der Leverkusener Camara vorbeizieht?

Das ist für mich nicht überraschend. Ich habe seine Entwicklung ja mitbekommen, dadurch, dass wir gemeinsam im Trainingslager waren und ichWettkämpfe gegen ihn bestreite. Das ist der Lauf der Zeit. Irgendwann kommen neue Leute nach. Das ist ja auchdas Ziel guter Nachwuchsarbeit.

Wie finden Sie die beim DLV? Was sind Ihre Erfahrungen damit?

Ich komme aus einer kleinen Gemeinde, aus Böhl-Iggelheim. Da haben mich meine Eltern gefördert, indem sie mit zu den Wettkämpfen gefahren sind, das war wichtig. Bis jemand mit fundierten Sportkenntnissen gesehen hat, dass aus mir was werden kann, musste ich es erst mal zu deutschen Jugendmeisterschaften schaffen. Da war ich Sechster, und man hat gesehen, wer mit der ungeschliffenen Technik so weit springen kann, der kann nicht so schlecht sein. Das hat mir mein damaliger Trainer Juri Tscherer gesagt. Aber wenn der nicht aus der Region gekommen wäre, hätte ich keine Chance gehabt, mich weiter zu entwickeln.

Bei der Talentsichtung gibt es viel Verbesserungspotenzial. Haben Sie sich danach vom DLV gut gefördert
gefühlt?

Bei mir ging das ganz gut. Ich bin schnell im Kader gewesen. Das ist eine schöne Bestätigung, da ist man sehr stolz. Aber ich denke, man müsste die Athleten mehr in die Pflicht nehmen. Dass man sagt: Hör mal zu, wenn du wirklich gute Leistung bringen willst, dann musst du auch kooperieren, das heißt, dass du möglicherweise von zu Hause an einen der Stützpunkte wechseln musst, die in deiner Disziplin sehr gut funktionieren, zum Beispiel Weitsprung in Saarbrücken oder Werfen in Halle/Saale oder Magdeburg. Das muss man vielleicht auch an die Förderung koppeln. Förderung bekommt nur der, derbereit ist, Schritte zu gehen, die der Verband für geeignet hält, um Topleistungen zu bringen.

Sie finden eine Hinwendung zu zentraleren Strukturen gut, die der DLV offenbar auch wieder mehr bevorzugt. Dabei funktionieren zentrale Strukturen doch gerade in der Leichtathletik gar nicht richtig. Die Erfolgeder vergangenen Jahre kamen oft von Athleten aus regionalen Zellen, die der DLV ohne Bevormundung begleitete. Genau dort beschweren sich manche Trainer, dass derDLV sie zu sehr von oben herab behandle.

Das ist natürlich die Gefahr. Ich möchte nicht sagen, dass man nur Riesenzentren haben soll. Aber die Sportler müssen dem Verband folgen. Zum Beispiel: Ein begabter Athlet hat im Winter keine Halle oder keinen Kraftraum, oder die Physiotherapie ist so weit weg, dass er nicht drei, vier Mal in der Woche dorthin kann. Dann muss der Verband dem Athleten sagen, du musst dich verändern oder du kriegst wenigerFörderung.

Und wenn er seine Standortnachteile kompetent ausgeglichen hat und gut ist? Wären Sie in Böhl-Iggelheim der Acht- Meter-Springer geworden, wären Sie nach Saarbrücken gegangen?

 

         "Außerhalb des Sprints hat Bolt, glaube ich, nicht so viel auf der Pfanne“

 

Wahrscheinlich nicht. Aber davor muss man die Frage stellen: Gibt es in Deutschland wirklich viele Beispiele unter den erfolgreichen Leichtathleten, bei denen die Bedingungen nicht optimal sind? Wir werden nicht viele finden.Es ist immer gefährlich, wenn man sich angreifbar macht, und ein Sportler, der die ganze Saison draußen trainiert, sich dadurch vielleicht einen Muskelfaserriss zuzieht, der wird es immer schwerer haben als einer, der eine Halle an seinem Ort hat. Der kann sehr gut sein. Aber derwäre vielleicht noch besser,wenn er die besten Möglichkeiten hätte. Wir gehen schließlich von der besten Unterstützung aus. Wir haben teure Trainingslager, wir bekommen die besten Physiotherapeuten, wenn ein Athlet verletzt ist, kann er zu DLV-Ärzten fahren und kriegt das bezahlt. Wenn er aber ansonsten rumschlampt, weil er alles haben möchte, den Freundeskreis um sich, die alten Verbindungen – das finde ich nicht so optimal.

Aber was sagen Sie zu jemandem wie dem Hürdensprinter Matthias Bühler? Der schlampt bestimmt nicht, trainiert aberbeiseinemOffenburgerTrainer-Urgestein, hat DLV-Maßnahmen nur bedingt wahrgenommen, wird deutscher Meister und sieht statt seiner den verbandsnäheren Erik Balnuweit aus Leipzig für die WM ominiert, bloßweil dessen Saisonbestleistung um eine Hundertstelsekunde besser ist. Geht da die Willkür des Verbandes nicht zu weit?

Ich verstehe, dass Matthias gegen die Nominierung geklagt hat (vergeblich nachUrteil desDLV-Gerichts; d. Red.). Ich würde es genauso machen. Ich werde mich mit dieserAussage nicht beliebtmachenbeimVerband, die Entscheidung hat dem DLV sicher selbst keinen Spaß gemacht. Aber der Fall Bühler hat einen Beigeschmack, weil Cheftrainer Cheick-Idriss Gonschinska Trainer von Balnuweit in Leipzig war.

Und der Hürdensprint-Bundestrainer Jan May auch.

Matthias Bühler bringt seit Jahren Top-Leistungen und ist bei deutschen Meisterschaften immer wieder vor allen anderen. Klar, dass das ein paar Leuten stinkt.

Wie geht man mit den Interessenskonflikten um, die aus dem Umstand entstehen können, dass viele Disziplin-Trainer des DLV Heimtrainer oder ehemalige Heimtrainer von Nationalathleten sind? Ihr Coach Uli Knapp ist ja auch DLV-Trainer, Alyn Camara und Sebastian Bayer trainieren woanders.

Man muss fair sein: Der Bundestrainer ist nur beteiligt an der Nominierung, die Entscheidung selbst trifft der Bundesausschuss Leistungssport. Trotzdem, das ist keine gute Situation, wenn der Bundestrainer einen starken Heimathleten hat und es bei der Nominierung spannend wird. Das muss man ganz deutlich sagen, ohne jemandem was vorwerfen zu wollen. Andererseits kann man auch nicht sagen, keiner darf beim Bundestrainer trainieren. Das sind einfach zu gute Leute.

Das Problem ist also nicht zu lösen.

Nein. Aber . . . wenn Matthias Bühler vielleicht ans Leistungszentrum in Leipzig gegangen wäre, wo Erik Balnuweit trainiert, wo Jan May arbeitet und Cheick-Idriss Gonschinska gearbeitet hat, dann wäre das Problem vielleicht gar nicht so gekommen.

Das darf keine Rolle spielen.

Natürlich nicht. Die Sache ist ganz unschön. Man hätte wohl keinen nominieren dürfen. Denn beide geht nicht, wenn keiner die A-Norm hat. So sind die Regeln des Weltverbandes. Aber wenn man einen mitnehmen will, von dem man glaubt, dass er der Bessere ist, bloß weil seine Saisonbestzeit um eine Hundertstelsekunde besser ist, dann ist das wirklich nur Glaube.

Ganz anderes Thema: Vertrauen Sie Ihren Gegnern bei derWM?

Ich wäre naiv, wenn ich das tun würde. Sie meinen das Thema Doping.

Genau.

Wenn ich davon ausgehe, dass alle Menschen sauber sind, dann würde ich vergessen, was in den vergangenen Wochen passiert ist. Die positiven Fälle waren zwar nicht im Weitsprung, aber wenn ich sagen würde, das passiert nur im Sprint, nur bei Russen, Türken und Jamaikanern, dann würde ich auch annehmen, dass man nur in diesen Ländern Steuern hinterzieht und Ehen bricht. Doping ist ein Problem der Menschen, die immer gieriger werden. Es ist möglich, dass einer der 34, 35 WM-Weitspringer nicht sauber arbeitet.

Wie gehen Sie damit um?

Ich trainiere so gut, dass ich alles aus mir raushole, und wenn das nicht reicht, dann reicht es halt nicht. Ich sage natürlich nicht grundsätzlich, dass der Bessere gedopt ist. Aber es gibt schon seltsame Saisonverläufe. Viele Athleten trauen sich nicht, das zu sagen, aber es ist schon so: Wir kennen uns alle sehr gut in unserer Sportart aus und können sagen, ob eine Leistungssteigerung von 35 Zentimetern in kürzester Zeit möglich ist oder eher nicht.

Der Verdacht ist ein Thema nach den jüngsten, sehr unterschiedlichen Doping-Fällen im Sprint. Man sagt: Wenn um den Übersprinter Usain Bolt so viele gedopt sind, ist es schwer zu glauben, dass ausgerechnet er sauber sein soll.

Das ist die schnellste und einfachste Herleitung der jüngsten Fälle, die man den Menschen auch zugestehen muss. Das ist einfach jenseits der Vorstellungskraft vieler Leute und – wenn ich ganz ehrlich sein soll – auch für mich: Wenn die acht besten 100-Meter-Läufer der Geschichte hinter Usain Bolt positiv getestet wurden und er nicht, dann ist das für mich schwer nachvollziehbar. Deswegen muss er sich diese Herleitung gefallen lassen. Er scheint ja drüber zustehen. Aber es würde mich nicht wundern, wenn er irgendwann genauso wie Lance Armstrong scheitern wird.

Finden Sie es gut, dass die Leichtathletik so eine Überfigur hat wie Usain Bolt?

Manchmal hat man das Gefühl, man braucht ihn. Zum Beispiel in Rom. Das Olympiastadion war beim Meeting dort seit Jahren nicht mehr so voll wie in dem Jahr, als er in der Diamond League dort gelaufen ist. Ich habe es selbst bei Wettkämpfen in Oslo oder Stockholm mitbekommen: In dem Moment,in dem seinLauf vorbei ist, halbiert sich die Zuschauerzahl im Stadion fast. Ich könnte mir vorstellen, dass das bei den Fernsehzuschauern auch so ist. Aber ich persönlich könnte sehr gut auf Usain Bolt verzichten.

Warum?

Wenn man von dem ausgeht, was ich glaube, schadet er einfach zu vielen anderen Sportlern. Ich kann nicht sagen, dass er gedopt ist. Ich kann nur Vermutungen anstellen – und die teilen komischerweise sehr viele Menschen. Andererseits gibt es wahrscheinlich genauso viele, die alles machen würden, um ein Foto mit ihm zu bekommen. Irgendwie ist er trotzdem sehr schillernd. Auch wenn ich sehr kritisch mit ihm umgehe: Es ist doch ein Ereignis, wenn er die Bahn betritt. Dann geht das Blitzlichtgewitter los,dann passiert was ganz Besonderes. Da vergisst jeder für einen Moment, dass das vielleicht ein Sportler ist, der seine Leistung anders erbringt als andere.

Haben Sie mal biomechanisch ausgewertet, wie Usain Bolt rennt?

Ich selbst nicht, aber ich habe viel mit Trainern gesprochen und viel gehört. Die Leute sagen mir: Bolt verbinde bei seiner Größe riesige Schritte mit einer hohen Frequenz und sei deshalb schneller als alle. Ich sage: Ja klar, aber Länge mal Frequenz ergibt nun mal Geschwindigkeit, im Grunde sagst du mir damit nichts anderes als: Er ist schnell. Wenn Bolt diese große Schrittlänge bewerkstelligen kann, dann liegt das einmal daran, dass er groß ist, 1,96 Meter. Aber auch daran, dass er unglaubliche Kraft hat,um diese Hebel zu erbringen. Bisher hat es kein anderer Mensch auf der Welt geschafft, bei der Größe so schnell zu laufen. Warum schafft er das? Das ist wahrscheinlich nicht nur genetisch bedingt. Ich glaube, die Leute machen sich die Sache mit Usain Bolt zu einfach. Sie möchten Helden kreieren. Sie möchten sich an was festhalten, dazu eignet sich so ein Held. Aber der Held darf kein Ansehen verlieren.

Haben Sie Bolt mal kennengelernt?

Kennengelernt wäre zu viel gesagt.Wir haben nie ein Wort gewechselt. Ich glaube nicht, dass ich überhaupt die Chance dazu hätte. Und ich bin auch nicht so sehr interessiert daran. Ich glaube nicht, dass er mir irgendwas sagen kann, was mich im Leben weiterbringt. Das ist wirklich nicht böse gemeint, aber außerhalb des Sprints hat er, glaube ich, nicht so viel auf der Pfanne. Und Tipps möchte ich nicht von jemandem, dem ich nicht vertraue.

 

INTERVIEW: THOMAS HAHN in der Süddeutschen Zeitung, Donnerstag, dem 8. August 2013

author: GRR

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