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01
2016

Kopf der Bande war Präsident Lamine Diack, der die IAAF bis August 2015 führte. ©Horst Milde

IAAF – Unerträgliche Vetternwirtschaft in der Leichtathletikwelt – Michael Reinsch, Unterschleißheim, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Welt-Leichtathletik hat sich über Jahre in der Hand einer kriminellen Bande befunden. Das ist der Befund, den die unabhängige Untersuchungskommission der Welt-Anti-Doping (Wada) im zweiten Teil ihres Berichts kommt, den sie am Donnerstag in einem Hotel in Unterschleißheim bei München der Öffentlichkeit vorstellte.

Kopf der Bande war Präsident Lamine Diack, der die IAAF bis August 2015 führte. Diack habe demnach 2011 seinen persönlichen Rechtsberater Habib Cissé mit dem Management der Sanktionen von Blutdoping-Fällen in der russischen Leichtathletik betraut und damit die Erpressung der Athleten unter Beteiligung seiner Söhne Papa Massata und Khalid Diack ermöglicht.

Es habe an Governance-Strukturen gefehlt, mit denen sich die Beschäftigten der IAAF hätten wehren können. Der Leiter der Anti-Doping-Abteilung, Gabriel Dollé, wurde bestochen.

Richard Pound, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees und Gründungspräsident der Wada, der die Untersuchung gemeinsam mit dem kanadischen Anwalt und Rechtsprofessor Richard McLaren sowie Günter Younger vom Landeskriminalamt Bayern führte, warf der IAAF unerträglichen Nepotismus und unangemessene Strukturen vor. Er gab sich irritiert von der Haltung des neuen IAAF-Präsidenten Sebastian Coe, dass es sich bei dem Skandal um das Fehlverhalten „einzelner, früher mit der IAAF assoziierter Personen“ handele.

Die IAAF müsse endlich anerkennen, dass sie als Verband betroffen sei; Diack sei schließlich vier Mal zum Präsidenten gewählt worden.

Lob für Coe

Gleichwohl lobte er Coe, der zu der Pressekonferenz erschienen war, als jemanden, dessen untadeliger Ruf der IAAF helfen könne, ihr lädiertes Ansehen wiederherzustellen. Dass Coe die IAAF führe, sei für diese eine fabelhafte Gelegenheit. Sie müsse ein enormes Defizit an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, und dabei könne ihr jemand wie Coe nur helfen.

Auf die Frage, ob Coe lüge, wenn er behaupte, er habe in acht Jahren als Vizepräsident der IAAF nichts von Manipulationen bemerkt, antwortete Pound: „Ich glaube nicht.“

Die französische Staatsanwältin Eliane Houlette stellte im Anschluss die Ermittlungen der französischen Justiz gegen Diack, Cissé und Dollé vor. So lange sie nicht verurteilt seien, mahnte sie die Journalisten, hätten sie als unschuldig zu gelten.

„Im organisatorischen Sinne ist der Skandal nicht so gravierend wie der der Fifa“, sagte Pound. „Aber was uns besorgt, ist, dass Wettkämpfe selbst berührt wurden.“ Vier russische Athleten, die hätten gesperrt werden müssen, nahmen an den Olympischen Spielen 2012 in London teil. Über Konsequenzen wollte er sich nicht auslassen. „Das Verhalten (der IAAF) war nicht gut. Aber sollte der ganze Sport den Preis dafür bezahlen?“
 
„LD war verantwortlich für die Organisation und Ermöglichung der Verschwörung und der Korruption, die in der IAAF stattfanden“, heißt es über Lamine Diack in dem Report. „Er sanktionierte und scheint persönliche Kenntnis vom Betrug und von der Erpressung von Athleten gehabt zu haben, welche die informelle, illegitime Führungsstruktur ausführte, die er eingerichtet hatte. Er erklärte sein Tun den hart arbeitenden, aber ziemlich naiv vertrauenden Beschäftigten der IAAF damit, dass seine Hände durch Verabredungen mit Russland und anderen gebunden seien.“
Verdächtige Vergabe der Titelkämpfe

McLaren sagte, dass der Fall anderen Verbänden beispielhaft illustriere, wie leicht die Haltung (Governance) eines Verbandes zu manipulieren sei und wie notwendig eine Selbstprüfung sei. „Wir haben nur die Spitze des Eisberges untersuchen können“, sagte er über die Erpressung der Marathonläuferin Lilijana Schobukowa durch den Diack-Clan wie Führungskräfte des russischen Verbandes. Einen beschränkten Einblick macht die Kommission für ihren gesamten Bericht geltend. Ihre Arbeit sei allein auf die Sportart Leichtathletik und allein auf Russland konzentriert gewesen.

McLaren sprach auch die Wahl von WM-Städten als Kern des Interesses der informellen und illegitimen Führungsstruktur des Verbandes an. Insbesondere die Vergabe der Titelkämpfe 2019 an Doha in Qatar und praktisch an den amerikanischen Sportartikelhersteller Nike zu dessen Jubiläumsjahr 2021 durch die Bestimmung von Eugene (Oregon) haben durch Hinweise auf Bestechung und autokratisches Verhalten von Diack erhebliche Verstimmung und Verdacht erregt. Auch die Akquise von Sponsoren wie der russischen VTB-Bank sei verdächtig.

Ist das möglich? Sebastian Coe will nichts von Lamine Diacks Vergehen gewusst haben.

Pound nahm die Leichtathletik vor dem Vorwurf von ARD und Times in Schutz, Blutwerte belegten, dass die IAAF abnorme Werte ignoriert habe. Vielmehr habe die IAAF stets die neuesten Verfahren angewandt.

Coe’s Wort von Diack als seinem „geistiger Präsident“ spielte er herunter. Wenn man ein Amt in einem internationalen Verband antrete, sage man halt etwas Nettes über seinen Vorgänger. Man sollte Coe diese Albernheit nicht vorwerfen.

Verschleierung der Aktivitäten

Zumindest einige Mitglieder des Councils und einige leitende Beschäftigten der IAAF müssten von der Korruption und den Manipulationen gewusst haben, heißt es in dem Bericht.

Demnach übertrug Diack senior im November 2011 seinem Rechtsberater Habib Cissé das Management russischer Dopingfälle. Cissé besprach die Fälle direkt mit dem Präsdidenten des russischen Verbandes, Walentin Balachnitschew. Was er wusste, wurde der „Grundstock für die Korruption und Verschwörung, die in der Folge die IAAF auffraß“, heißt es in dem Bericht, „und gab (dem russischen Verband) Araf das Werkzeug in die Hand, sich in Aspekten so zu korrumpieren, wie in Report Nr. 1 beschrieben“. Cissé sei im Herz der Absprachen gewesen, das Ergebnis-Management durch Verzögerung und Einmischung in die Sanktionierung zu stören. Er sei auch Mitverschwörer in der Erpressng von Athleten um Strafen russischer Athleten zu vertuschen, zu verzögern oder zu verhindern.

Ein solcher Zugriff von außen ist vermutlich einmalig im Sport und zeigt die autoritäre Macht, über die Diack verfügte. Die Beschäftigung von Papa Massata Diack und Khalid Diack, zwei Söhne des Präsidenten, als Marketing-Berater, habe geholfen, ihre Aktivitäten zu verschleiern. Die beiden Söhne und Cissé fungierten als informelle, illegitime Governance structure, welche Diack senior absichtlich schuf.

Merkwürdiges Fazit: Richard Pound lässt Coe die Tür offen

Zum Vorwurf, dass es keine Möglichkeit für die Mitglieder des IAAF-Councils gegeben habe, das Ausmaß des Dopings und die Nichtbeachtung von Regeln nicht wahrzunehmen, erwidert Helmut Digel: „Es ist völliger Unsinn, das Council der Mitwisserschaft zu bezichtigen.“ Digel, ehemaliger Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und Leiter des sportwissenschaftlichen Instituts der Universität Tübingen, war Vizepräsident der IAAF und bis August vergangenen Jahres Mitglied des Councils.

In diesem Gremium sei niemals erklärt worden, warum Verbands-Rechtsanwalt Huw Roberts, der nun von der IAAF als Whistleblower beschrieben werde, ausgeschieden sei. Auch die Gründe für das Verschwinden von Garbriel Dollé, dem langjährigen Leiter der Anti-Doping-Abteilung, sei diesem inneren Rat niemals erklärt worden.

Michael Reinsch, Unterschleißheim, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 14. Januar 2016  

 

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