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IAAF-Kommentar – Das Doppelleben der Leichtathletik – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Eigentlich wird, sobald man auf der Website von iaaf.org „Report Doping“ anklickt, lediglich nach dem Wer und Wo und Was gefragt. Es folgt der dringende Hinweis, dass die Daten des Absenders zwar optional seien, Name und Telefonnummer aber eine große Hilfe bei der Verfolgung des Falles wären, Verzeihung: des angeblichen Falles.
Mit dieser juristisch zweifellos richtigen Formulierung sind wir bei der schlechten Nachricht.
Niemand weiß, mit wem er es zu tun hat, wenn er sich mit brisanten Informationen an die IAAF wendet. Ganz offensichtlich gibt es zwei Weltverbände dieses Namens. Der eine wird von Präsident Sebastian Coe in eine angeblich so leuchtende Zukunft von Transparenz und Sauberkeit geführt, dass sich andere Sportarten, nein: der gesamte Restsport ein Beispiel daran nehmen soll.
Die andere IAAF ist so etwas wie eine Mafia-Familie.
Von ihr erfahren wir ständig, dass sie ihren Anti-Doping-Kampf an der Höhe des Schutzgeldes orientierte: Je mehr der Doper zahlte, desto geringer die Verfolgung, bis zum völligen Verschweigen. Zusätzlich haben sich der ehemalige Verbandspräsident Lamine Diack und sein Clan Millionen Euro etwa an Werbegeld unter den Nagel gerissen, Verzeihung: Sie sollen sich den Batzen unter den Nagel gerissen haben.
Verrückt, dass der eine Verband keinerlei Verbindung zum anderen zu haben scheint. Die neue IAAF unter Coe äußert sich nicht zu all den Ungeheuerlichkeiten der alten IAAF. Das letzte Mal, dass dies geschah, war vor reichlich einem Jahr, als Coe zum Nachfolger Diacks gewählt wurde und diesen als seinen besten Ratgeber und geistigen Führer lobte.
Vielleicht war dieses unfassbare Lob der Beweis dafür, dass Coe in den acht Jahren seiner Vizepräsidentschaft unter Diack wirklich nichts mitbekommen hat von dem kriminellen Treiben.
Doch wenn er tatsächlich der prinzipienfeste Saubermann und Reformer ist, als der er spätestens seit dem Ausschluss der russischen Mannschaft von den Leichtathletik-Wettbewerben der Olympischen Spiele von Rio dasteht, warum hat sich ihm in all den Jahren niemand anvertraut, der etwas wusste?
Und warum sollte das jetzt jemand tun? „Report Doping“? Die erste Adresse ist der Staatsanwalt.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 30. November 2016