„I want to run“ – Die Langstreckenläufer – 4500 Kilometer in 64 Tagen: Die Dokumentation „I Want to Run“. Torsten Körner im Tagesspiegel
Der Langstreckenläufer sucht Geborgenheit in der Einsamkeit. Acht Läufer, acht Einsamkeitsspezialisten, acht Geborgenheitssucher porträtiert der Dokumentarfilmer Achim Michael Hasenberg in „I Want to Run“. Sie absolvieren die härteste Langstreckenroute der Welt, den TransEuropalauf vom italienischen Bari bis hoch hinauf zum Nordkap.
In 64 Tagen werden 4500 Kilometer zurückgelegt. Es gibt keinen Ruhetag, im Schnitt legen die Läufer 70 Kilometer pro Tag zurück. Die Haut fällt von den Füßen, Zehennägel werden schwarz, der ganze Mensch wird wund und mürbe. Geschlafen wird in Turnhallen, auf Iso-Matten.
Was sind das für Asphalt-Extremisten? Warum machen die das? Wer hält durch? Und warum? Regisseur Hasenberg lässt die Läufer sprechen, verzichtet auf Kommentare – eine gute Entscheidung.
Zu den Protagonisten zählen ein langmähniger Ex-Trucker und Marathon-Profi, ein leistungswütiger Optikermeister, ein Friseur aus Frankreich, eine Hausfrau aus Japan, eine deutsche Solarforscherin, die zu den schnellsten Frauen der Welt zählt, und ein an Multiple Sklerose erkrankter Familienvater der gegen den Muskelschwund kämpft: ein paar von 65 Kandidaten des Europalaufs 2009. Sie alle kämpfen, jeder für sich.
Während der Optiker mit soldatischer Selbstzüchtigung agiert, wirkt Achim, der Ex-Trucker, wie ein Hippie. Zwei schwedische Offiziere laufen im Auftrag der Armee und müssen immer zusammenbleiben, das ist ihr Einsatzbefehl. Joachim, der MS-Kranke, ist der Schmerzensmann im Feld, der mit trotzigem Selbstbehauptungswillen gegen den körperlichen Verfall anläuft.
Für einen großen Film fehlt „I Want to Run“ leider ein eigenständiger Rhythmus, die Musik legt sich mitunter zu schwer auf die Bilder, die zurückgelegte Strecke wird in den unterschiedlichen Gesichtern nicht immer kenntlich. Der Ultra-Lauf wird jedoch dann zur ungewöhnlichen Kinoreise, wenn Wind und Regen die Läufer peitschen, wenn die Autos vor den entgegenkommenden Läufern nervös zur Seite zucken und hupen, wenn die Helden stöhnend Essen fassen oder eine Herde Rentiere den Weg kreuzt.
Der Zuschauer kann die Läufer beobachten, ihnen zuhören und ihre Erschöpfungsgrade miterleben, gleichzeitig tritt ihre Individualität hinter dem großen Thema Laufen zurück. Der unpathetische, fast protokollartige Aufbau des Films transzendiert das Sujet: Der Lauf wird zur Metapher. Laufen die Läufer zu sich hin oder vor sich weg? Ist stete Bewegung Glück? Was vermag der Wille über den Körper? Ist die enorme Leistungsbereitschaft ein Triumph des Gier-Kapitalismus oder desertieren diese Läufer aus der Welt der marktflexiblen Überanpassung?
Zum Glück vermeiden der Film und seine Helden simple Antworten. Der Mensch war und ist von Natur aus ein Läufer. „I Want to Run“ erinnert daran, was möglich ist, wenn man sich auf den Weg macht.
Torsten Körner im Tagesspiegel, Donnerstag, dem 24. Mai 2012
Babylon Mitte – Berlin