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10
06
2010

Hürdenlauf auf Chinesisch – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Er ist Olympiasieger und hält den Weltrekord. Doch in die Diamond League scheint der Hürdensprinter Dayron Robles schlecht gestartet zu sein. „Ich will die Diamanten gewinnen“, sagt der Kubaner zwar, „aber das wird schwierig, denn ich bin einen Wettkampf hinterher.“

An diesem Donnerstag nimmt er in Rom die Verfolgung des Amerikaners David Oliver auf. Doch selbst mit einem Sieg kann er mit dem schnellsten Hürdensprinter des Jahres bestenfalls gleichziehen. Der Amerikaner hat vor zweieinhalb Wochen in Schanghai seine ersten vier Punkte in der Jahreswertung gewonnen.

Aber wo war Robles? „Ich hatte einen Anruf vom Veranstalter bekommen, dass sie mich lieber nicht am Start haben“, sagt er. „Unser Verband fragt den Weltverband, was das bedeutet.“ Der kubanische Botschafter sei, erzählt man in seiner Entourage, beim Sportministerium in Peking vorstellig geworden. Santiago Antunez, der Trainer des 23 Jahre alten Athleten, bestätigt, dass Robles einen Anruf erhalten habe, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass man gern auf ihn verzichten würde.
 
Bevorteilt? Auch ohne Robles lief Liu Xiang in Schanghai hinterher und wurde Dritter

Veranstalter des Sportfestes in der Expo-Stadt Schanghai ist der Niederländer Jos Hermens. „Das war nicht glücklich mit Robles und tut mir sehr, sehr leid“, sagt er. Ausgeladen habe er Robles nicht, beteuert er, lässt aber durchblicken, dass der chinesische Verband Druck gemacht habe. „Nur ein Problem der Kommunikation“, beteuert Hermens. „Robles ist in der vergangenen Woche bei uns in Hengelo gestartet, und die nächsten zehn Jahre ist er in Schanghai eingeladen.“

Unter Druck müssen sich vor allem die Lenker des Sports in China gefühlt haben. Vor zwei Jahren trieben sie ihren Hürdensprinter Liu Xiang an, den Triumph der chinesischen Olympiamannschaft in Peking mit einer Goldmedaille in der Leichtathletik zu krönen. Sie erlaubten nicht, dass der Läufer Entzündungen durch Kalkablagerungen in der Achillessehne in Ruhe auskurierte.

Der Olympiasieger von Athen kam nur bis in den Startblock des olympischen Vorlaufs. Dort überwältigten ihn die Schmerzen. Barfuß verließ er nach einem Fehlstart das Olympiastadion. Sein Trainer Sun Haipeng leistete unter Tränen Abbitte beim chinesischen Volk.
 
Erst ein Vierteljahr später durfte Liu sich in Houston in Texas operieren lassen – und ist bis heute nicht wiederhergestellt. Der Fuß tue immer noch weh, klagte der eigentlich so duldsame Athlet vor drei Wochen in Schanghai. Er sei immer noch nicht fit. Trotzdem trat er an. Da das beste Pferd im Stall lahmt, ging es für die staatliche Bürokratie – Sportverbände, Stadtverwaltung, Unternehmen – um Schadensbegrenzung. Liu sollte der Wettbewerb erleichtert werden. Und schon gar nicht sollte er seinem in China sehr beliebten Rivalen Robles unterliegen, der vor zwei Jahren in 12,87 Sekunden Lius Weltrekord unterbot.

„So offen haben sie das nicht gesagt“, erinnert sich Hermens. „Aber man konnte schon hören: Macht das Rennen nicht so schwer! Es wäre schlecht, wenn Liu nur Achter würde.“ Das Kalkül ging auf. Das Rennen wurde zwar das schnellste der Saison. Doch Liu kam, hinter dem Amerikaner Oliver (12,99 Sekunden) und seinem Landsmann Shi Dongpeng (13,39) in 13,40 Sekunden ehrenvoll auf Platz drei. Die Abwesenheit von Robles war gewiss hilfreich, war dieser doch in der Lage, vier Tage später in Ostrau 13,12 Sekunden zu laufen. Außerdem waren zwei weitere Chinesen im Rennen, die Liu nicht gefährdeten. Weltmeister Ryan Brathwaite schied durch einen Sturz aus.

Wenn Robles nach Schanghai gekommen wäre, hätte er selbstverständlich starten dürfen und auch sein übliches Antrittsgeld erhalten, beteuert Hermens. Er selbst habe bei den Absagen und Zusagen des Kubaners die Übersicht verloren. „Soll nicht wieder vorkommen!“

„Wir wollen von den Chinesen wissen, was passiert ist“

Patrick Magyar, Veranstalter von Zürich und Erfinder der Diamond League, bestätigt, dass die Veranstalter den Vorfall diskutieren. „Wenn man ihn wirklich ausgeladen hat, können wir uns das nicht bieten lassen“, sagt er. Noch aber wartet Magyar auf Antworten. „Wir wollen von den Chinesen wissen, was passiert ist“, sagt er. „Vielleicht haben finanzielle Forderungen eine Rolle gespielt.“ Manager Tony Campbell bestreitet, dass er und Robles zu hoch gepokert hätten.

Die Diamond League wäre kompromittiert, wenn vom Staat beherrschte Sportfunktionäre bestimmten, wer mitmachen darf und wer nicht. Schließlich haben IAAF und die Veranstalter sie ins Leben gerufen, damit sich die Besten regelmäßig miteinander messen. Magyar sagt es so: „Wir wären not amused.“ Offenbar war es nicht Dayron Robles, der schlecht in die Saison gestartet ist.

Ausgerechnet die Gastgeber der Olympischen Spiele von 2008 haben dem Sportsgeist ein Bein gestellt.

 Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 9. Juni 2010

author: GRR

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