2022 World Athletic Championships Eugene, Or July 15-24, 2022 Photo: Jiro Mochizuki@PhotoRun Victah1111@aol.com - www.photorun.NET #victahsailer
Hürdenläuferin McLaughlin: Ein „beamonhafter“ Weltrekord – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die Amerikanerin Sydney McLaughlin läuft bei der Leichtathletik-WM über 400 Meter Hürden in eine neue Dimension. Nun könnte sie Weltrekorde auf anderen Strecken anpeilen.
Im amerikanischen Team zählen sie ihre Erfolge nicht mehr in Goldmedaillen. „Das Wichtigste“, freute sich 800-Meter-Olympiasiegerin Athing Mu, als sie am Freitagabend für den Endlauf am Sonntag qualifiziert war: „Wir haben die Chance auf einen Sweep“ – also einen Dreifachsieg. Die amerikanischen Sprinter haben bereits in den Rennen über 100 und 200 Meter alle Plätze des Podiums für sich reklamiert, die amerikanischen Kugelstoßer ebenso – und die jamaikanischen Sprinterinnen.
Sydney McLaughlin – 2022 World Athletic Championships – Eugene, Or July 15-24, 2022 – Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun – Victah1111@aol.com – www.photorun.NET – #victahsailer
Die Mittelstreckenläuferinnen Mu, Raevin Rogers und Ajee Wilson könnten bei der ersten amerikanischen Weltmeisterschaft der Leichtathleten, die am Sonntag in Eugene (Oregon) zu Ende geht, die ersten amerikanischen Sportlerinnen sein, die auf einen Schlag Gold, Silber und Bronze zum ohnehin sehr amerika-lastigen Medaillenspiegel beitragen. Vor dem Wochenende, an dem das Publikum Siege von der Sprintstaffel der Männer und Medaillen von beiden 4-Mal-400-Meter-Staffeln erwartet, stehen für Team USA 9 Titel und 26 Medaillen zu Buche – drei Mal so viel wie das äthiopische Team auf Platz zwei gewonnen hat; es konnte drei Wettbewerbe für sich entscheiden.
Zwar kein Sweep, den verhinderte die couragierte Niederländerin Femke Bol, aber den spektakulärsten Sieg dieser Weltmeisterschaft bescherte am Freitagabend die 22 Jahre alte Sydney McLaughlin ihrem Heimatland. Die Olympiasiegerin von Tokio 2021 verbesserte in einem staunen machenden Lauf über 400 Meter Hürden zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren den Weltrekord. Am Freitagabend war sie vor etwa 20.000 begeisterten Zuschauern im neuen Hayward Field 73 Hundertstelsekunden schneller als bei ihrem Olympiasieg von Tokio im vergangenen Jahr und als erste Läuferin der Welt auf dieser Strecke in weniger als 51 Sekunden im Ziel: nach 50,68 Sekunden.
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Erst im Juni 2021 war sie die erste gewesen, die mit dem Weltrekord von 51,90 Sekunden als Erste die Schallmauer von 52 Sekunden durchbrach. Eine „beamonhafte Vorstellung“ kommentierten die Veranstalter begeistert in Anspielung auf den Weitsprung-Weltrekord von Bob Beamon von anno 1968. Die 8,90 Meter von den Olympischen Spielen von Mexiko blieben 23 Jahre lang unerreicht. Die deutsche Meisterschaft in diesem Jahr hätte Sydney McLaughlin, zum Vergleich, mit ihrem Rekord mit mehr als einer halben Sekunden Vorsprung gewonnen – die der Männer.
Femke Bol kam mit deutlichem Rückstand in 52,27 Sekunden als Zweite ins Ziel und verhinderte damit einen amerikanischen Sweep. Dalilah Muhammad wurde in 53,13 Sekunden Dritte, es folgten Shamier Little (53,76) und Britton Wilson (54,02). „Sie war so weit vorne, dass ich Zweifel hatte, ob es wirklich ein gutes Rennen war, obwohl es sich gut angefühlt hat“, sagte Bol. 1,59 Sekunden Rückstand: einen größeren Abstand zwischen WM-Gold und WM-Silber gab es auf dieser Strecke noch nie. „Ich wollte es einfach schaffen. Die letzten 100 Meter haben wirklich weh getan“, bekannte die Siegerin. Danach blieb sie einfach am Boden: sogar ihre Medaille, die in Eugene unmittelbar nach der Entscheidung ausgehändigt wird, damit die Sieger sie zum Feiern mit Familien, Freunden und Fans schon dabei haben, ließ sie sich im Sitzen umhängen.
Sydney McLaughlin – 2022 World Outdoor Championships – Eugene, Oregon – July 15-24, 2022 – Photo: Andrew McClanahan@PhotoRun – Victah1111@aol.com – www.photorun.NET – #victahsailer
Nach dem kleinen Sit-In auf dem Rasen von Hayward Field um ihren Erfolg zu genießen, kündigte die Athletin an, dass sie ihr erstaunliches Talent diversifizieren wolle. Sie und ihr Trainer Bob Kersee, Trainer und Ehemann der ehemaligen Siebenkämpferin und Weitspringerin Jacky Joyner-Kersee, hätten aus den 400 Meter Hürden einen Wettbewerb gemacht, den die Leute sehen wollten. Nun spreche der Coach von der Möglichkeit, auch die Weltrekorde über 400 Meter flach oder 100 Meter Hürden anzugreifen.
Die Athletin und ihr Trainer werfen damit ein Schlaglicht auf Bestleistungen aus der Hochzeit des Dopings, die bis heute die Rekordlisten kontaminieren. Den Weltrekord über 400 Meter hält seit 1985 mit 47,60 Sekunden Marita Koch aus Rostock. Die damalige DDR-Läuferin und ihre Rivalin Jarmila Kratochvilova aus der Tschechoslowakei sind die einzigen Athletinnen, die auf der Stadionrunde 48 Sekunden unterboten haben; Kratochvilova besitzt seit 1983 mit 1;53,28 Minuten den Weltrekord über 800 Meter.
Der Weltverband der Leichtathleten lehnte es ab, zur Jahrtausendwende neue Rekordlisten einzuführen. Den Weltrekord über 100 Meter Hürden hält seit 2016 mit 12,20 Sekunden die Amerikanerin Kendra Harrison, Zweite der Olympischen Spiele 2021 und der Weltmeisterschaft 2019. Sydney McLaughlin ist diese Strecke bereits in der Weltklassezeit von 12,65 Sekunden gelaufen.
Den Verdacht des Dopings und der Manipulation weist Sydney McLaughlin von sich. Ihr Glaube mache sie stark, sagte sie am Freitag. Gott habe ihr eine Gabe und eine Bühne gegeben, doch es gehe nicht um sie. Ihr Rennen sei gewiss nicht perfekt gewesen, es gebe immer etwas zu verbessern. Alles, was sie im Training erarbeitet habe, habe sie im Rennen zusammengefügt, nicht zu sehr drüber nachgedacht, sondern den Körper das tun lassen, was er so oft geübt habe: „Das ist das Beste, was man tun kann.“
Ob sie eine der anderen Strecken zusätzlich laufen werde, ob sie bei einem Wechsel die 400 Meter Hürden aufgebe oder nicht, das alles seien interessante Fragen, sagte sie, aber: „Ich lasse das meinen Trainer entscheiden.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 23. Juli 2022