„Jede faire Herausforderung ist hilfreich, damit wir nicht einschlafen”
Horst Köhler im Gespräch „Wir können die Würde des Sports neu entdecken“ – Michael Horeni und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Horst Köhler war schon als Schüler ein guter Allrounder, im Fußball wie in der Leichtathletik und im Handball. „Mein Sportlehrer meinte, ich hätte Talent, auch für mehr“, sagt Köhler. Bis heute ist er ein Bewegungsmensch. Im Interview spricht der Bundespräsident über die Gefahren der Kommerzialisierung, die Faszination des Laufens und das Ringen um Glaubwürdigkeit.
Die Welt rutscht in eine Wirtschaftskrise. Was erwarten Sie da vom Sport?
Zunächst: dass der Sport weitergeht. Er übersteht Krisen. Aber ich erwarte nicht, dass er unberührt bleibt. Man kann auch im Sport die Entwicklung mancher Blase erkennen, bei Transfersummen zum Beispiel, bei der Kommerzialisierung des Sports, bei der Art, wie Olympische Spiele finanziert werden. Das sind heute auch große Veranstaltungen des Geldes. Ich vermute, dass die Krise auch dort eine gewisse Dämpfung hervorrufen wird.
Sie verstehen das als Chance?
Ich finde, dass es beim Geld als Antriebsmotor für sportliche Ereignisse und für persönliche Leistungen auch Symptome von Exzessen gibt. Der Sport ist eingebunden in die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung, in die Globalisierung, in den Markt und in die weltweite Medienindustrie. Mit Olympischen Spielen werden gigantische Umsätze produziert. Immerhin entstehen auch Sportstätten, und die Verkehrsinfrastruktur wird verbessert. Aber es gibt auch das Beispiel von Ländern, die auf gigantischen Schulden sitzenbleiben und in denen sich für den Sport hinterher wenig geändert hat.
Wenn die Wettkämpfe zudem hauptsächlich darauf gepolt sind, in der Prime Time des amerikanischen TV-Marktes die größten Werbeeinnahmen zu machen, droht die Gefahr, dass der Sport in den Hintergrund tritt, instrumentalisiert wird für reinen Kommerz. Das schafft ein Ungleichgewicht. Milliardäre, die sich zum Vergnügen einen Klub im Ausland kaufen, mögen gute Absichten haben. Aber stellen Sie sich die Enttäuschung der Fans vor, den Schaden, der entsteht, wenn jemand erst reingeht mit viel Geld und sich dann, aus welchen Gründen auch immer, kühl wieder zurückzieht und den Klub seinem Schicksal überlässt.
Ich bin aber zuversichtlich: Die Krise kann auch dazu führen, dass wir die Würde des Sports neu entdecken. Das wird uns gelingen, wenn wir das eigentlich Faszinierende am Sport, das Ringen eines Menschen mit den eigenen Leistungsgrenzen, den fair geführten Kampf mit ebenbürtigen Konkurrenten, wieder zum wichtigsten Maßstab machen. Deshalb ist es mir auch so wichtig, dass der Spitzensport nie seine Verbindung zum Breitensport verliert.
Waren die Olympischen Spiele in China ein Event, um den Markt zu öffnen, oder haben sie das Land zum Guten verändert?
Die Pekinger Führung wollte der Welt Aufstieg und Erfolg Chinas demonstrieren. Sie hat dazu keine Mühen und Kosten gescheut. Man muss Respekt haben vor der Organisation, vor der Leistung der chinesischen Bauwirtschaft und vor der Gastfreundschaft. Aber natürlich war es auch eine Instrumentalisierung des Sports. Der politische Zweck war, China als Land zu präsentieren, das sich in die Weltgemeinschaft und in die Weltwirtschaft integriert. Das ist nicht nur eine Selbstbestätigung, sondern auch eine Adresse an die anderen Länder: Wir sind Teil der Welt. Darin sehe ich etwas Positives. Dass die Spiele eine Diskussion über Meinungs- und Pressefreiheit sowie Menschenrechte in China ausgelöst haben, war auch gut. Ich glaube, dass die Olympischen Spiele einen weiteren Beitrag zur Öffnung des Landes geleistet haben. Es braucht aber noch Zeit.
Was erwarten Sie in dieser Hinsicht von der Fußball-Weltmeisterschaft 2010?
Meine Hoffnung ist: Es wird ein afrikanisches Ereignis. Südafrika ist das Land, das die Weltmeisterschaft von seiner ökonomischen und administrativen Kapazität her ausrichten kann. Südafrika ist die Bühne; der ganze Kontinent ist das Theater. Überall in Afrika sind die Menschen stolz darauf, dass die Weltmeisterschaft bei ihnen ausgetragen wird.
Sie erleben das gewiss bei Ihren Besuchen dort.
Bei meiner ersten Reise nach Afrika im Juli 2000 hatte ich ein Treffen mit den Finanzministern des südlichen Afrikas. Vor dem Versammlungsraum sprach mich Trevor Manuel an, der südafrikanische Finanzminister zu der Zeit: „Schon gehört? Ihr habt gewonnen!“ Ich fragte: „Was gewonnen?“ – „Den Zuschlag für die Weltmeisterschaft 2006.“ Ich habe einen Juchzer gemacht – und schnell hinzugefügt: „Ich habe zwei Herzen in meiner Brust.“
Abends im Hotel rief mich dann zu meiner Überraschung Präsident Nelson Mandela an und gratulierte. „Wir hätten die WM gern bei uns gehabt“, sagte er. „Nun haben Sie gewonnen. Ich bin überzeugt, es wird eine gute Weltmeisterschaft.“ Das hat mich beeindruckt. Mandela war traurig, aber ohne Groll. Für ihn war klar: Fußball ist für Afrika wichtig. Auch als Möglichkeit, der Welt zu zeigen: wir begegnen uns auf gleicher Augenhöhe.
Was steht für Afrika auf dem Spiel?
Es wird tolle Fußballspiele geben, und wir werden mitreißende, begeisterte Zuschauer erleben. Die Stadien werden stehen und bespielbar sein. Ich würde gar nicht erwarten, dass die Afrikaner die Perfektion der Deutschen und der Chinesen kopieren wollen. Sie sollen es mit ihren Mitteln machen, dann wird es klappen. Wir aus dem Norden können ruhig merken, dass man auch ohne Klimaanlage leben kann.
Auch Spitzensportlern kann man zumuten, dass sie nicht nur in Luxushotels übernachten und trotzdem ein gutes Turnier spielen. Kritische Fragen zur Sicherheit der Sportler und Gäste müssen beantwortet werden. Und natürlich darf die Weltmeisterschaft die afrikanische Politik nicht zu sehr von den vielen anderen, ungelösten Aufgaben ablenken.
Was kann der Sport Afrika geben?
Selbstbewusstsein durch Leistung. Und Integration nach innen. Die meisten afrikanischen Staaten bestehen aus einer Vielzahl von Volksgruppen. In den Nationalmannschaften kommen die Ethnien zusammen; was zählt, ist allein das Können am Ball. Ich hoffe, afrikanische Mannschaften kommen weit bei der WM 2010. Neben uns. Außerdem: Die Mannschaften befolgen Regeln, sie halten sich an das Gebot des Fair Play; auch die Verlierer gehen anständig vom Platz. Und natürlich wird die Leistung entscheiden; sie wird als Erfolgsmerkmal anerkannt. Der Sport trägt zu einer guten Entwicklung afrikanischer Gesellschaften bei.
Und was bietet umgekehrt Afrika dem Sport?
Wenn afrikanische Teams Erfolg haben mit ihren vielen natürlichen Begabungen und ihrer Spielfreude, wenn sie im Turnier zeigen, dass sie mit mannschaftlicher Geschlossenheit weit kommen, dann ist auch das ein Hinweis darauf, dass Sport nicht überwiegend von Geld und Wissenschaft bestimmt wird. Sondern immer auch von der Natürlichkeit, der Disziplin und den Emotionen der Menschen.
Ist die Qualifikation eines afrikanischen Läufers für die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin, ist seine Einladung zu einem Sportfest in der westlichen Welt das Äquivalent zu einem Platz im Boot über das Mittelmeer? Und wird um diesen Platz nicht mit derselben Rücksichtslosigkeit gekämpft?
Wir sollten das nicht von oben herab sehen. Athleten bringen messbare, individuelle Leistung bis hin zur Einzigartigkeit. Dahinter steckt mehr als nur der Versuch, rauszukommen aus dem Elend. Richtig ist, dass international erfolgreiche afrikanische Athleten Einkommenskategorien erreichen, die für afrikanische Normalbürger unerreichbar sind. Aber wollen wir das kritisieren? Das zeigt doch nur, dass die Globalisierung auch Menschen aus den ärmsten Ländern Chancen bietet. Das finde ich gut.
Auf den Langstrecken kommt niemand mehr an den Afrikanern vorbei.
Nun gibt es bei uns solche, die das beklagen. Die die Frage aufwerfen: Sind wir denen gewachsen? Ich meine, vielleicht trägt es zur Nachdenklichkeit bei, dass wir erfahren: Es gibt Bereiche, in denen wir von Afrikanern lernen können, nicht nur im Sport. Die Konfrontation mit afrikanischer Exzellenz kann uns dabei helfen, das zu finden, was vielfach im Verhältnis zu Afrika fehlt: Respekt, die Erkenntnis der Gleichwertigkeit der Menschen – und der Vorteile von Zusammenarbeit.
Der Hunger nach Erfolg in den Entwicklungsländern macht unseren Medaillenplanern einige Sorge. Deutschland könnte seinen Platz im sportlichen Erfolgstableau auf Dauer verlieren. Sehen Sie diese Entwicklung auch als unumkehrbar an?
Nicht zwangsläufig. Der Mensch und seine Entwicklung sind unvorhersehbar. Man kann aus den jüngsten Ergebnissen nicht ableiten, dass Länder mit hohem Einkommensniveau wie Deutschland sportlich unentrinnbar absinken müssen. Da leben ja schon wieder Theorien von Dekadenz und Niedergang auf. Ich halte davon nichts. Wir müssen uns auf Veränderungen einstellen. Es sind neue Chancen. Wir können mit einer besseren Sichtung von Talenten, mit neuen Trainingsmethoden, mit neuen Erkenntnissen auch zur mentalen Vorbereitung eines Athleten und mit vorausschauend organisierter Vereinbarkeit von Sport und Berufsausbildung viel erreichen. Jede faire Herausforderung ist hilfreich, damit wir nicht einschlafen.
Ist Hunger nicht ein Wettbewerbsvorteil?
Er ist ein Antrieb. Aber selbst einem natürlichen Wunderläufer aus Afrika fällt der Erfolg nicht in den Schoß. Andererseits: Sattheit kann, wenn sie nicht aufgebrochen wird, ein Nachteil werden.
Sehen Sie schon Beispiele für die Anpassung an Herausforderungen?
Ich sehe erst mal noch Fragezeichen in den klassischen Disziplinen unserer Leichtathletik. Da stehen wir nicht so gut da. Großbritannien hat in Peking eine Menge Goldmedaillen geholt, aber die Briten haben sie auch dadurch gewonnen, dass sie sich auf technische Disziplinen konzentriert haben, in denen arme Länder noch nicht mithalten können. Das ist auch eine Anpassungsreaktion.
Ich fände es schade, wenn wir die Leichtathletik, „track and field“, anderen überlassen würden. Hier kommt es für den Einzelnen darauf an, den inneren Schweinehund zu besiegen. Sich nicht davonzustehlen, die Herausforderung anzunehmen. Optimale Sportförderung kann da viel ausrichten. Das Wichtigste bleiben für mich Freiheit und die Akzeptanz von Wettbewerb in der Gesellschaft.
Sie wollen Läufer sehen?
Das gebe ich gern zu. Manfred Germar, Heinz Fütterer und Martin Lauer waren Idole meiner Jugendzeit. Ich freue mich auf die Leichtathletik-Weltmeisterschaft im August in Berlin.
Sie haben in Peking nicht die Olympischen Spiele, sondern die Paralympics besucht. Was haben behinderte Spitzensportler, was nichtbehinderte nicht haben?
Sie lassen sich weniger von Nebensächlichkeiten beeindrucken. Sie müssen Barrieren überwinden, an die Nichtbehinderte gar nicht zu denken brauchen. Umso bemerkenswerter ist die Unbekümmertheit, mit der sie sich dem Leistungswettbewerb stellen. Mich begeistert die Freude, mit der die Athleten mit Behinderung dabei sind, und natürlich ihre teilweise unglaublichen Leistungen. Die Paralympischen Spiele machen klar: Sportler mit Behinderung bereichern unsere Gesellschaften weit über den Sport hinaus.
Haben die Paralympics China verändert, vielleicht mehr als die Olympischen Spiele?
Ich glaube, das gab es noch nie in diesem Maße, dass paralympische Sportler von der gastgebenden Nation so unterstützt worden sind. Unsere Paralympioniken haben große Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft erlebt, offiziell wie inoffiziell. Dabei wird von Ein-Parteien-Staaten doch eher erwartet, dass sie sich lieber mit dem Schönen, dem Starken, dem Perfekten präsentieren. China hat Paralympische Spiele geboten, die den Olympischen Spielen in nichts nachstanden. Das war auch eine Botschaft an die mehr als 80 Millionen Menschen mit Behinderung in China. Es verdient Respekt, dass China die Olympischen Spiele und die Paralympics gleichgewichtig behandelt hat. Das ist in der Abschlussbewertung bei uns eher zu kurz gekommen.
Würde die gesellschaftliche Bedeutung des Sports gestärkt, wenn man ihn im Grundgesetz verankern würde?
Ich bin für eine offene Diskussion, aber nicht nur nach dem Motto, wie kriegt jeder sein Anliegen ins Grundgesetz, sondern auch unter der Fragestellung: Wie weit will man eigentlich das Grundgesetz mit Einzelzielen bestücken? Ich bin ein großer Anhänger des Sports, aber unser bewährtes Grundgesetz verdient auch Ruhe.
Wir haben gehört, dass Sie nicht nur sehr ehrgeizig, sondern auch sehr talentiert Fußball gespielt haben. Standen Sie je vor der Frage, einen Profivertrag zu unterzeichnen?
Nein, so weit ging es nie. Ich war als Schüler ein guter Allrounder, im Fußball wie in der Leichtathletik, und Handball habe ich auch gespielt. Mein Sportlehrer meinte, ich hätte Talent, auch für mehr. Aber es war damals, zumal in meiner Familie, noch nicht so, dass man Profiverträge als Ziel sah. Ich bin aber bis heute ein Bewegungsmensch. Und obwohl ich Fußball immer noch gern sehe: Das ist und bleibt eine wichtige Nebensache.
Gibt es einen Moment, in dem Sie die Macht des Sports persönlich gespürt haben?
Ich werde nie den Leichtathletik-Länderkampf Amerika – Deutschland 1961 in Stuttgart vergessen. Damals habe ich den Sport zum ersten Mal bewusst auch als Wettbewerb zwischen Nationen wahrgenommen: Manfred Germar setzte sich im 200-Meter-Lauf gegen den scheinbar unbesiegbaren Amerikaner Frank Budd durch. Ich habe damals erlebt, wie unsere Sportler durch die Begeisterung der Zuschauer zusätzliche Kräfte bekamen. Umgekehrt waren die Sportler stolz, Deutschland im Wettbewerb zu vertreten. Da habe ich als junger Mensch schon davon geträumt dazuzugehören. Aber: Es kam bekanntlich anders.
Haben Sie das damals schon so analytisch gesehen, oder haben Sie erst mal „Deutschland, Deutschland“ geschrien?
Wir haben alle geschrien. In der Begeisterung für den Sport verschmolz die individuelle Haltung mit der Gemeinschaft, und das war ein positives Erlebnis. Zumal der Sport nicht mehr der Büttel der Politik war.
Haben Sie das in den Fanmeilen bei der Weltmeisterschaft 2006 wiedererkannt?
Ja. Es wurde großer Sport geboten. Die Nation war begeistert, und die Freude und der Stolz richteten sich nicht gegen andere, sondern die Deutschen fieberten auch mit anderen Mannschaften mit und gönnten ihnen den Erfolg. Ich weiß noch, wie die Leute sich freuten, als ich sagte: Jetzt bin nicht mehr der Einzige mit einer Fahne am Auto. Die Deutschen hatten ein schönes Gemeinschaftserlebnis. Da ich Wettbewerb, auch von Nationen, nicht ablehne, ist das für mich eine gute, natürliche Entwicklung.
Sie haben Manfred Germar laufen sehen, und Sie haben im Fernsehen auch Usain Bolt laufen sehen. Hand aufs Herz: Haben Sie auch gedacht, das kann nicht wahr sein!
Meine eigenen Erfahrungen von Wettkämpfen waren: Wenn einer gewonnen hat, war es meistens knapp; mit einem halben Meter oder so. Ein Meter Vorsprung ist auf hundert Metern eine ganze Menge. Und jetzt kommt einer plötzlich zwei, drei Meter vor den Besten der Welt ins Ziel. Das ist schon ungewöhnlich.
Ist solche Art von Verdacht ein Keil zwischen Spitzensport und Öffentlichkeit?
Das ist eine Gefahr. Doch ich kann und will über diesen Fall kein Urteil abgeben. Grundsätzlich hat die Unschuldsvermutung zu gelten. Aber unabhängig von Person und Beispiel: Doping ist eine Bedrohung für den Sport, und der Sport muss Doping entschieden entgegentreten. Wir wissen: Geld, übersteigerter persönlicher Ehrgeiz und medizinischer und wissenschaftlicher Fortschritt bilden eine Melange, die sich nur schwer auflösen lässt. Aber selbst wenn wir akzeptieren müssten, dass wissenschaftlicher Fortschritt womöglich immer neue Formen von Doping möglich macht, die sich zumindest am Anfang nicht aufdecken lassen:
Der Kampf gegen Doping darf nicht aufgegeben werden. Unsere Nationale Anti-Doping-Agentur sollte optimal ausgestattet sein, und die internationalen Regeln gegen Doping sollten weiter verschärft werden. Denn Resignation im Kampf gegen Doping, das wäre für mich ein Abstieg: für den Sport, für das zutiefst Menschliche darin, für Wahrhaftigkeit.
Wünschen Sie sich mehr Entschlossenheit?
Diejenigen Spitzensportler, die sich gegen Doping in den eigenen Reihen auflehnen, nehmen in Kauf, dass sie quer im Stall stehen. Das ist schwer genug. Sie brauchen dafür die Anerkennung der Gesellschaft. Politisch muss man einen harten Maßstab anlegen. Und man muss das Thema immer wieder offensiv in die Öffentlichkeit tragen. Ich will niemandem Leichtfertigkeit unterstellen. Aber man darf die kriminelle Energie nicht unterschätzen, die die Kombination von Gier, Geld und wissenschaftlichem Fortschritt möglich macht, weder bei Sportlern noch bei deren Entourage. Doping zerstört die Glaubwürdigkeit des Sports von innen.
Man soll sich auch mal über eine Bronzemedaille freuen und mit Platz vier zufriedengeben?
Das ist natürlich auch eine Frage an die Medien. Musste sich nicht in Athen eine Schwimmerin, kaum hatte sie angeschlagen, fragen lassen, warum sie nicht gewonnen hat? So etwas geht einfach zu weit. Wenn der Eindruck entstünde, der Bundespräsident ginge zu Olympischen Spielen, weil er erwartet, dass dort die Goldmedaillen nur so vom Himmel fallen, würde ich mich falsch verstanden fühlen.
Ich gehe da hin, weil ich Sport mag, aber auch, um unseren Sportlern zu zeigen, dass ich sie unterstützen will. Dann freue ich mich mit ihnen, oder ich leide mit ihnen. Aber immer lege ich Wert darauf, sie mit meiner Präsenz nicht noch weiter unter Druck zu setzen. Zurückhaltung gehört dazu. Das darf auch von den Medien erwartet werden.
“Athleten bringen messbare, individuelle Leistung bis hin zur Einzigartigkeit…
„Athleten bringen messbare, individuelle Leistung bis hin zur Einzigartigkeit. Dahinter steckt mehr als nur der Versuch, rauszukommen aus dem Elend”
Das Gespräch führten Michael Horeni und Michael Reinsch. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Freitag, dem 6. Februar 2009