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HOFFNUNGEN UND TRÄUME – Erfolg im Lauf in der Nachwuchsklasse = Erfolg bei den Aktiven? von Dr. Wolfgang Blödorn*
Die Europameisterschaften der U23 in Bergen (Norwegen) und die Europameisterschaften der U20 in Tampere (Finnland) dieses Jahres sind Vergangenheit.
Besonders die U23-Klasse, die unmittelbare Anschlussgruppe zur Klasse der Erwachsenen, zeigte sich in diesem Jahr so erfolgreich wie 2005, wie zuletzt vor zwanzig Jahren. Anlass genug, um zu analysieren, wie erfolgreich die Nachwuchsförderung im Deutschen Leichtathletik Verband (DLV) im Zeitraum der letzten zwanzig Jahren gewesen ist.
Wie optimistisch kann der DLV in seine sportliche Zukunft blicken? Waren die vorhandenen Strukturen in der DLV-Leistungsförderung sowie im Training hilfreich, um die Athleten im Nachwuchsbereich an die internationale Spitze der Erwachsenen heranzuführen? Am Beispiel des Blockes Lauf soll diese Frage geprüft werden.
An Talenten im Lauf hat es in der Vergangenheit nicht gemangelt!
In den vergangenen Jahren mangelte es dem DLV im Laufbereich keineswegs an Talenten. Robin Schembera, Rene Bauschinger, Patrick Zwicker, Alina Reh, Miriam Dattke, Wolfram Müller, Elias Schreml, Rene Herms, Marius Probst, Konstanze Klosterhalfen und Mohamed Abdilaahi – sie alle gewannen zwischen 2005 und 2023 Goldmedaillen bei den Nachwuchs-Europameisterschaften der U20- oder der U23-Klasse über die Mittel- und Langstrecken von 800 m bis 10 000 m. In diesem Jahr gesellte sich noch eine weitere Goldmedaille durch Jana Marie Becker über 800 m in der Klasse der wU20 hinzu. Doch nur eine der Goldmedaillen konnte in den vergangenen zwanzig Jahren auch bei einer Europameisterschaft (EM) der Erwachsenen wiederholt werden. Mögliche Hoffnungen und Träume, den Erfolg aus dem Nachwuchsbereich in die Klasse der Aktiven zu übertragen, sind nicht immer wahr geworden!

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Die Zahlen sprechen eine klare Sprache!
Zählt man zu den errungenen Goldmedaillen noch Silber und Bronze hinzu, erhöht sich die Gesamtzahl der Medaillengewinnerinnen und -gewinner im Nachwuchsbereich im Zeitraum von 2005 bis 2023 im Block Lauf auf 40 (ohne Gehen und Hindernis) bei nur acht Medaillen im Erwachsenbereich! Drei Athletinnen gelang das Kunststück, sowohl bei einer Nachwuchs-EM als auch bei einer EM der Aktiven im Freien eine Medaille zu gewinnen. Es waren Diana Sujew (1500 m), Konstanze Klosterhalfen (5000 m) und Alina Reh (10 000 m). Die Wahrscheinlichkeit, sowohl eine Medaille bei der EM im Nachwuchsbereich und bei der EM der Aktiven zu gewinnen, scheint nicht hoch zu sein.
Die Tabellen 1 und 2 (ohne die EM der U20 und U23 in 2025) zeigen deutlich: Die hohe Medaillenzahl im Nachwuchsbereich spiegelt sich nicht annähernd in der Erwachsenenklasse wider – weder bei Männern noch bei Frauen. Alle drei Ausnahmen der Nachwuchsläufer, welche auch in der Klasse der Aktiven eine Medaille erringen konnten, waren Frauen. Bei den Männern dahingegen: Fehlanzeige! Insgesamt nur weniger als jeder zwölfte Medaillengewinnerin bzw. -gewinner im Nachwuchsbereich konnte eine Medaille in der Klasse der Erwachsenen erkämpfen. Medaillen im Nachwuchsbereich können demnach nur eingeschränkt Hoffnungen auf ähnliche sportliche Erfolge in der Zukunft nähren und sportliche Träume wahr werden lassen. Dies ist eine nachdenkliche Nachricht für den DLV und die jungen Läuferinnen und Läufer sowie deren Trainerinnen und Trainer.
Was läuft mit der Leistungsförderung im DLV schief?
Bemerkenswert sind zudem einige Besonderheiten auf den unterschiedlichen Strecken und zwischen den beiden Geschlechtern. Insgesamt sind die Männer auf den Mittelstrecken erfolgreicher als die Frauen. Diese wiederum übertrumpfen die Männer auf den Langstrecken klar. Wie ist diese Geschlechterdifferenz zu erklären?
Die männlichen U20- und U23-Europameisterschaftsteilnehmer erzielten über die 800 m in der Summe die meisten Medaillen, aber keine im Erwachsenenalter. Sieben Medaillen, darunter vier Goldmedaillen, stehen im Nachwuchsbereich über 800 m zu Buche! Aber nicht eine einzige Medaille im Erwachsenenbereich! Wie kann diese nicht wirklich nachvollziehbare, klaffende Differenz über die 800 m männlich aufgeklärt werden?
Bei den weiblichen Europameisterschaftsteilnehmerinnen hingegen wurde die größte Zahl an Medaillen im 1500 m-Lauf und im 10000 m-Lauf mit jeweils sechs errungen. Fünf von sechs Medaillen davon stammen über 10000 m in der wU23-Klasse! Über die Strecke von 1500 m sieht es ähnlich aus. Auch hier gewannen die DLV-Nachwuchsläuferinnen ebenfalls fünf von sechs Medaillen! Deshalb wiederum die Frage, warum gelingt den Läuferinnen des Nachwuchses keine Fortsetzung ihrer Erfolge in der Frauenklasse?
Im Sport gibt es keine Garantie auf Erfolg!
Die Tabellen verdeutlichen, im Hochleistungssport gibt es keine Garantie auf Erfolg – wohl aber Wahrscheinlichkeiten auf Erfolge. Die statistische Auswertung zeigt: Erfolge in den Nachwuchsklassen geben statistisch gesehen keine Garantie für eine Fortsetzung der sportlichen Erfolge in der Klasse der Aktiven! Es sieht so aus, als würde über die langfristige Leistungsentwicklung bereits mit dem Grundlagen- bzw. Aufbautraining darüber entschieden, ob ein Talent seinen Leistungshöhepunkt in der U23 erreicht oder erst im Hochleistungsalter. Was bedeuten die hier angeführten Fakten für die kurz- bzw. mittelfristig oder die langfristig orientierte Zielsetzung im Nachwuchstraining?
Findet im DLV eine zu frühzeitige Spezialisierung statt?
Ein möglicher Grund für die fehlende Fortsetzung der sportlichen Karriere im Erwachsenenalter könnte eine zu früh begonnene Spezialisierung sein. DLV-Vorstandsvorsitzender Idriss Gonschinska hat hierzu auf einer Leistungssportkonferenz treffend formuliert: Eine frühe Spezialisierung in der Jugend ist kein Garant für Erfolg im Erwachsenenbereich. Weltklasseleistungen entstehen vielmehr durch ein variantenreiches, multidisziplinäres Training. Eine später erfolgende Spezialisierung begünstigt die Erfolgsaussichten in der Klasse der Aktiven zudem. Athleten und Trainer müssen demnach Geduld aufbringen, um sportliche Ziele und Erfolge bei den Europa- und Weltmeisterschaften in der Klasse der Aktiven oder bei Olympischen Spielen zu erreichen!
Die vorliegenden statistischen Ergebnisse und die Aussage des DLV-Vorsitzenden verdichten einen Verdacht: Junge Lauftalente werden bereits im Grundlagen- und Aufbautraining zu speziell trainiert.
Dies hilft anscheinend, Erfolge in den Nachwuchsklassen zu erringen, verringert die Erfolgsaussichten jedoch in der Klasse der Aktiven. Die Grundsätze der Trainingslehre zum langfristigen Leistungsaufbau scheinen in der Vergangenheit beim Nachwuchstraining nicht immer hinreichend genug beachtet worden zu sein. Der Eindruck entsteht, als wäre bei der Trainerausbildung des DLV in der Vergangenheit der Thematik einer frühzeitigen Spezialisierung nicht die notwendige und erforderliche Aufmerksamkeit eingeräumt worden.
Vorhandene Talente im DLV sollten behutsam, d.h. unter Beachtung von entwicklungsphysiologischen Grundlagen, an das Anschlusstraining und das Hochleistungstraining herangeführt werden.
Für die Berufung in DLV-Kader könnte dies bedeuten: Siege bei deutschen Meisterschaften im Nachwuchsbereich könnten auch durch einen Vorsprung in der körperlichen Entwicklung und/oder mit Hilfe einer frühen Spezialisierung errungen worden sein. Platzierungen bei den Deutschen Meisterschaften im Nachwuchsbereich sind damit nur ein eingeschränktes Kriterium für eine Berufung in die Nationalkader. Ein grundlegender Wechsel bei der Talentauswahl im DLV zu einem gezielterem Talentscouting scheint geboten zu sein! Eine frühzeitige Spezialisierung bereits im Kindes- oder Jugendalter ist auf der Basis der vorliegenden Tabellen in unserem sozial-kulturellen gesellschaftlichen Kontext nicht immer hilfreich, um im Erwachsenalter ebenfalls erfolgreich sein zu können!
Fazit
Hoffnungen und Träume sind Triebfedern im Sport, besonders im Leistungssport. Die Medaillenentwicklung bei den Europameisterschaften der U20 und der U23 der vergangenen zwei Jahrzehnte im Vergleich zu den Europameisterschaften der Erwachsenen weist mutmaßlich in die Richtung, dass die Motivation großartige Leistungen zu erringen, pädagogisch nicht hinreichend genug von den Trainerinnen und Trainern im Nachwuchsbereich gesteuert wurde. Die Erfolgsdifferenz an Medaillen zwischen Nachwuchs und Aktiven ist einfach zu groß.
Die vorliegende Analyse lässt erkennen, die Erfolge bei den Europameisterschaften der Erwachsenen im Block Lauf im Vergleich zum Nachwuchsbereich waren für den DLV dürftig. Dies trifft bereits auf die europäische Ebene zu. Um aber zur Weltspitze gehören zu wollen, bedarf es Erfolge bei den Olympischen Spielen oder den Weltmeisterschaften der Erwachsenen. Aufwand und Ertrag standen bisher im Block Lauf in einem Missverhältnis. Die Strukturen der Leistungsförderung im DLV sowie die Trainerausbildung scheinen grundsätzlich verbesserungsfähig zu sein. Ob diese Erkenntnis auch für die anderen Disziplinblöcke zutrifft, muss gesondert geprüft werden.
Dr. Wolfgang Blödorn*
*promovierter Sportwissenschaftler und ehemaliger Bundes- und Landestrainer – Kontakt: wbloed@gmail.com
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