Dr. Dr. Lutz Aderhold - Foto: privat
Hoffnung oder Zuversicht, was brauchen wir in dieser Zeit? – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Wir leben in einer krisenhaften und unsicheren Zeit mit Rezession, Kriegen, Migration, Rassismus, Antisemitismus, Religionsfeindlichkeit, Erstarken der Autokratien, Klimawandel und Gefährdung unserer freiheitlichen Demokratie wie auch Inneren Sicherheit.
Das Gefühl der Unsicherheit darf aber nicht zu Lähmung führen. Gerade jetzt brauchen wir beides: Hoffnung und Zuversicht! Aber warum ist das so und was bedeuten die beiden Begriffe?
Philosophen, Theologen und Psychologen haben über Jahrhunderte hinweg versucht, die Essenz der Hoffnung zu definieren. In der Antike hatte die Hoffnung eine ambivalente Bedeutung. Einerseits galt sie als wichtige Kraft, andererseits als Illusion. „Denn die Hoffnung ist das, was die meisten Menschen nährt“ (Sophokles, griechischer Dichter, 497-406 v. Chr.). Hesiod (Griechischer Dichter, 7. Jh v. Chr.) meinte die Hoffnung halte vom Handeln ab. Die Stoiker (um 300 v. Chr.) sahen Hoffnung als eine Emotion, von der wir uns befreien müssen. Im Christentum wird die Hoffnung zusammen mit dem Glauben und der Liebe zur Trias der theologischen Tugenden gemacht. Dieser Tugendbegriff wurde aus der heidnischen Ethik übernommen. Jahrhundertelang richtete sich der Mensch eben auf das Jenseits, dem Ort der Erlösung. Hoffnung spielte auch eine große Rolle in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King, in dessen Reden der Begriff immer wieder auftaucht.
Hoffnung kann einen emotionalen Charakter haben und ist auf einen Wunsch gerichtet. Sie wünscht sich etwas Gutes, was zwar möglich aber unsicher ist. Sie entsteht aus dem Wunsch, dass Dinge besser werden können, selbst wenn die aktuellen Umstände schwierig sind. Hoffnung ist oft passiv und kann in schwierigen Zeiten tröstlich sein, denn die Hoffnung ist das Gegenteil von Angst. Wir hoffen, wenn wir innerlich davon ausgehen, dass ein Unglück eintreten wird, und die Hoffnung unser letzter Strohhalm ist. Das Sprichwort: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist wahrscheinlich im 20. Jahrhundert entstanden und hat ein Zitat von Cicero zum Vorbild: „Dum spiro, spero“ – Solange ich atme, hoffe ich“ (Marcus Tullius Cicero, römischer Konsul und Philosoph, 106-43 v. Chr.). Außer in ganz schlimmen Momenten der Verzweiflung wird der Mensch immer eine gewisse Grundhoffnung haben. Das trifft selbst auf die Pessimisten zu, die hoffen, dass das erwartete Negative nicht eintritt. Der Pessimismus besitzt den Vorteil, dass man keine unangenehme Überraschung erlebt, wenn man sowieso einen negativen Ausgang erwartet. Nachteile sind Fatalismus, Resignation, schlechte Laune und die Angst vor der Zukunft. Angst und Pessimismus aber wirken eher lähmend.
Während Hoffnung oft mit der Zukunft verbunden ist, richtet sich Zuversicht auf das Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten. Sie ist das beruhigende Gefühl, dass wir genug Ressourcen haben, um Herausforderungen zu meistern. Zuversicht entsteht aus Erfahrung, Reflexion und oft auch aus der Unterstützung durch andere Menschen. Wenn wir uns bewusst machen, wie wir in der Vergangenheit Schwierigkeiten bewältigt haben, kann Zuversicht wachsen. Sie ermutigt uns, Risiken einzugehen, neue Wege zu erkunden und auf unsere Stärke zu vertrauen. Zuversicht gibt die Energie und den Willen, aktiv zu handeln und Veränderungen herbeizuführen. Zuversichtlich sind wir, wenn wir meinen, dass wir die Lösung unseres Problems selbst in der Hand haben. Während Hoffnung uns eher das Gefühl gibt, von etwas wegkommen zu wollen, steckt das Gegenteil bereits im Namen der Zuversicht: Wir bewegen uns zu etwas hin. Wenn man zuversichtlich oder sogar optimistisch ist, dann ist man vergleichsweise sicher, dass das Gute kommt. Deshalb ist die Hoffnung deutlich gedämpfter als die Zuversicht und der Optimismus. Diese stützen sich auf eine Gewissheit, die Hoffnung erwächst dagegen aus der Ungewissheit, was die Zukunft bringt.
In einer Welt, die oft von Unsicherheiten und Krisen geprägt ist, sind Hoffnung und Zuversicht notwendiger denn je. Wir können diese Qualitäten kultivieren durch:
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Achtsamkeit üben: Im Hier und Jetzt zu sein, hilft, sich von Überforderungen durch Zukunftsängste oder Vergangenheitsgedanken zu befreien. Achtsamkeit schafft Raum, um Hoffnung zu entwickeln.
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Realistische Ziele setzen: Kleine, erreichbare Schritte können das Gefühl der Kontrolle und damit die Zuversicht stärken.
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Netzwerke pflegen: Unterstützung durch Freunde, Familie oder Gemeinschaften gibt uns Halt. Ein Austausch mit anderen Menschen kann Perspektiven öffnen und Hoffnung erneuern.
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Dankbarkeit praktizieren: Sich bewusst zu machen, wofür man dankbar ist, schafft eine positive Grundlage für Zuversicht und Vertrauen ins Leben.
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Sinn finden: Das Streben nach einem größeren Zweck gibt Hoffnung eine Richtung und motiviert, weiterzumachen, selbst wenn es schwierig wird.
Grundsätzlich positives Denken wird auf Dauer unser Gehirn formen. Das bedeutet aber nicht, dass wir alles „schönreden“ und die Realität um uns herum negieren, also die „rosarote Brille“ aufsetzen sollten. Floskeln wie „Du kannst alles erreichen, wenn Du nur willst“ sind wenig hilfreich, weil sie naiv an der Realität vorbeigehen. Gemeint ist eine zugewandte, freundliche und zuversichtliche Lebenseinstellung. Positiv zu denken garantiert keinen Erfolg, erhöht aber die Erfolgswahrscheinlichkeit. Auch wenn ein Vorhaben nicht gelingt, verhilft positives Denken dazu, den Misserfolg besser zu bewältigen und wichtige Erfahrungen daraus zu ziehen. Übertriebener Optimismus („toxische Positivität“) ist Selbstbetrug, der den Weg zu Burnout und Depressionen ebnet. Ein positiver Realismus weitet den Blick, macht uns kritischer und schützt uns vor Manipulation.
Forscher empfehlen, das Leben lieber realistischer zu sehen. Sie haben herausgefunden, dass ein positiv eingestellter Realismus langfristig zu mehr Glück und psychischem Wohlbefinden führt, als eine optimistische oder pessimistische Einstellung. Menschen mit einer realistischen Sicht auf die Dinge treffen die besseren Entscheidungen für ihr Leben. Damit erleben sie weniger Enttäuschungen. Wir neigen nämlich dazu unser Wissen und unsere Fähigkeiten zu überschätzen (Overconfidence-Effekt). Lassen Sie Zweifel und unterschiedliche Ansichten zu, denn sie eröffnen die Chance auf neue Erkenntnisse.
Das Glück der Optimisten ist häufig die Erwartung, die seltener eintritt als beim Realisten. Pessimismus ist auch keine Lösung, weil die Angst vor dem Schlimmsten positive Emotionen verhindert. Auf lange Sicht ist der beste Weg zu Glück und Zufriedenheit ein möglichst rationaler, realistischer Blick auf die Welt ohne „Zwang zum Glücklichsein“. Beim Glücklichsein geht es nicht um realitätsfremde Weltanschauungen, sondern um die Fähigkeit, mit Achtsamkeit und Dankbarkeit (auch für kleine Dinge) einen resilienten Zustand der inneren Zufriedenheit zu schaffen. Im Zentrum steht dabei immer die eigene Entscheidung, der Mut zu den eigenen Bedürfnissen, der Mut zum „Nein“ und auch der Mut zur Veränderung.
Sind wir aber blind optimistisch werden wir oftmals scheitern. Grundsätzlich sollten wir an jede Sache positiv herangehen, Erwartungen realistisch einschätzen und Rückschläge einplanen. Unerwünschte Gedanken und Emotionen bewusst zu unterdrücken, macht sie am Ende nur stärker. Eine optimistische Grundhaltung ist unserer Gesundheit zuträglich. Optimisten haben weniger chronische Erkrankungen und eine 10-15% höhere Lebenserwartung. Suchen Sie das Positive, so oft wie es geht und meiden Sie das Negative. Praktizieren Sie Heiterkeit im Sinne einer ruhigen fröhlichen Gelassenheit.
Manche Menschen meistern Situationen, an denen andere verzweifeln. Noch mehr als Resilienz ist es die Haltung der Zuversicht, dass es zu einem guten Ausgang kommt, auch wenn die Umstände widrig sind. Das bedeutet nicht, durch positives Denken und unbeirrten Optimismus eine naive Hoffnung aufzubauen. Die Zuversicht macht sich keine Illusion über den Ernst der Lage, versetzt aber in die Lage, der Angst zu trotzen und die realistischen Spielräume zu nutzen, die zu erkennen sind. Diese Haltung schafft uns innere Freiheit und eine gewisse Unabhängigkeit von äußeren Umständen. Statt Ohnmacht und Resignation entsteht Aktivität und Handlung.
Hoffnung und Zuversicht haben nicht nur emotionale und mentale Auswirkungen, sondern auch physische. Studien zeigen, dass Menschen, die hoffnungsvoll und zuversichtlich sind, widerstandsfähiger gegenüber Stress sind und ein stärkeres Immunsystem haben. Zuversicht fördert produktives Handeln und bessere Entscheidungen, was letztlich zu einem erfüllteren Leben führen kann.
Hoffnung und Zuversicht sind zwei zentrale Begriffe, die uns in den schwierigen Zeiten des Lebens Orientierung und Kraft geben. Sie sind mehr als nur abstrakte Konzepte – sie sind tief in uns verankert und lebenswichtige Pfeiler, die uns helfen, Widrigkeiten zu überwinden, und uns inspirieren, auf ein besseres Morgen zu vertrauen.
Hoffnung und Zuversicht sind wie zwei Seiten einer Medaille – sie ergänzen sich und stärken uns auf unserem Lebensweg. Sie erfordern Pflege, Aufmerksamkeit und manchmal auch einen bewussten Akt des Glaubens. In einer Welt voller Herausforderungen sind sie ein kraftvolles Werkzeug, um Widerstandskraft zu entwickeln, Träume zu realisieren und das Leben in seiner vollen Tiefe zu verwirklichen. Hoffnung schenkt uns die Vision einer besseren Zukunft, und Zuversicht gibt uns die Kraft, den ersten Schritt dahin zu machen.
Bleiben Sie voller Hoffnung und Zuversicht, das wünscht Ihnen
Ihr Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Literatur:
Aderhold L. Klartext Gesundheit! Ernährung – Bewegung – Entspannung – Denken. Die besten Strategien für mehr Gesundheit, Energie und Wohlbefinden. Jena: Vopelius Verlag, 2024.
Grethlein J: Hoffnung. Eine Geschichte der Zuversicht von Homer bis zum Klimawandel. München: C.H. Beck 2024.