Ein Medaillenkandidat, der über seinen Oberschenkel lamentiert, aber trotzdem bei einem Wettkampf startet, löst in diesem System sofort Alarm aus.
Hochsprung – Raúl Spank fühlt sich gebremst – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Hochspringer Raúl Spank will zurück an die Weltspitze. Gerade erst von einer langen Verletzungspause genesen, spricht er schon vom Olympiasieg in London 2012. An diesem Wochenende steht aber erst die deutsche Hallen-Meisterschaft an.
„Hätt‘ ich mal nicht so sehr mit dem Beuger geningelt“, sagt Raúl Spank. Wem Mundarten nicht ganz so vertraut sind, der lernt: Während andere klagen oder jammern, ningelt der Sachse. Am Beispiel des Beugers von Raúl Spank, dem deutschen Hochsprung-Meister aus Dresden, lässt sich zudem ablesen, wie ernst es der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) mit dem Gesundheitsmanagement nimmt. Das hat nämlich manchmal Folgen, die mehr schmerzen können als jede Verletzung, die es doch gerade vermeiden will.
Zu Spank, dem Dritten der Weltmeisterschaft 2009, und seinem Beuger: Nachdem er im Olympiastadion von Berlin wie Sieger Rybakow und der Zweite Ioannu 2,32 Meter übersprungen hatte und nachdem er eine Woche später in Eberstadt seine Bestleistung auf 2,33 Meter gesteigert hatte, knickte er mit dem rechten, seinem Sprungfuß um.
An der Sehnenverletzung laborierte er bis weit ins nächste Jahr. Als er dann im Juni 2010 bei der Mannschafts-Europameisterschaft in Bergen wieder am Start war, schmerzten den sensiblen Springer die hinteren Muskeln im Oberschenkel. Der Verband, dem sein Ningeln zu Ohren kam, wurde hellhörig und empfahl ihm so dringend eine Pause, dass Spank im Rückblick von einem Startverbot spricht.
„Er hat die Norm nicht erfüllt“
Wie das Leben so spielt: Nach der Wettkampfpause erzielte Spank nur schwache Resultate, und als die Nominierung zur Europameisterschaft in Barcelona anstand, war der 22 Jahre alte Sachse zwar deutscher Meister, hatte aber die Norm von 2,28 Meter nicht erfüllt. Der Verband drückte kein Auge zu und ließ den Mann, der seinen Einstand bei den Olympischen Spielen von Peking mit zwanzig Jahren und Platz fünf (2,32 Meter) gegeben hatte, zu Hause. Athleten der Nationalmannschaft sind verpflichtet, Verletzungen und Therapie mit dem Verbandsarzt zu besprechen, und der Verband tut einiges, um seinen Athleten beste Behandlung angedeihen zu lassen.
Ein Medaillenkandidat, der über seinen Oberschenkel lamentiert, aber trotzdem bei einem Wettkampf startet, löst in diesem System sofort Alarm aus. Allerdings behauptet Sportdirektor Thomas Kur-schilgen, Spanks Nicht-Nominierung sei keine erzieherische Maßnahme gewesen. „Er hat die Norm nicht erfüllt.“ Kurschilgen ist aber auch der Meinung, dass ein Startverzicht Spanks in Norwegen besser gewesen wäre.
Wie Athleten, die sich mit dem DLV abstimmen, ihre Prioritäten setzen, zeigt sich bei der deutschen Hallen-Meisterschaft am kommenden Wochenende in Leipzig und bei der eine Woche darauf folgenden Europameisterschaft in Paris. Christian Reif, Europameister im Weitsprung von Barcelona, wird nur zu einem Werbeauftritt, nicht aber zum Wettkampf nach Sachsen kommen.
Dabei ist er, wie Kurschilgen bestätigt, gesund. „Mit Blick auf die Weltmeisterschaft und wegen seiner Syndesmose (Band-Knochenverbindung im Sprunggelenk) sind wir überein gekommen“, sagt Kurschilgen, „auf die Starts bei deutscher und Europameisterschaft zu verzichten.“ Einem solchen Rat folgen, wegen anderer Probleme, auch Stabhochspringer Raphael Holzdeppe und die deutschen Mehrkämpfer, die allesamt auf die Hallensaison verzichten, sowie Stabhochsprung-Rekordhalterin Silke Spiegelburg.
Ärger über den Mangel an Vertrauen
Von Einsicht in die DLV-Strategie will Spank nichts wissen. „Wenn man das so sehen will, gab es keinen Lerneffekt“, sagt er. Spank ärgert sich immer noch über den Mangel an Vertrauen: „Ich war gut bei der WM, ich bin immer gut bei wichtigen Wettkämpfen. Außerdem war im Hochsprung 2010 nichts los.“ Mit den 2,30 Meter, die er gegen Ende der Saison in Eberstadt sprang, hätte er bei der Europameisterschaft die Bronzemedaille geholt; hinter den Russen Schustow (2,33) und Ukhow (2,31), mit denen er sich auch in Paris messen wird. „Da habe ich gezeigt, dass ich‘s kann“, sagt er. Dem Wort vom Comeback in diesem Jahr widerspricht er: „Sagen wir: Ich etabliere mich wieder in der Weltspitze.“
Der gebremste Hochspringer hat sein eigenes Gesundheitsmanagement. Mit speziellen Übungen hat er muskuläre Dysbalancen ausgeglichen und will nun wieder hoch hinaus. Unverdrossen spricht er vom Olympiasieg in London 2012, und dafür, das weiß er, „muss ich meine Knochen schonen“. Doch schon Sonntagnachmittag wird er um mehr kämpfen als um den Titel. „Mein Primärziel sind 2,30 Meter“, sagt er. „Um aber meinen Trainer mit nach Paris nehmen zu dürfen, muss ich unter die Top 3 der europäischen Bestenliste.
Ich muss 2,33 Meter springen, damit mein Trainer mir bei meiner Entwicklung helfen darf.“ Auch das klingt nicht nach Harmonie. Aber das Ningeln hat, ganz entschieden, ein Ende.
Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 25. Februar 2011