Der Turnplatz auf der Berliner Hasenheide wurde 1811 von Friedrich Ludwig Jahn mitbegründet. ©Sportmuseum Berlin
Hall of Fame 2013 – Zukunftsorientierung durch Traditionspflege
Letzte Woche hat die Deutsche Sporthilfe in Berlin in einem festlichen Akt im berühmten Hotel Adlon vier Persönlichkeiten in ihre Hall of Fame aufgenommen. Waren Willi Bogner und Joachim Deckarm persönlich anwesend, der kürzlich verstorbene Harry Valérien noch allen gegenwärtig, fehlte der vierte. Er ist seit 150 Jahren tot – der „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn. Eine Persönlichkeit aus dem 18.Jahrhundert, da das Wort „Sport“ unbekannt war. Nicht selbstverständlich in der schnelllebigen Zeit des heutigen Sports, wo Helden im Wochentakt geboren werden und manche Stars eine Halbwertzeit von ein paar Monaten aufweisen.
Gerade deshalb ist es wichtig, sich Wurzeln und Traditionen zu vergewissern. Das ist bei Jahn nicht originell. Kaum ein anderer Deutscher ist so im kollektiven Bewusstsein der Deutschen verankert. Tausende Straßen und Plätze tragen seinen Namen, Vereine und Schulen sind nach ihm benannt, Feste und Museen gedenken seiner, Büsten und Bilder schmücken reichlich bewegende Orte. In der Regensburger Walhalla wird seiner gedacht. Jahn-Literatur füllt Bibliotheken; allein in den letzten Jahren sind ein Dutzend wissenschaftliche und belletristische Publikationen ediert worden. Kein aktueller Sportführer besitzt derart zeitlose Prominenz.
Insofern konnte die Sporthilfe mit der Nominierung von Jahn wenig falsch machen. Was aber ist an dieser Traditionspflege notorisch, was futuristisch? Die Sporthilfe hat ihn unter „Ideengeber des Sports“ inventarisiert. Was ist von seinen Ideen lebendig – der Kämpfer für mehr Freiheiten des einfachen Volkes, der politisch verfolgte Streiter für die deutsche Einheit, der polemische Abgeordnete der Nationalversammlung 1848/49? Jahns Impulse zum heutigen Sport liegen näher.
Mit dem von ihm und einigen jungen Leuten 1811 auf der Berliner Hasenheide gegründeten Turnplatz hat er wesentliche emotionale und organisatorische Grundlagen geschaffen, die seinerzeit für den preußischen Obrigkeitsstaat und die napoleonischen Besatzer unfassbar waren, heute lebendiger denn je sind: Der brüderlich-solidarische Umgang miteinander und die zunächst in der Turnordnung, später im Vereinsgesetz verfasste freiheitliche Selbstorganisation bewegungsfreudiger Aktivität. Wie kein anderer hat Jahn den Losungen der französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ praktische Gestalt und Heimat gegeben.
Wenn sich heute fast 28 Millionen Mitglieder in den 92 000 Vereinen des DOSB freiwillig und selbstbewusst organisieren (außerhalb des Sports sind es rund 500.000 weitere Vereine), dann zeigt das die Lebendigkeit der Idee von Jahn und seinen Mitstreitern. Es ist kein Zufall, dass der älteste Turnverein der Welt, die Hamburger Turnerschaft von 1816 oder die gerade 175 Jahre alt gewordene Hanauer Turnerschaft heute moderne Sportvereine sind.
Jahns Aufnahme in die Hall of Fame ist kein archivarischer Akt, sondern Wert und Wechsel in die Zukunft des Vereinssports. Er prägt seit 200 Jahren unser demokratisches Gemeinwesen.
Quelle: DOSB