Zwei weitere – längst fällige – Weltrekorde gab es über die 25 km bei den BIG 25 in Berlin. Zum 30. Jubiläum dieses Laufs, der am 3. Mai 1981 durch tatkräftige Unterstützung der französischen Alliierten („Franzosenlauf“) der Vorreiter für viele weitere Straßenläufe durch die deutschen Innenstädte wurde (insbesondere auch für den Berlin-Marathon), nutzten Sammy Kosgei (KEN) und Mary Keitany (KEN) die guten Bedingungen zu deutlichen Verbesserungen der alten Marken.
Halbzeit! Die Straßenlaufszene in der ersten Hälfte des Marathon-Jubiläumsjahrs 2010 – Helmut Winter fasst zusammen.
Pünktlich zur Fußball-WM geht die internationale Straßenlaufszene nach ereignisreichen Monaten in die „Halbzeitpause“. Bis auf wenige Ausnahmen hat das Jubiläumsjahr anlässlich der 2500. Wiederkehr des legendären Laufs von Marathon nach Athen die hohen sportlichen Erwartungen erfüllt.
Die im Vorfeld vor allem von kenianischen Athleten mehrmals ankündigten Angriffe auf Hailes Gebrselassies Weltrekord (2:03:59, Berlin 2008) über die Marathondistanz scheiterten allerdings, am dichtesten kam noch Patrick Makau (KEN) mit 2:04:48 auf der schnellen Rotterdamer Strecke an diese Marke heran, wobei starker Wind im Mittelteil eine bessere Zeit verhinderte.
Damit konnte Rotterdam wie im Vorjahr die anderen Läufe deutlich hinter sich lassen, nach einem leistungssportlichen Rückgang in den beiden zurückliegenden Dekaden, knüpft man nun wieder an glorreiche Zeiten an, was sich insbesondere beim Kampf um die schnellste Strecke – ermittelt aus dem Zehnermittel der besten jemals gelaufenen Zeiten – zeigt. Mit dem herausragenden Mittel von 2:05:15 hat man mittlerweile die stärksten Konkurrenten Berlin (2:05:30,0) und London (2:30,6) deutlich hinter sich gelassen.
Dabei hatte man gerade vom London-Marathon dieses Jahres mehr erwartet, bei dem wieder ein Starterfeld der Extraklasse mit Ambitionen auf den Weltrekord aufgeboten wurde. Am Ende lief dort aber vieles anders als erwartet. In ihren sechsten Marathonläufen stiegen die Mitfavoriten bei Männern und Frauen, Sammy Wanjiru (KEN) und Irina Mikitenko, beide aus, und es gewannen mit Tsegaye Kebede (ETH) in 2:05:19 und Liliya Shobukhova (RUS) in 2:22:00 auch international sehr hoch einzuschätzende Athleten mit Potential für weitere Großtaten.
Zwischenzeitliche Regenfälle machten das Scheitern der Jagd auf den Weltrekord plausible, nur sieben Läufer unter 2:13 sind aber für die Ansprüche Londons enttäuschend. Und enttäuschend war auch die Leistung des Läufers, der als letzter unter dem internationalen Qualifikationsstandard im Marathon der Männer blieb, Zersenay Tadese in 2:12:03. Nach seiner Leistung beim Lissabon-Halbmarathon einen Monat zuvor, war er trotz seines Ausstiegs beim London-Marathon 2009 zu einem der Favoriten avanciert.
Während Hailes Marathon-Weltrekord die Saison bisher überstand, gab es nämlich auf zwei Unterdistanzen neue Weltrekorde. Im Halbmarathon steht die neue Bestmarke bei 58:23, Tadese verbesserte in Lissabon Wanjirus Fabelzeit aus dem Jahr 2007 um weitere 10 Sekunden. Damit gehört diese Marke über die oft gelaufene Halbdistanz sicher zu den besten Rekorden des Straßenlaufs.
Während die ersten 10 km in 27:53 noch durch überforderte Tempomacher bestimmt waren, legte Tadese im Sololauf die nächsten 10 km in 27:28 zurück, wobei er beim Passieren der 20 km Marke in 55:21 auch Haile Gebrselassie den Weltrekord (55:48) über diese Distanz nahm. Der km-Schnitt von Tadese lag bei 2:46, eine in der Tat beeindruckende Zeit. Sein Leistungseinbruch beim London Marathon kam deshalb überraschend, aber er lief in diesem Jahr zumindest durch. Seine Marathon „Bestzeit“ sollte er aber schon beim nächsten Auftritt gewaltig steigern können.
Zwei weitere – längst fällige – Weltrekorde gab es über die 25 km bei den BIG 25 in Berlin. Zum 30. Jubiläum dieses Laufs, der am 3. Mai 1981 durch tatkräftige Unterstützung der französischen Alliierten („Franzosenlauf“) der Vorreiter für viele weitere Straßenläufe durch die deutschen Innenstädte wurde (insbesondere auch für den Berlin-Marathon), nutzten Sammy Kosgei (KEN) und Mary Keitany (KEN) die guten Bedingungen zu deutlichen Verbesserungen der alten Marken.
Mit 1:11:50 und insb. auch 1:19:53 haben jetzt auch diese Rekorde eine Qualität erreicht, die man nicht mehr „nebenher“ verbessern wird. Schon die Durchgangszeit von Keitany beim Halbmarathon in 1:07:38 zeigt dies sehr deutlich, und es steht außer Frage, dass die Kenianerin derzeitig die wohl beste Straßenläuferin ist.
Gespannt darf man auf ihr Debut bei einem der großen Herbstmarathons sein. Von allen Läuferinnen, die sich auch 2010 im Marathon hinsichtlich absoluter Spitzenleistungen von unter 2:20 wieder sehr zurückhielten, hat Mary das Potential, vielleicht sogar in die Regionen des Fabelrekords von Paula Radcliffe (2:15:25) zu laufen.
Das Jubiläum mit zwei Weltrekorden in Berlin war im Regionalprogramm des RBB (Rundfunk Berlin Brandenburg) in der spätabendlichen Sendung „Sportplatz“ eine Meldung von gerade einmal 16,8 Sekunden wert. Während Kosgei und Keitany mit beeindruckenden Weltrekorden im Olympiastadion glänzten, wartete knapp einen Kilometer entfernt ein RBB-Aufnahmeteam vorm Zaun des Hertha BSC-Geländes, um am Ende in aller Ausführlichkeit dem Zuschauer nichtssagende Statements eines Vertreters des Bundesligaabsteigers zu präsentieren.
Eine Medienanstalt, die für sich in Anspruch nimmt, mit der „RBB-Laufbewegung“ Vorreiter für die Belange des Laufsports zu sein, hätte nur einen Tag nach Herthas Abstieg in die Zweitklassigkeit Leistungen der Extraklasse aus dem nahen Olympiastadion berichten können.
Man muss sich angesichts solcher Entwicklungen schon fragen, was der Straßenlauf neben historischen Jubiläen, Weltklasseathleten und Weltrekorden noch bieten muss, damit er angemessen in den Medien präsent ist. Da spielt der Fußball hinsichtlich der Akzeptanz der Medien in der Tat in einer anderen „Liga“.
Nicht präsent sind 2010 allerdings auch die deutschen Läuferinnen und Läufer in der internationalen Marathonszene. Während die Weltspitze bei den Männern in diesem Jahr bereits 220 Zeiten unter 2:13 zu verzeichnen hat – vor kurzem war das noch die Zahl eines ganzen Jahres – und somit auch in der Breite in neue Dimensionen vordringt, rangiert aktuell Falk Cierpinski als bester deutscher Läufer in 2:17:18 noch soeben unter den ersten 500 Läufern, am Jahresende könnte die Zeit noch nicht einmal für die ersten Tausend im internationalen Maßstab reichen.
Noch schlimmer die „Breite“, deutscher Meister wurde Dennis Pyka in 2:20:09 und der aktuell Dritte der deutschen Jahresbestenliste, Dennis Mehlfeld, liegt mit seinen 2:26:13 beim Dubai-Marathon bereits hinter der internationalen Frauenspitze zurück. Die Misere dieses Leistungstiefs wurde bereits vielfach angesprochen und kommentiert. Viel schlimmer kann es kaum noch kommen.
In der Tat scheinen besonders im Jubiläumsjahr 2010 die internationalen Standards den deutschen Läufern „davonzulaufen“. Sieben Zeiten unter 2:07 wurde nur im gesamten Jahr 2009 übertroffen, auch 82 Zeiten unter 2:10 sind rekordträchtig. Am Ende des Jahres könnten erstmals über 400 Zeiten im Rahmen des Qualifikationsstandards von 2:13 liegen, in der Tat beeindruckend.
Herauszuheben sind auch Läufe, die sich im Vorfeld nicht mit Rekordambitionen in den Fokus schoben. Sehr überraschend kamen die tollen 2:05:39 von Eliud Kiptanui (KEN) beim Prag-Marathon und vor allem auch der Streckenrekord in 2:05:52 von Robert Cheruiyot (KEN) in Boston mit einem beeindruckenden negativen Split für den schwierigen zweiten Abschnitt über den Heartbreak Hill (1:03:24 und dann 1:02:28).
Weltrekordhalter Haile Gebrselassie liegt aktuell mit seiner Zeit vom Dubai Marathon in 2:06:09 auf Platz 8. Da Haile mittlerweile seinen Start beim New York Marathon im Herbst zugesagt hat, wird er sich im Ranking kaum verbessern können. Seinen Beitrag zu Ankündigungen einer Verbesserung des Weltrekords in das Regime von 2:02 dürfte er in New York sicher nicht realisieren, und ob er überhaupt noch einen ernsthaften Angriff auf seine Bestmarke von 2:03:59 plant, wird immer unwahrscheinlicher.
Der Dubai-Marathon 2010 und seine Rennen danach zeigten einen Wechsel vom Rekord- zum Siegläufer an, mit dem auch in der nächsten Zeit durchaus zu rechnen ist.
Ob das Marathon-Jubiläumsjahr 2010 noch von einem Weltrekord gekrönt wird, ist schwer einzuschätzen. Nach vier Jahren mit Haile und seinen einzigartigen Ergebnissen beginnt beim Berlin-Marathon in leistungssportlicher Sicht eine neue Zeitrechnung. Mit Sammy Wanjiru, Abel Kirui, Martin Lel, Patrick Makau (alle KEN), Tsegaye Kebede (ETH) oder auch Zersenay Tadese (ERI) gibt es ausreichend Athleten mit dem Potential, Hailes Bestmarke zu unterbieten.
Bei guten Bedingungen stehen die Chancen in Berlin 2010 nicht schlecht, und auch Chicago dürfte erhebliche Anstrengungen unternehmen, zum Führungstrio Rotterdam, Berlin und London leistungssportlich aufzuschließen. Von den Teilnehmerzahlen her boomt auch im Jubiläumsjahr der Marathon nach wie vor, zumindest bei den großen der Szene, deren Kontingente an Startern fast die Zuschauerzahlen in Fußballstadien erreichen und die immer früher ausgebucht sind.
Freuen wir uns auf die zweite „Halbzeit“ eines sicher noch sehr ereignisreichen Jahres in der internationalen Marathonszene.
Helmut Winter