Genauso wie ein Marathon lang werden kann, wird es für Dubai noch ein langer Weg sein, den Anschluss an Weltstandards in der Laufszene zu erreichen.
Hailes Erben – Nachlese zur 12. Auflage des Standard Chartered Dubai Marathons 2011 – Helmut Winter berichtet
Es ist schon sehr bezeichnend dieses Zitat vom Herrscher über das Emirat am Persischen Golf, Scheich Muhammed bin Raschid Al Maktum: „Man muss sich entscheiden: Entweder ahmt man nach, oder man ergreift die Initiative. Wir wollen Pioniere sein.“
Und das hat man in Dubai im letzten Jahrzehnt mit Macht umgesetzt. Viele Superlative, darunter auch mit dem Burj Khalifa das höchste Gebäude der Erde, hat man in den Wüstensand gesetzt, hinsichtlich des Marathons entwickeln sich die Dinge allerdings etwas weniger stürmisch. Ein Weltrekord im Laufsport lässt sich eben nicht kurzfristig „kaufen“. Dabei ist die Konzeption im Winter unter sehr guten äußeren Bedingungen eine Laufveranstaltung zu organisieren, die eine Schar internationaler Lauftouristen anzieht, durchaus schlüssig.
Und die Intention, durch einen Weltrekord (im Marathon) für Aufsehen zu sorgen und die guten Bedingungen vor Ort zu demonstrieren , sicher auch. Doch während der höchste Turm der Welt (828 m) mittlerweile steht und sich als Besuchermagnet erweist, ist man beim Marathon im wahrsten Sinne des Wortes bisher noch „auf der Strecke geblieben“.
Daran hat auch die tatkräftige Unterstützung des Superstars der Szene, des Äthiopiers Haile Gebrselassie, wenig geändert. Obwohl die Chancen, die Bestmarke von Berlin nach Dubai zu holen, nicht unrealistisch waren, diverse Randbedingungen hatten in den letzten drei Jahren dafür gesorgt, dass Haile bei seinen Auftritten in Dubai mit zunehmend größeren Zeitdifferenzen zur aktuellen Rekordmarke einlief.

Zeitdifferenzen im Vergleich zum Weltrekord vom 30.9.2007 in Berlin (gestrichelte Achse) für den Marathon der Männer in Dubai in den letzten vier Jahren (siehe Bild/Graphik).
Ein Blick auf den Rennverlauf in den letzten vier Jahren zeigt, dass sich auch nach Hailes Abschied aus Dubai (fast wäre der Lauf in Dubai 2010 sein letzter beendeter Marathon geworden) wenig geändert hat. In einer Grafik der Zeitdifferenzen zu einer Referenz (hier Hailes Weltrekord von 2007 mit 2:04:26 in Berlin) ist der „Abfall von Dubai“ ab ca. 30 km in allen Jahren sehr deutlich zu erkennen. Während man bis zu dieser Marke auf höchstem Niveau agierte – das war auch in diesem Jahr nicht anders – brach man im Schlussteil stets stark ein. Und während Haile beim ersten Auftritt in Dubai den aktuellen Rekord noch relativ knapp verpasste, war die Siegerzeit von 2:07:18 in diesem Jahr für die hohen Ansprüche Dubais weniger überzeugend. Nachdem Hailes 2:04:53 aus 2008 zu den wenigen sub-2:05-Zeiten gehören, die nur vier Strecken weltweit aufweisen können, wird die Zeit von 2011 in der Jahresbestenliste nicht im Vorderfeld landen.
Auch von den Teilnehmerzahlen ist der Dubai-Marathon im internationalen Spitzenfeld noch lange nicht angekommen, dazu sind 1.303 Finisher im Marathon einfach zu wenig. Im Vergleich zum Vorjahr (1.314 Finisher) konnte man sich nicht weiter steigern. Nur 14 Teilnehmer im Marathon aus den Emiraten zeigen, dass man in Dubai auf die auswärtige Klientel setzen muss. Dafür ist aber der Dubai-Marathon auf den Messen der größeren Läufe so gut wie nicht präsent und die Werbung für den Lauf somit unzureichend.
Wesentlich besser sehen die Zahlen für die 10 km aus, hier gab es mit 6.776 Finishern (2.377 Frauen, 4.399 Männer) gegenüber 2010 (1846 Frauen, 3151 Männer) deutliche Zuwächse. Besonders erfreulich die Tatsache, dass über 10 km der Frauen zwei Teilnehmerinnen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ganz vorne waren.
Betlhem Deslagn gewann in beachtlichen 33:07 vor ihrer Teamkameradin Alia Mohammed in 33:21. Zusammen mit einem 3 km Fun-Run, über den keine Zahlen vorliegen, dürften knapp 10.000 Teilnehmer auf den Straßen unterwegs gewesen sein. Dass sind nicht ganz die vom Veranstalter benannten 14.000 „Teilnehmer“, die Zahlen liegen aber schon jenseits kritischer Massen.
Um den aktuellen Status weiter zu bilanzieren, blicken wir auf den diesjährigen Verlauf des Marathons im Spitzenbereich, wo Hailes Zeiten aus den drei Vorjahren deutlich verfehlt wurden. Dies war im Vorfeld nicht unbedingt zu erwarten. Mit den höchsten Preisgeldern der internationalen Marathonszene (250.000 $ für den Sieger, noch 10.000 $ für den 10. Platz, insgesamt 1 Million $ Preisgeld) sollte sich auch ohne Antrittsgelder ein Elitefeld der Extraklasse rekrutieren lassen.
Das gelingt den Race-Direktoren Connerton and Al Khamali auch in Grenzen, aber eben nur in Grenzen. Es häufen sich Klagen von Athletenmanagern, dass man in Dubai im Elitebereich zu unverbindlich agiert. Anfragen, Absprachen und Entscheidungen werden kaum oder mit Verzögerungen erledigt, was bei der Rekrutierung von Starterfeldern absoluter Weltklasse kaum förderlich sein dürfte.
Und dieses Defizit dürfte auch den Ausgang des Rennens vor einer Woche durch die plötzliche „Aufgabe“ des Topathleten Eliud Kiptanui nicht unwesentlich beeinflusst haben. Für den scheint nach den Dramen von Fukuoka und Dubai der Marathon bei 30 km vorbei zu sein, eine in der Tat unhaltbare Situation für einen der aktuell weltbesten Marathonläufer, mit der der noch junge Athlet offensichtlich überfordert scheint. Während sein (erzwungener) Ausstieg in Fukuoka noch mit seiner Aufgabe als Tempomacher verständlich wurde, war sein Beenden des Laufs in Fukuoka zunächst sehr irritierend. Plausibler werden aber die Ereignisse in Dubai kurz hinter der 30 km Marke, an der man sich auf Kurs zu einer Zeit von deutlich unter 2:05 befand, wenn man Abläufe im Vorfeld des Laufs in Betracht zieht, die mit zögerlichen Zusagen der Veranstalter in Verbindung zu stehen scheinen.
Somit hatte sich Eliud (durch seinen Manager) zwischenzeitlich an einen etablierten Marathon im Frühjahr gebunden und sollte somit den Lauf in Dubai nicht beenden. Warum er allerdings in der sehr guten Ausgangsposition auf ein mögliches Preisgeld im 100.000 $ Bereich verzichtete, dürfte ein Geheimnis bleiben, das auch sein Manager Volker Wagner nicht aufklären wollte. Der konnte aber in das Geschehen auch nicht eingreifen, da für ihn keine Präsenz auf der Strecke vorgesehen war. Als Manager des Topathleten blieb er auch außerhalb der Absperrung des Zielbereichs.
Ähnliches widerfuhr dem bekannten Manager Gerard van de Veen, der Läufer der absoluten Weltklasse betreut (Wilson Kipsang 2:04:57, etc.). Wenn man dann noch erlebt, wie ausgestiegene Athleten kaum an ihre Bekleidung kommen, weil diese sich im abgesperrten Innenraum befindet, wohin ein Läufer mit Startnummer nach Verlassen dieser Zone keinen Zugang mehr hat, dann besteht da dringender Handlungsbedarf seitens der Organisatoren.
Der Lauf wurde in voller Länge mit erheblichem Aufwand vom Dubai Sports Channel live übertragen. Die Bilder von der Strecke und aus dem Hubschrauber waren zum Teil durchaus sehenswert. Die Bildführung war aber derart erratisch (da scheint ein Kleinkind am Mischpult herumgeschaltet zu haben), dass man dem Rennen kaum folgen konnte. Eine mitlaufende Uhr, Zwischenzeiten oder km-Angaben wurden nicht eingeblendet, auch hier gegenüber den Vorjahren keine Besserung. Somit auch im Medienbereich noch ein weiter Weg zu den internationalen Standards. Obwohl man sich sichtlich an allen Ecken viel Mühe gab.
Hoffen wir auf Besserung im kommenden Jahr. Die schnelle Strecke ist sicherlich von den Athleten noch nicht ausgereizt, wobei am Streckenverlauf es kaum noch Punkte der Optimierung gibt. Es geht jetzt weitgehend 21 km zur Wende am Union House und dann zurück, immer geradeaus. Der Sieger berichtete von Gegenwind, der auf dem Rückweg eine bessere Zeit kostete. In 1:02:46 wurde die erste Hälfte zurückgelegt, der zweite Abschnitt in 1:04:32 fast zwei Minuten langsamer gelaufen.
Für den Betrachter an der Strecke war dieser Wind aber kaum merklich, und die Siegerin schaffte mit 1:11:12 und 1:11:33 zwei fast gleiche Hälften. Die Zeit von Aselefech Medessa (ETH) von 2:22:45 hätte im letzten Jahr immerhin zu Platz 8 in der Jahresweltbestenliste gereicht. Die führenden Männer waren vermutlich nach der Tempojagd bis 30 km einfach kräftemäßig am Limit. Die hohen Preisgelder sollten sie aber über den Leistungseinbruch am Schluss und die weniger hoch einzuschätzenden Zeiten schnell hinweg getröstet haben.
Und auch diese Geschichte sollte im nächsten Jahr in die Welt der Fabeln gehören. Ganz im Sinne der Worte des Herrschers des Emirats wird in Dubai mittlerweile die wohl modernste Metro der Welt betrieben. Für den Marathon ergab der Zufall, dass auf der Hauptlinie eine Metro-Station in unmittelbarer Nähe des Starts lag und damit ideale Voraussetzungen für den Transport der Läufermassen zum Startbereich bot. Wenn nur nicht dieser Lauf an einem Freitag – dem islamischen Feiertag – stattgefunden hätte. Da fahren nämlich die Züge erst ab 2 pm (14.00 Uhr). Da war aber der Lauf (Starts ab 7 Uhr) lange vorbei!
Genauso wie ein Marathon lang werden kann, wird es für Dubai noch ein langer Weg sein, den Anschluss an Weltstandards in der Laufszene zu erreichen. In einigen Bereichen sind die Fortschritte sehr sichtbar, in anderen sind gewaltige Anstrengungen von Nöten, die Defizite abzustellen und die Abläufe zu verbessern. Und dies gilt für die gesamte Palette der vielfältigen Facetten einer Großveranstaltung.
Übrigens auch für die Eliteathleten, denen klar werden muss, dass auch in Dubai ein Marathon nicht nach 30 km zu Ende ist …
Helmut Winter
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