Mit Tränen in den Augen verkündete Haile Gebrselassie jetzt in New York das Ende seiner einzigartigen Karriere.
Haile Gebrselassie – das Ende einer Ära – „Ich höre natürlich nicht auf, aber ich höre auf zu gewinnen.“ – Haile im September 2010
„Ich glaube, dass man sich generell keine bestimmten Grenzen oder Limits setzen sollte. Das brauchen wir im Sport nicht – man sollte immer nach vorne schauen. Einige Athleten haben bestimmte Ziele, wo und wann sie zurücktreten wollen. Ich glaube, wenn du dir ein solches Ziel ausgesucht hast, bist du in diesem Augenblick praktisch schon zurückgetreten.“ – Haile im Januar 2010
In dem Augenblick, in dem Haile Gebrselassie zum ersten Mal in seiner einzigartigen Laufbahn an sein Karriereende dachte, war für den 37-jährigen Äthiopier klar: Jetzt ist Schluss. Das war am vergangenen Sonntag beim New York-Marathon. Ein Sieg beim größten Spektakel der Welt über die klassische Distanz wollte er seiner einmaligen Erfolgssammlung noch hinzufügen – obwohl er nichts mehr beweisen brauchte.
Denn Haile Gebrselassie ist in den Augen vieler der beste Läufer, den die Welt bisher gesehen hat. In New York kam er am Sonntag bis Kilometer 25, dann stoppte ihn ein Knieproblem.
Wenn es darum geht die besten Läufer aller Zeiten aufzulisten, fällt der Name Haile Gebrselassie unweigerlich. Der Finne Paavo Nurmi, der Tscheche Emil Zatopek und vielleicht noch Haile Gebrselassies Landsmann Kenenisa Bekele stehen in einer solchen Liste ebenfalls ganz weit vorne.
Haile Gebrselassie hat in seiner einzigartigen Karriere 20 Weltrekorde und sieben inoffizielle Weltbestmarken aufgestellt. Zweimal war er Olympiasieger über 10.000 m, viermal wurde er Weltmeister über diese Distanz. Im Marathon lief er 2008 in Berlin als erster Athlet unter 2:04 Stunden. Seine Zeit von 2:03:59 ist nach wie vor der aktuelle Weltrekord über die 42,195 km.
Mit Tränen in den Augen verkündete Haile Gebrselassie jetzt in New York das Ende seiner einzigartigen Karriere. „Ich habe noch nie daran gedacht, meine Karriere zu beenden. Das war heute das erste Mal und deswegen will ich jetzt aufhören“, erklärte der Äthiopier, dessen Rücktritt völlig überraschend kam und wie ein Schock wirkte. Denn zwei Tage zuvor hatte der wohl beste Langstreckenläufer aller Zeiten noch gesagt, er fühle sich wie 20 und wolle in der Zukunft versuchen, seinen Marathon-Weltrekord zu verbessern. Der olympische Marathon 2012 in London war immer das große Ziel. Doch nun hat Haile Gebrselassie genug.
„Natürlich bin ich enttäuscht, dass ich hier heute aufgeben musste. Ich wusste als ich ankam, dass ich ein Problem mit dem Knie habe, aber ich dachte, es wäre nicht so schlimm. Solche Dinge passieren, ich kann das nicht ändern. Aber ich möchte mich nicht mehr länger beklagen müssen, deswegen ist es besser, jetzt aufzuhören. Ich habe wirklich sehr, sehr hart trainiert, um dieses Rennen gewinnen zu können. Aber es hat nicht funktioniert. Immer wenn ich ein Problem hatte, war es sehr schwer und wenn man sich dann immer wieder beklagen muss, ist das schlecht. Das will ich nicht mehr, daher ist es besser, wenn ich jetzt aufhöre“, erklärte Haile Gebrselassie, der in diesem Jahr mehrfach gesundheitliche beziehungsweise verletzungsbedingte Probleme hatte.
Den Dubai-Marathon im Januar gewann er trotz eines kurzfristigen Rückenproblems. Beim New Yorker Halbmarathon im März litt er unter Atemproblemen in der Folge einer Erkältung sowie des Pollenfluges – schon damals gab er auf. Nun stoppte er ein zweites Mal vorzeitig in New York.
„Ich habe mit niemandem über meinen Rücktritt gesprochen, das ist alleine meine Entscheidung“, sagte der Serien-Weltrekordler, der noch am Abend des Rennens New York verließ und nach Addis Abeba zurück flog
Haile Gebrselassie hat es wie nur ganz wenige geschafft, über einen langen Zeitraum Weltklasseleistungen im Langstreckenlauf zu erreichen. Sein Durchbruch gelang ihm dabei bei den Weltmeisterschaften 1993 in Stuttgart, als er Weltmeister über 10.000 m wurde und über 5.000 m Silber gewann. Damals war Haile Gebrselassie erst 20 Jahre alt.
Jahrelang dominierte er die Langstrecken, lieferte sich Mitte der 90er Jahre mit dem Kenianer Daniel Komen eine Weltrekordjagd nach der anderen und rang in einem der größten Zweikämpfe aller Zeiten – dem olympischen 10.000-m-Finale von Sydney 2000 – seinen Rivalen und Freund Paul Tergat (Kenia) nieder. Zum zweiten Mal nach 1996 wurde er damals Olympiasieger über diese Strecke.
Über die Bahn-Langstrecken hat Haile Gebrselassie mit Kenenisa Bekele einen Landsmann als Nachfolger, der ihm auch die Weltrekorde über 5.000 und 10.000 m abnahm. Mit der Geschwindigkeit des Bekele konnte er vor einigen Jahren nicht mehr ganz mithalten. Auch auf kürzeren Straßendistanzen wurde es schwerer für Haile Gebrselassie, Weltrekorde zu brechen. Doch für den Marathon war er in den vergangenen Jahren immer noch in einem sehr guten Alter.
„Von allen meinen Weltrekorden ist die Marathon-Bestmarke ohne Zweifel die wichtigste, denn der Marathonlauf ist eindeutig die Königsdisziplin unter den Langstrecken. Jetzt steht mein Name in den Marathon-Rekordlisten, und darauf bin ich stolz. Denn noch in 100 Jahren wird man ihn lesen und sagen, ah, das war Haile Gebrselassie“, erzählte der Serienweltrekordler, nachdem er in Berlin 2007 den Rekord von Paul Tergat auf 2:04:26 Stunden verbessert hatte. Viermal in Folge gewann er den Berlin-Marathon, von 2006 bis 2009.
Haile Gebrselassie stammt aus Zentral-Äthiopien (Provinz Arssi) und ist eines von zehn Kindern einer Farmer-Familie. Seine Schule war zehn Kilometer von der Farm der Eltern entfernt. Hin und zurück musste Haile Gebrselassie also 20 Kilometer laufen. Auf dem Schulweg trug er seine Bücher unter dem Arm. Das erkannte man heute noch an seinem Laufstil, denn sein linker Arm ist dabei stärker angewinkelt. Der Weg zur Schule wurde zu einem unbewussten Training und zu einer Grundlage für seine spätere Karriere.
Heute lebt Haile Gebrselassie in der Hauptstadt Addis Abeba. Mit seiner Frau Alem hat er vier Kinder: Die drei Mädchen, Eden (13 Jahre), Melat (11) und Batiy (9), gehen in die Schule, der kleine Sohn Nathan (4) in den Kindergarten. Mit einem strikten Tagesablauf und enormer Disziplin schaffte es Haile Gebrselassie jahrelang alles unter einen Hut zu bekommen: sein Training, seine diversen Unternehmen, seine Familie und Termine in der Öffentlichkeit.
Haile Gebrselassies Tag begann in der Regel morgens um 6 Uhr. Dann fuhr er mit dem Auto zum Trainingsgebiet außerhalb der Stadt und absolvierte dort seine Haupt-Laufeinheit. „Meine Frau kümmert sich am Morgen um unsere Kinder. Wenn ich vom Training zurückkomme, dusche ich, frühstücke und gehe dann in mein Büro“, erzählte Haile Gebrselassie, der in Addis Abeba ein Bau- und Immobilienunternehmen besitzt.
Außerdem eröffnete er in diesem Jahr einen Hotelkomplex im äthiopischen Hawassa. Gebrselassie, der rund 600 Menschen beschäftigt, kann sich auch vorstellen, eines Tages als Politiker zu arbeiten. Nach einem mit Büroarbeit gefüllten Vormittag ruhte sich Haile Gebrselassie in der Regel ein bis zwei Stunden aus, bevor er am Nachmittag eine zweite Trainingseinheit absolvierte. „Diese Trainingseinheit ist lockerer als die am Morgen. Und meist gehe ich danach noch in den Kraftraum.“ Langsam allerdings lief Haile Gebrselassie nie. „Ich kann nicht wirklich langsam joggen. Irgendetwas in mir drängt mich dazu, schnell zu laufen. Ein langsamer Lauf ist für mich, wenn ich 4:30 Minuten pro Kilometer laufe, alles andere geht nicht“, erzählte der Weltrekordler, der in der Vorbereitung auf einen Marathon bis zu 250 Kilometer pro Woche trainierte. Am Abend kümmert sich Haile Gebrselassie um seine Kinder. „Das sind die schönsten Stunden des Tages.“
Was Haile Gebrselassie in seiner einzigartigen Karriere nicht mehr erreicht hat, ist der Marathon-Olympiasieg. Obwohl der Äthiopier vier Jahre in Folge (2005 bis 2008) jeweils der schnellste Läufer der Welt war – auch das ist ein Rekord –, verzichtete er 2008 auf das olympische Marathonrennen in Peking. Gebrselassie hatte aufgrund der verschmutzten Luft in Chinas Metropole Angst vor bleibenden Gesundheitsschäden. Dass der Smog schließlich keine Rolle spielte bei Olympia, konnte er vorher nicht wissen. „Ich bin sicher – und er übrigens auch –, dass er auch noch bei den Olympischen Spielen in London 2012 im Marathon Gold gewinnen kann“, hatte sein holländischer Manager Jos Hermens damals erklärt. Dazu wird es nun nicht mehr kommen.
Wichtiger war es Haile Gebrselassie 2008, seinen Weltrekord beim Berlin-Marathon weiter zu verbessern, was ihm eindrucksvoll gelang. Seine 2:03:59 Stunden sind sicherlich keine Marke für die Ewigkeit. Doch Haile Gebrselassie wird noch ewig in Erinnerung bleiben.
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