Der Anstoß kam aus Amerika. In New York eroberte der Marathon 1976 die Stadt. Schwedens Metropole Stockholm und Paris waren 1979 die europäischen „Eisbrecher“. Dublin zog im folgenden Jahr nach. London und Rotterdam starteten 1981 mit dem Projekt Stadtmarathon.
GRATULATION an den Frankfurt Marathon – Als die Städte erobert wurden – Tammo Lotz in LEICHTATHLETIK Nr. 43 vom 24. Oktober 2006
In Deutschland scharrte zuerst Berlin 1980 mit den Hufen. Doch Horst Milde bekam die Genehmigung für einen Marathon durch die Stadt erst für den Herbst 1981. Frankfurt war um einige Monate schneller.
Am 17. Mai 1981 fiel der Startschuss zum ersten Frankfurt-Marathon. Enthusiasmus, Hartnäckigkeit und eine Prise positive Verrücktheit waren als Vorarbeit nötig. Hans Jürgensohn und Wolfram Bleul aus der Lauftabteilung des OSC Höchst, beide in der Werbeabteilung der Höchst AG angestellt, hatten die Idee: In der Mainmetrople sollte der erste deutsche Stadtmarathon auf die Beine gestellt werden.
Werbedirektor Horst-Günther Falkenhan war nicht sonderlich begeistert. Doch Jürgensohn ließ sich nicht unterkriegen. „Er war ein richtiger Dickschädel“, erinnert sich Falkenhan. Und gab schließlich nach.
Direkt vor dem Osttor des Werksgeländes lagen Start und Ziel. Umkleiden und Duschen befanden sich im Wasch- und Badehaus der Chemiearbeiter.
Clever waren diejenigen, die mit den überfüllten Umkleidekabinen im Erdgeschoss vorlieb nahmen. Die Rechnung „Mehr Platz gleich mehr Komfort“ im Obergeschoss erwies sich als Trugschluss. Spätestens beim Gang die Treppen herunter.
568 unter der Dreistunden-Marke bei der Premiere
Eine unerwartet hohe Zuschauerresonanz (geschätzt: 100.000) und Leistungsdichte zeichneten die Premierenveranstaltung aus. Von den 2588 Finishern blieben 568 unter der Dreistunden-Marke – zirka jeder Fünfte. Zum Vergleich: 2005 waren es nur 386 Unter-Drei-Läufer bei insgesamt 8854 Finishern – das ist nur zirka jeder 22. 1983 blieben sogar 43 Athleten unter 2:30 Stunden, im Jahr 2005 gab es in Deutschland nur 29 Männer, die für die 42,195 Kilometer weniger als 150 Minuten benötigten. In die Frankfurter Siegerlisten trugen sich als Erste der Schwede Kjell Erik Ståhl (2:13:20) und Doris Schlosser (LG Coop Kurpfalz / 2:47:18) ein.
Eine „Galionsfigur“ fehlte jedoch noch. 1982 wurde diese Lücke durch keinen Geringeren als Emil Zatopek, den dreifachen Olympiasieger der Spiele von Helsinki 1952, geschlossen. Die „Lokomotive aus Prag“ gab den Startschuss und war bis 1985 das Zugpferd. Eine Aufgabe, die die Laufikone gerne übernahm. Auch wegen der üppig ausgestatteten Kaufhäuser im Westen.
Bevorzugte Zielobjekte von Emil und Dana Zatopek waren übrigens Haushaltsartikel.
Charlotte Teske
4677 Teilnehmer ließen sich 1982 von dem Wunderläufer auf die Strecke schicken, 1985 waren es sogar 8776 (ein Rekord, der bis ins Jahr 2000 Bestand haben sollte). Darunter auch ein gewisser Stefan Pichler, der 1982 Dritter wurde (2:16:21). Heute kennt man Pichler nicht als Läufer, sondern als Vorsitzenden des Reiseunternehmens Thomas Cook. Charlotte Teske (ASC Darmstadt) blieb dem Langstreckenlauf länger treu. 1983 siegte die gelernte Krankenschwester in deutscher Rekordzeit (2:28:32), wiederholte ihren Triumph ein Jahr später (2:31:16) und wurde bei ihrem Hattrick-Versuch 1985 nur von der Hitze-Spezialistin Carla Beurskens aus den Niederlanden gestoppt (2:28:37).
Das hohe Niveau der Anfangsjahre des Frankfurt-Marathons belegen einige Zahlen von 1984. Über ein Viertel aller Finisher (1431 von 5522) blieben unter der für Freizeitsportler so magischen Dreistunden-Grenze. Noch erstaunlicher sind die Zahlen 99 (Zeiten unter 2:30 Stunden) und 33 (Zeiten unter 2:20). Beim topbesetzten Rennen in London im Frühjahr dieses Jahres lauteten die Vergleichszahlen 69 und 29.
Nach der fünften Auflage 1985 war erst einmal Schluss. Trotz, aber auch wegen des plötzlichen Marathon-Booms. Die Konkurrenz wurde größer. Die Kosten auch. 1985 überschritt der Etat eine Million Mark. Das wurde der Höchst AG, die inzwischen zur sofis-aventis Gruppe gehört, zu teuer. „Das Stemmen der Veranstaltung alleine durch die Firma war nicht mehr möglich“, erläutert Falkenhan.
Eingestampft wurde das Projekt Marathon jedoch nicht. Mit knapp über 5300 Teilnehmern erfolgte auf dem Messegelände im Oktober 1987 das Comeback. Von einem Triumphlauf à la Festhalle (ab 2003) war aber noch keine Spur. Windige Zielkanäle statt „Gudd Stubb“, Rückstau statt Fanfaren.
Das vorläufige Ergebnis erhielt man erst einige Tage später – per Postkarte.
Drei Feierstunden für Herbert Steffny
1990 war wieder ein besonderes Jahr. Konrad Dobler (2:13:29 Stunden) und Kerstin Pressler (2:34:13 Stunden) ließen sich als Sieger des ersten deutschen Marathons nach der Wiedervereinigung feiern.
Drei Feierstunden erlebte auch Herbert Steffny, der Mann der krummen Jahre und Sieger von 1985, 1989 und 1991.
Auch 1993 tauchte der gelernte Diplom-Biologe aus Freiburg wieder auf. Allerdings als Struwwelpeter verkleidet und als Schrittmacher für die Dreistunden-Läufer. Heute organisiert der EM-Dritte von 1986 Laufseminare, schreibt Laufbücher und tritt als Fernsehkommentar auf.
Unorthodox, aber erfolgreich. Das war die Schweizerin Franziska Moser. 1994 gelang der Juristin ein unerwarteter Streckenrekord (2:27:44 Stunden). Und das drei Monate nach ihrem zweiten Platz beim 67 Kilometer langen Swiss Alpin Marathon in Davos. 2002 starb die damals 35 Jahre alte Schweizerin viel zu früh. Ein Lawinenabgang bei einer Skitour wurde ihr im Winter 2002 zum Verhängnis.
Der Bruder von HAILE
Auch ein gewisser Gebrselassie ist schon in Frankfurt gelaufen. Nicht jedoch der große Haile, sondern sein Bruder Tekeye. 1995 belegte er hinter dem Russen Oleg Otmakow (2:12:35 Stunden), dem Kenianer Elija Lagat (2:12:39) und Klaus-Peter Nabein (2:15:00) den vierten Platz in 2:15:04 Stunden. Katrin Dörre-Heinig legte derweil den Grundstein ihres Hattricks, der zwei Jahre später perfekt wurde. Ende gut, alles gut hieß es 1996 für den völlig entkräfteten Martin Bremer. Zum Zerreißen des Zielbandes fehlte dem 26-Jährigen die Kraft. Aber auch das Fallen auf die Zeitmessmatte reichte zum Sieg in 2:13:38.
Der Japaner Ryukji Takei folgte nur vier Sekunden später.
Für den 1997er-Sieger Michael Fietz (LG Ratio Münster) wurde der Marathon zum Denksport. Der Sieg und ein neuer Streckenrekord (der Äthiopier Dereje Nedi gewann 1984 in 2:11:18) waren dem Westfalen schon sicher. Eine 2:10er-Zeit vergab er fast leichtfertig. Denn bei Kilometer 42 rechnete er die verbleibenden Sekunden auf hundert und nicht auf die noch restlichen knapp zweihundert Meter hoch.
Gerade noch rechtzeitig aber bemerkte Fietz seinen Fauxpas und zog weiter durch (2:10:59).
Eifrig gerechnet wird auch vor der 25. Auflage. Neue Rekorde werden anvisiert.
Eine rückläufige Tendenz ist noch nicht in Sicht.
Die Party kann weiter gehen.
Tammo Lotz in
LEICHTATHLETIK Nr. 43 vom 24. Oktober 2006
Die Sprecher von German Road Races (GRR) gratulieren herzlichst zum Jubiläum!
Horst Milde – Wilfried Raatz – Bernd Düngen – Derk Kogelheide – Sascha Wiczynski
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