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13
09
2007

Der Abschied vom Gottlieb-Daimler-Stadion fällt der Leichtathletik besonders schwer, denn die Atmosphäre bei der WM 1993 gilt bis heute als herausragend.

Gottlieb-Daimler-Stadion – Die Leichtathletik läuft aus – Das Stuttgarter Stadion wird umgebaut und gehört ab 2009 ganz dem Fußball. Die Leichtathleten des „World Athletics Final“ sind in zehn Tagen das letzte Mal zu Gast. Friedhard Teuffel im Tagesspiegel – Istaf Berlin – Weltmeisterin bleibt zu Hause

By GRR 0

BERLIN – Die besten Leichtathleten der Welt treffen sich in zehn Tagen in einem Auslaufmodell. Das Gottlieb-Daimler- Stadion in Stuttgart wird beim World Athletics Final für sie zum letzten Mal eine Bühne sein. Um danach dort aufzutreten, müssten sie schon Fußballprofi werden oder Popstar oder eine Predigt beim Evangelischen Kirchentag halten. Denn der VfB Stuttgart wird der Stadt das Stadion abkaufen und 2009 mit dem Umbau beginnen.
Um es aus der Sicht des Fußballs zu sagen: Dann verschwindet die Distanz zwischen Zuschauern und Spielfeld, weil die Laufbahn wegfällt. Die andere Sicht ist: Die deutsche Leichtathletik verliert einen ihrer besten Austragungsorte, wieder einen.

Für die Fußball-WM 2006 hatte die Leichtathletik schon in vielen Stadien Platz machen müssen. Ohne Stuttgart bleiben ihr in Deutschland nur noch zwei Stadien, die groß genug für Weltmeisterschaften sind: das Berliner und das Münchner Olympiastadion. In Nürnberg könnten vielleicht noch Europameisterschaften stattfinden. Alle anderen großen Stadien in Deutschland haben inzwischen keine Laufbahn mehr. „Der Fußball droht alles plattzumachen“, sagt Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, „in Stuttgart könnte es jetzt zu einer Monokultur kommen.“

Der Abschied vom Gottlieb-Daimler-Stadion fällt der Leichtathletik besonders schwer, denn die Atmosphäre bei der WM 1993 gilt bis heute als herausragend. Für die WM hatte der VfB Stuttgart sogar einen Großteil seiner Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen ins darauffolgende Jahr verlegt. Das Stuttgarter Publikum konnte sich 1993 für die Leichtathletik so sehr begeistern und gleichzeitig die Leistungen der Athleten fachkundig und fair bewerten, dass die Unesco es mit einem Fair-Play-Preis auszeichnete. Doch die Begeisterung ist offenbar in den vergangenen Jahren etwas abgekühlt.

Im letzten Jahr kamen an beiden Tagen zusammen nur 56 000 Zuschauer zum World Athletics Final. Das war der erste Rückschlag für die Leichtathletik. Den zweiten versetzte ihr der VfB Stuttgart mit einer Machbarkeitsstudie im vergangenen Herbst. Die Studie legte ein offenbar überzeugendes Konzept zum Umbau des Stadions vor. „Das hat der VfB schon gut gemacht“, stellt Jürgen Scholz fest, der Präsident des Württembergischen Leichtathletik-Verbandes. Auch der dritte Schlag kam vom Fußball:
Es war der deutsche Meistertitel des VfB in diesem Sommer.

Jetzt verhandeln Stadt und Klub über den Verkauf des Stadions, es soll dabei um einen Preis von 55 Millionen Euro gehen. „Die Stadt steht den Plänen des VfB nicht im Weg“, sagt Katrin Lebherz, Sprecherin der Stadt Stuttgart. Damit ist schon viel gesagt, auch wenn die endgültige Entscheidung der Gemeinderat trifft, vielleicht schon im Oktober.

Eine Entscheidung für die Leichtathletik ist schwer vorstellbar, denn die Aussicht auf Großereignisse ist vorerst gering. Die EM fand 2002 in München statt, die WM wird 2009 in Berlin ausgetragen. Das World Athletics Final war zudem schon im vergangenen Jahr kein Gewinn. Der Zuschuss des Gemeinderates über insgesamt 1,1 Millionen Euro sollte für drei Jahre reichen – er ist schon in diesem Jahr aufgebraucht. Der Vertrag des Internationalen Leichtathletik-Verbands mit Stuttgart läuft zwar noch bis zum nächsten Jahr, aber der Verband sucht bereits einen neuen Ausrichter für 2008.

Aus der Stadt ist zu hören, dass die Leichtathleten zu spät mit ihrem Widerstand gegen Verkauf und Umbau des Stadions angefangen hätten. Erst im April begann der Württembergische Leichtathletik-Verband mit einer Unterschriftenaktion. Gesammelt hätten sie bislang Unterschriften im fünfstelligen Bereich, sagt Verbandspräsident Scholz. Am übernächsten Wochenende beim World Athletics Final wollen sie ihre Aktion trotz des Scheiterns zu Ende führen.
„Das sind wir allen schuldig, die mitgemacht haben“, sagt Scholz, „wir wollen die Leichtathletik in Stuttgart mit Anstand verabschieden.“

Istaf Berlin – Weltmeisterin bleibt zu Hause – Die frischgebackene Diskuswurf-Weltmeisterin Franka Dietzsch will beim Istaf nicht den Pausenclown spielen.

BERLIN – Diese Einladung hat Franka Dietzsch ausgeschlagen. Die Veranstalter des Istaf wollten sie am Sonntag im Berliner Olympiastadion den 70 000 Zuschauern präsentieren, die Diskuswerferin Dietzsch ist schließlich gemeinsam mit der Hammerwerferin Betty Heidler derzeit die einzige deutsche Weltmeisterin in der Leichtathletik. Aber Dietzsch kommt nicht. „Ich spiele doch nicht den Pausenclown“, sagt die 39-Jährige.

Werfen sollte sie ohnehin nicht, das Programm sei zu voll für Diskus. Jetzt kam für Dietzsch noch ein Grund zum Absagen dazu. Gerhard Janetzky, der geschäftsführende Gesellschafter des Istaf, zweifelte in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel an, ob Diskus- und Hammerwerfen überhaupt noch zeitgemäß sind. Für ihn sind beide Disziplinen Streichwerte aus dem überladenen Programm der Leichtathletik. „Es geht darum, welche Disziplinen am wenigsten vorkommen und welche am wenigsten Teilnehmerländer haben“, sagte Janetzky.

Für Dietzsch, die dreimalige Weltmeisterin, gelten jedoch andere Kriterien: „In keiner Disziplin waren die Deutschen in den vergangenen Jahren so erfolgreich wie im Diskuswerfen.“ Janetzkys Aussagen empfindet sie als „Sauerei“. „Ich verstehe auch nicht, warum wir nicht in das Programm passen. Im vergangenen Jahr hat unser Wettkampf nur deshalb so lange gedauert, weil wir ständig unterbrochen worden sind, als 500 Kinder ins Stadion gelaufen sind oder eine Präsentation von Nordic Walking stattfand.“ Das Speerwerfen hatte Janetzky von seiner Kritik an den Wurfdisziplinen ausgenommen, es findet am Sonntag sowohl für Frauen als auch für Männer statt. „Aber doch nur deshalb, weil Janetzky von den skandinavischen Fernsehsendern Geld dafür bekommt“, sagt Dietzsch.

Obwohl sein Weg ins Olympiastadion noch kürzer wäre als für die Neubrandenburgerin Dietzsch, will auch der Berliner Robert Harting nicht zum Istaf kommen. „Ich finde es schon peinlich oder zumindest traurig, dass die deutschen Athleten hier nicht werfen dürfen“, sagt Harting, der in Osaka Silber im Diskuswerfen gewonnen hatte. Seinen erfolgreichen Sportlern sprang auch noch der Deutsche Leichtathletik-Verband zur Seite.
Dessen Präsident Clemens Prokop sagte: „Herr Janetzky sollte besser mit deutschen Weltmeistern für die Leichtathletik werben, als ihre Disziplinen vor seinem Meeting abzuqualifizieren.“

Freidhard Teuffel
Der Tagesspiegel
Donnerstag, dem 13. September 2007

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