Michael Reinsch - Foto. Horst Milde
Gipfel für mehr Bewegung: Der Sport als Allheilmittel – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
„Sport ist wichtiger denn je“: Beim Bewegungsgipfel der Bundesregierung gibt es keine neuen Erkenntnisse. Aber einen Eklat.
Vielleicht wird der 13. Dezember 2022 als historisches Datum des ersten Bewegungsgipfels der Bundesregierung in die Sportgeschichte eingehen. Als Beginn eines Prozesses, in dem eine große Koalition aus Bund, Ländern und Gemeinden die Defizite von Sport und Sportförderung abbaut und die Chancen von Bewegung und Sporttreiben als nationale Aufgabe versteht und nutzt.
Es sei wichtig, nach zweieinhalb Jahren Pandemie Deutschland wieder in Bewegung zu bringen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die zum Gipfel am Dienstag eingeladen hatte und sich offenbar an die Spitze der Bewegung setzen will. Aus sozialen und gesundheitlichen Gründen solle gerade Kindern und Jugendlichen der Zugang zum Sport erleichtert werden. „Sport ist wichtiger denn je“, sagte sie: „Er hält die Gesellschaft zusammen und übernimmt wichtige Bildungsaufgaben; er vermittelt Werte.“
Auch Karl Lauterbach präsentiert sich sportbegeistert
Faeser wurde in ihrer Sportbegeisterung von Karl Lauterbach übertroffen. Der Gesundheitsminister und Medizinprofessor war in Jeans und Trainingsjacke in der Max-Schmeling-Halle von Berlin erschienen, dem Veranstaltungsort. „Wenn wir heute ein Medikament entwickeln würden, womit wir 20 bis 30 Prozent der Depressionen verhindern könnten, womit wir vielleicht 50 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermeiden könnten, Schlaganfälle, Herzinfarkte, womit auch 30 Prozent der Darmkrebsfälle verhindert werden könnten und womit wir bei Demenz eine Senkung des Risikos von 20 bis 30 Prozent erreichen könnten – es wäre mit Gold nicht zu vergüten, und der Erfinder würde schon im nächsten Jahr den Nobelpreis für Medizin erwarten können“, sagte er: „Das ist, was wir mit dem Sport haben. Der Sport leistet all diese Dinge.“
Vielen Teilnehmern erschloss sich die historische Dimension der Veranstaltung trotzdem nicht. Die Kinder von den für ihre Innovationen ausgezeichneten Berliner Vereinen Alba Berlin und Pfeffersport gaben den von Aufgeregtheit der Subalternen geprägten anderthalb Stunden zwar einen fröhlichen Rahmen, indem sie durch die Veranstaltungshalle tobten. Doch neu sind nicht die Erkenntnisse der Politiker, sondern allein der Umstand, dass sie Konsequenzen haben sollen.
In der Gipfelerklärung von Faeser und Lauterbach werden, wie in den gut dreißig Redebeiträgen der Veranstaltung, all die segensreichen Auswirkungen des Sports beschworen und die gute Absicht, sie zu fördern. Doch genauso wie als wunderbare Perspektive lassen sie sich als Liste der Versäumnisse lesen: von der Sanierung vergammelter Hallen bis zur Schaffung von Spiel- und Sportplatz im öffentlichen Raum. Wie soll man deuten, dass die Forderung nach der sprichwörtlichen dritten Sportstunde fehlt? Schule ist Hoheit der Länder, die einzubeziehen Faeser stolz ist. Die Konferenzen der Sport-, Kultus- und Gesundheitsminister sind mit im Boot, die Landesminister Beuth (Hessen), Ebling (Rheinland-Pfalz) und Grote (Hamburg) waren nach Berlin gekommen.
Meistzitiert war am Dienstag der einstige Basketballprofi Henning Harnisch, der dazu aufforderte, die Ganztagsschule als Chance für den Sport zu verstehen, nicht als Hindernis; ein halbes Dutzend Redner schloss sich ihm an. Meistbeachtet war die Ankündigung von Lauterbach, bei der Überarbeitung des Präventionsgesetzes die Rolle der Krankenkassen in Bezug auf Sportförderung deutlich aufzuwerten. „Der Minister öffnet die Tür für den Sport ganz weit“, kommentierte freudig Michaela Röhrbein, im Vorstand des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) für Sportentwicklung zuständig. DOSB-Vizepräsidentin Kerstin Holze, in Vertretung von DOSB-Präsident Weikert beim Gipfel, wiederholte ihre Erwartung, dass Sportvereine von den gesetzlichen Kassen als eigenständige Lebenswelt anerkannt werden und damit die Möglichkeit erhalten, mit diesen Kooperationen einzugehen und Präventionsmaßnahmen zu beantragen.
Dies alles führt nicht automatisch zu Harmonie, wie ein Eklat am Rand der Veranstaltung deutlich machte. Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer, der in der vergangenen Woche im Plenum des Bundestages beklagt hatte, dass die Mitglieder des Sportausschusses nicht eingeladen seien, versuchte Zutritt zur Veranstaltung zu erlangen. Er wurde, nicht ohne Turbulenzen, mit dem Hinweis abgewiesen, der Bewegungsgipfel sei eine Veranstaltung der Regierung. Abgeordnete der Regierungskoalition waren eingeladen. An diesem Mittwoch will sich der Sportausschuss mit der Einladungspolitik der Regierung befassen.
Der 13. Dezember 2022 wird nur dann als historisches Datum in die Geschichte der deutschen Sportpolitik eingehen, wenn in einem Jahr Erfolge vorzuweisen sind. Ob dies auch eine Bilanz der Sportpolitik von Nancy Faeser werden wird, hängt von ihrer Entscheidung ab, ob sie 2023 in den Wahlkampf um das Amt der Ministerpräsidentin Hessens zieht oder nicht.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung –