Symbolbild - Foto: LSB NRW
Gino Bartali – mehr als nur ein Radrennfahrer – Von KLAUS BLUME
Jeden Morgen fällt mein Blick zuerst auf ein gerahmtes Wein-Etikett. Ein Etikett für einen einfachen Chianti. Getrunken habe ich diesen Wein in der Nacht auf den 5. Mai 1989, in einem schlichten Hotel, hochdroben über Neapel.
Während eines sechsstündigem Gespräches mit Gino Bartali. Bei Nüssen, Käse und Brot – denn mehr gab es nicht zum Abendessen. Der dreimalige Giro-Sieger (1936, 1937, 1946), ein weltbekannter Star, und bereits 75 Jahre alt, hatte ebenfalls hier oben sein Nachtlager aufgeschlagen.
Wir sprachen damals über Menschen, also auch über Rad-Profis – doch (noch) nicht über Ginos wichtigste Rolle, damals im Dritten Reich. Seinerzeit wurde er vom italienischen Machthaber Benito Mussolini ausdrücklich aufgefordert, seine Giro-Erfolge ihm und der faschistischen Partei zu widmen. Aber Gino weigerte sich, übrigens mit dem Hinweis, seine Siege seien bereits der Jungfrau Maria gewidmet. Bartali las aber auch in einem sogenannten „Manifest über die Rasse“, dass der italienische Staat beabsichtige, jüdischen Mitbürgern die italienische Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Was konnte er dagegen unternehmen?
Wir haben nach unserem ersten zufälligen Treffen 1989, oberhalb Neapels, oft miteinander telefoniert und uns bei manchem Giro oder der Tour de France getroffen. Und so langsam wurde mir klar, warum Gino nicht nur als dreimaliger Sieger des Giro gefeiert wurde. In den 1930er und 1940er Jahren, als Italien von den Faschisten regiert wurde, fuhr Bartali lange Strecken auf seinem Rennrad, angeblich, um zu trainieren, doch in Wirklichkeit transportiere er gefälschte Fotos und Ausweise, versteckt im Rahmen und Lenker, in die katholische Kirche von Florenz. Um damit jüdische Mitbürger auszurüsten.
Die katholische Kirche von Florenz entwickelte sich in jener Zeit zu einem bewunderten konspirativem Netzwerk ihrer Rettung. Mitten drin Gino, der niemanden einweihen durfte, nicht einmal seine Frau. Er hat das alles geschafft. Ich habe Gino, der Wein, gutem Essen und auch Zigaretten nie abgeneigt war, stets als tiefgläubigen Menschen erlebt. Als Laienmönch der Karmeliter nannte man ihn im Peloton nur den „Radelnden Mönch“.
Er sagte mir einmal, gefragt, warum er über diese Zeit nicht spreche wolle: „Weißt du, ich brauche keine öffentliche Anerkennung. Gewisse Medaillen werden doch an die Seele geheftet, nicht an die Jacke.“ Am 5. Mai 2000 – also, an dem Tag, an dem der Giro meist ganz groß vorgestellt wird – ist Gino gestorben, mit 86 Jahren. Drei Jahre später hat ihn die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem posthum als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.
Jetzt wissen Sie, warum mein Blick jeden Morgen zuerst auf ein gerahmtes Wein-Etikett fällt. Es erinnert mich jeden Tag an denn radelnden Mönch, den sie auch den Unbeugsamen nannten. Nicht nur, weil er gleich dreimal den Giro d‘Italia gewonnen hatte.
Klaus Blume
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