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04
11
2025

Symbolforo: Victah Sailer

Gesetz zur Förderung des Spitzensports – Ein weiterer Schritt in Richtung „Staatssport“ – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel

By GRR 0

Athleten Deutschland e.V.:

  • „Entwurf zum Sportfördergesetz eröffnet Chancen, bleibt aber hinter Erwartungen zurück“

So  auch die Überschriften bei Spiegel online, Tagesspiegel, FAZ,  ZDF und sport.1 …

So und so ähnlich lauteten die Schlagzeilen über einen Entwurf zu einem „Sportfördergesetz“, den die neue Staatsministerin für Sport und Ehrenamt bei einer exklusiven Einladung am 14.10. 2025 im Bundeskanzleramt in Berlin ausgewählten Medienvertretern vorgestellt hat.

In den Berichten über diese Veranstaltung und über das neue Gesetz lassen sich – von der Ministerin autorisierte – Zitate finden, die sie den geladenen Journalisten auf dem Weg in ihre Redaktionen mitgegeben hat. Einen Link auf den vollen Wortlaut des neuen Gesetzesentwurfs lässt sich in dieser Berichterstattung nicht finden. Gleiches gilt für die Homepage des Bundeskanzleramtes und der dort angesiedelten neuen Staatsministerin für Sport und Ehrenamt. Ganz offensichtlich war es die Absicht der neuen Ministerin, ausgewählte Pressevertreter noch vor den eigentlich von einem neuen Gesetz betroffenen Institutionen und Personen des organisierten Sports, insbesondere des DOSB, vorab zu informieren.

Wer sich die Mühe macht und bereit ist, den vollen Wortlaut des nunmehr veröffentlichten 57-seitigen Referentenentwurfs zu einem neuen Sportgesetz ganz zu lesen, der kann sich über diese – alle Regeln des Fair Play verstoßende – Vorgehensweise kaum wundern. Mit diesem Entwurf beschreitet die neue Bundesregierung einen neuen sportpolitischen Weg, bei dem mit Hilfe eines ideologischen Propagandainstruments namens „Unabhängigkeit“ ein weiterer Schritt zur Verstaatlichung des Sports vollzogen wird, der mit der Einrichtung eines Sportministeriums unter dem Beifall der Sportorganisationen bereits vor ein paar Monaten vollzogen wurde. Das in der katholischen Soziallehre beschriebene Prinzip der staatlichen Subsidiarität, das vor 75 Jahren bei der Gründung des DSB in Hannover für das Verhältnis zwischen Staat und Sport grundlegend war, wird damit über Bord geworfen und das Prinzip eines vom Staat unabhängigen Sports wird ohne erkennbaren Widerstand der davon betroffenen Organisationen zu einem historischen Relikt, über dessen Bedeutung nachrückende Generationen sich vermutlich nur wundern können.

Im Gesetzestext selbst wird dabei von einem „echten Paradigmenwechsel“ gesprochen, der mit dem neuen Gesetz vollzogen werden soll und es wird darauf hingewiesen, dass der Sport erstmalig durch die neue Bundesregierung auf eine „spezialgesetzliche Grundlage“ gestellt wird.

Von einer „Neuheit“ oder gar von einer „Sensation“ kann dabei allerdings nicht gesprochen werden, auch wenn die neue Ministerin gegenüber den Medien diesen Eindruck vermitteln möchte. Der Gesetzentwurf des Bundeskanzleramtes ist im Wortlaut weitgehend gleichlautend mit dem Referentenentwurf des Bundesministers des Innern und für Heimat aus der vergangenen Legislaturperiode. Der Entwurf lässt daher eine identische Autorenschaft vermuten.

Der Begriff „BMI“ wurde lediglich durch den Begriff „Bundeskanzleramt“ ersetzt. Es wird wohl darauf hingewiesen, dass der Gesetzentwurf der 20. Legislaturperiode nach dem „Grundsatz der Diskontinuität“ verfallen sei und man im Koalitionsvertrag zur 21. Wahlperiode vereinbart habe, einen echten Paradigmenwechsel in der Spitzensportförderung zu vollziehen. Dies ist wohl tatsächlich der Fall, doch der Paradigmenwechsel wurde bereits von der Ampel-Regierung vollzogen, und die neue Ministerin hat lediglich einige Veränderungen eingebracht, bei denen zu überprüfen ist, ob sie als Verbesserung oder eher als noch entschiedenere Schritte hin zur Verstaatlichung des Sports bedeuten. Als neu kann allenfalls die stärkere Gewichtung der „Förderung des Sports für Menschen mit geistiger Behinderung“ betrachtet werden. Mit Blick auf die propagierte „Unabhängigkeit“ ist ferner beachtenswert, dass darauf hingewiesen wird, dass die administrative Zuwendungsabwicklung für die neue Spitzensport Agentur das Bundesverwaltungsamt übernehmen wird.

Zentrale Inhalte des neuen Gesetzes

  1. Welches Problem soll mit dem neuen Gesetz zur Förderung des Spitzensports gelöst werden?

Im Gesetzestext wird als das entscheidende Problem erachtet, dass in der letzten Dekade die öffentlichen Bundesmittel insgesamt stark angestiegen sind. Doch im selben Zeitraum waren die deutschen Athletinnen und Athleten bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften im Vergleich zum Mitteleinsatz nicht ausreichend erfolgreich.  Es wird konstatiert, dass die bisherigen Reformmaßnahmen und die Umsetzung der Reform nur punktuelle Veränderungen von einzelnen Strukturelementen des Leistungssports erbracht haben, aber dadurch keine tiefgreifenden Weiterentwicklungen möglich gemacht wurden.

  1. Welches Ziel wird mit dem neuen Gesetz verfolgt?

Das Ziel des neuen Gesetzes ist es, in einem „ganzheitlichen Ansatz den Spitzensport unter Wahrung seiner grundlegenden Werte erfolgreicher zu machen“. Als Vorgabe für den Erfolg wird dabei eine Platzierung in der Nationenwertung bei Olympischen Sommerspielen von Platz 1 bis Platz 5 und bei den Olympischen Winterspielen von Platz 1 bis Platz 3 benannt. Deshalb soll die staatliche Förderung potenzial- und erfolgsorientiert ausgerichtet werden und die Strukturen sollen so gestaltet werden, dass die Spitzenathletinnen und Spitzenathleten bestmögliche Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Karriere zur Verfügung haben. „Die Förderung soll effizienter, effektiver und weniger bürokratisch ausgestaltet werden – dies auch vor dem Hintergrund der laufenden Olympiabewerbung des DOSB für Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland, die von der Bundesregierung vollumfänglich unterstützt wird. Um die Chancen für eine erfolgreiche Teilnahme an Olympischen und Paralympischen Spielen im eigenen Land zu erhöhen, müssen die notwendigen Weichen in der Spitzensportförderung jetzt gestellt werden.

Das Instrument „PotAS“ wird weitergeführt, trotz aller geäußerten Kritik. Allerdings kommt es im paralympischen Sport nicht zur Anwendung und der „Nicht- Olympische Sport“ wird anhand einer erfolgs- und zielwettbewerbsorientierten Clusterung gefördert.

  1. Wie wird die Förderung des Spitzensports in dem neuen Gesetz legitimiert?

Die Bundesregierung glaubt, dass die sportlichen Erfolge deutscher Spitzenathletinnen und Spitzenathleten den Sportstandort Deutschland stärken. Ebenso werden die Qualitätsfaktoren Integrität, Werteorientierung, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit sowie soziale und ökologische Nachhaltigkeit gestärkt. Die Regierung nimmt an, dass durch die Erfolge es zu einer positiven Repräsentanz Deutschlands in der Welt kommt und dass Erfolge nachfolgenden Generationen von Athletinnen und Athleten als Anreiz dienen.

  1. Welche Lösung soll durch das neue Gesetz angestrebt werden?

Durch das Gesetz soll ein gesamtheitliches und transparentes System für die zukünftige Förderung des Spitzensports in Deutschland geschaffen werden. Im Zentrum des neuen Systems steht eine „Spitzensport-Agentur“ als öffentlich-rechtliche Stiftung. Durch den Stiftungscharakter der Agentur wird ermöglicht, Zustiftungen und Bemühungen und Spenden privater Dritter entgegenzunehmen.
Als weitere Einzelziele werden u.a. erwähnt: Verschlankung der Entscheidungsprozesse und Kompetenzen, Etablierung einer zentralen Schnittstelle, Überarbeitung und Neuausrichtung der Förder- Bereiche inklusive Entbürokratisierung und Digitalisierung der Mittelvergabe, Verringerung der Anfälligkeit der Mittelvergabe für Partikularinteressen, Einführung einer sportfachlichen Steuerung, Reduktion der Bundesstützpunkte und neue Kriterien für die Anerkennung der Bundeskader.

  1. Welche neuen Strukturen sieht das Gesetz vor?

Im Zentrum der neuen Sportpolitik steht die „Spitzensport-Agentur“ mit einem zweiköpfigen „Vorstand“, für den das „Besserstellungsverbot“[1] nicht gelten soll.

Beaufsichtigt wird diese „Spitzensport-Agentur“ und deren Vorstand von einem fünfköpfigen „Stiftungsrat“, in dem die Bundesregierung mit ihrem Kanzleramt (1Mitglied) und der Deutsche Bundestag (2 Mitglieder) über die Mehrheit der Stimmen (60%) verfügt. Im alten Entwurf lag dieser Anteil bei 50 %. Den Organisationen des Sports (1 Mitglied / 20%) kommt auch im neuen Stiftungsrat nur eine nachgeordnete Bedeutung zu. Im alten Entwurf lag der Anteil des DOSB bei 33 %. Neben der Bundesregierung und dem Bundestag hat im neuen Stiftungsrat auch ein Repräsentant der Bundesländer Sitz und Stimme (20%; vormals 16%). Damit wurde insgesamt der staatliche Einfluss von einstmals 66 % auf nunmehr 80 % erhöht.

Neben dem Stiftungsrat und dem Vorstand der Stiftung soll ein „Sportbeirat“ den Vorstand beraten. Ein Entsendungsrecht für den Sportbeirat haben die folgenden Organisationen:

  1. der Deutsche Olympische Sportbund für sechs Mitglieder;
  2. die folgenden Organisationen für je ein Mitglied:
  3. a) der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband e.V.;
  4. b) Athleten Deutschland e.V.;
  5. c) der Berufsverband der Trainerinnen und Trainer e.V.;
  6. d) das Bundesinstitut für Sportwissenschaft;
  7. e) der Deutsche Behindertensportverband und das Nationale Paralympische (sic!) Komitee e.V.;
  8. f) die Stiftung Deutsche Sporthilfe;
  9. g) die Deutsche Sportjugend e.V.;
  10. h) die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft e.V.;
  11. i) Teamsport Deutschland e.V.
  12. j) die Trainerakademie Köln des Deutschen Olympischen Sportbundes e.V.;
  13. die Sportministerkonferenz der Länder für zwei Mitglieder;
  14. die Landessportbünde für zwei Mitglieder.

Das Bundeskanzleramt entsendet ein beobachtendes Mitglied als ständigen Gast.

Auch hier fällt auf, dass von einer „Unabhängigkeit“ der zukünftigen deutschen Sportförderung, wie sie immer wieder gefordert wurde, ganz offensichtlich nicht gesprochen werden kann, da sowohl der Vorstand als auch der Sportbeirat der Überprüfung und Berufung durch den Stiftungsrat bedarf und diesem unterstellt ist. Die Zusammensetzung und Größe des Sportbeirats lassen vermuten, dass es sich hierbei vorrangig um eine Akklamations- Instanz ausgewählter Sport Funktionäre handelt. Von einem fundierten Expertengremium in Fragen des Spitzensports kann dabei wohl kaum gesprochen werden.

Sowohl die Besoldung des Vorstandes als auch die Besoldung des Dienstpersonals der zukünftigen „Spitzensport-Agentur“ erfolgt auf der Grundlage der staatlichen Besoldungsordnung für Ministerien der Bundesregierung, wobei das “Besserstellungsverbot“ – wie dargelegt – für die Vorstandsmitglieder ausdrücklich nicht gilt. Stiftungsrat und Sportbeirat werden im Gesetz als ehrenamtliche Gremien definiert, für die es lediglich Reisekostenersatz gibt. In dem Gesetzentwurf geht man davon aus, dass für die neue „Spitzensport-Agentur“ 24 neue Stellen zu schaffen sind. Gleichzeitig wird vorgegeben, dass im Bundesministerium des Innern Stellen eingespart werden können. Unter Kostengesichtspunkten wird angenommen, dass es nach Verabschiedung des Gesetzes zunächst zu höheren Ausgaben kommt, mittelfristig jedoch Kosten eingespart werden können.

Interessant ist, dass in der Kurzfassung des „Gesetzes zur Regelung der Förderung des Spitzensports und weiterer Maßnahmen gesamtstaatlicher Bedeutung im Sport sowie zu Errichtung der „Spitzensport-Agentur“ (SPoFöG) in einem Kapitel C auch die Frage nach Alternativen behandelt wird. Eine mögliche Alternative wäre demnach „die Reform der Aufgabenbereiche innerhalb der bestehenden Organisationsstrukturen unter wesentlicher Weiterentwicklung“. Dabei wird erwähnt, dass eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, die jedoch nicht offengelegt wird, ergeben habe, dass eine Ausgliederung der Aufgabenbereiche auf eine unabhängige „Spitzensport-Agentur“ wesentlich wirtschaftlicher arbeiten würde. Es wird allerdings konstatiert, dass eine Fortführung der Aufgabenwahrnehmung bei rein monetärer Betrachtung zu einem geringfügigen jährlichen Kostenvorteil führen würde. Eine Nutzwertanalyse zeige jedoch, dass „eine zukünftige Wahrnehmung der Aufgabenbereiche von einer unabhängigen Mittelvergabeinstanz bei qualitativer Betrachtungsweise im Nutzwert wesentlich überwiegt“. Auch diese Nutzwertanalyse wird jedoch nicht offengelegt. Auch die Kriterien für die Einrichtung einer unabhängigen Mittelvergabeinstanz werden (aus welchem Grund?)  nicht offengelegt.

Auf den Prüfstand gestellt

Die vollmundigen Worte der neuen Staatsministerin bei der Ankündigung ihres neuen Sportgesetzes legen es nahe, dass der Entwurf der Bundesregierung dringend einer genauen Überprüfung Bedarf. Ist man darum bemüht, so fällt zunächst auf, dass in dem neuen Entwurf sämtliche politischen Metaphern bzw. Plattitüden angetroffen werden können, die uns der politische Zeitgeist nahelegt: Soziale und ökologische Nachhaltigkeit, Entbürokratisierung, Digitalisierung, Controlling, Diversität, Integration, Transparenz, Unabhängigkeit, Inklusion etc.

In demselben Sprachstil wird die „gesellschaftliche Bedeutung des Spitzensports“ herausgestellt: Er steht für hohe Einsatzbereitschaft, Leistungswillen, Wertevielfalt (Engagement, Toleranz, Respekt, Teamgeist). Er motiviert Menschen aller Altersklassen und Herkunft mit und ohne Einschränkungen Spitzensportlern nachzueifern und sich ehrenamtlich zu engagieren. Der Spitzensport trägt demnach mit seiner sozialen und integrativen Kraft zu der Entfaltung der Vereine bei.

In vergleichbarer Weise wurde und wird über die Bedeutung des Spitzensports schon seit langem in Sonntagsreden, Feierstunden mit und über den Sport gesprochen. Manche dieser Funktionszuweisungen kann durchaus als plausibel bezeichnet werden und positive Erfahrungen, die man mit dem Spitzensport in der Vergangenheit gemacht hat, legen solche Verallgemeinerungen nahe. Wird jedoch der Spitzensport in Bezug auf seine Transfer-Wirkung etwas genauer analysiert, wie dies in vielen wissenschaftlichen Studien bislang der Fall war, so müssen  die immer auffälliger werdenden Schattenseiten des Spitzensports gegenüber den erwünschten Sonnenseiten zumindest erwähnt werden: Soziale Ungleichheit, Ausbeutung, Schmarotzerstrukturen, Manipulation, Doping, Betrug, Korruption, Gesundheitsgefährdung, Geldgier, sportpolitische Verantwortungslosigkeit etc. wären dann die Stichworte, die mit ihren Folgen zu erläutern wären und die es keineswegs als selbstverständlich erscheinen lassen, dass der Spitzensport aus Mitteln  der Steuerzahler  zu finanzieren ist. Ordnet man den Spitzensport der Unterhaltungsindustrie zu, was er in Teilen ohne Zweifel schon seit langem ist, so könnte zynisch die Frage aufgeworfen werden, ob die Bundesrepublik nunmehr auch ein „Gesetz zur Förderung der Popmusik“ auf den Weg bringen möchte.

Unter grundsätzlichen Gesichtspunkten ist es meines Erachtens durchaus zu begrüßen, dass die Bundesregierung sich zur Förderung des Hochleistungssports bekennt und für diese Förderung eine eigenständige gesetzliche Grundlage schafft. Es könnte gleichwohl aber auch hinterfragt werden, ob der Hochleistungssport überhaupt für eine internationale „Repräsentation“ eines Staates in der erhofften bzw. erwarteten Weise geeignet ist. Sollten nicht vielmehr (noch immer) die mahnenden Worte eines Helmut Schmidt anlässlich der 25-Jahrfeier des DSB am 06. Dezember 1975 in der Frankfurter Paulskirche bedacht werden, als er u.a. vor einer „Medaillenhysterie“ warnte?

Doch scheint heute dieser Sachverhalt nur noch von einer Minderheit als „kritisch“ betrachtet zu werden. Dieser Sachverhalt kann nur dann infrage gestellt werden, wenn anstelle einer nationalen Identifikation den Konsumenten des Spitzensports andere Formen der Identifikation offeriert werden. Von der großen Mehrheit der Zuschauer von internationalen Sportereignissen wird ganz offensichtlich eine nationale Identifikation gesucht und erwünscht. Auch die in dem Gesetzesentwurf erkennbare Orientierung an sportlichen Medaillenerfolgen und damit an einem höheren Gewinn von Medaillen ist angesichts der Logik des Spitzensports und dessen „Sieg-Niederlage- Code“ durchaus nachvollziehbar.

Ob die vorgenommene Zielorientierung (Platz 1-5 bei Olympischen Sommerspielen; Platz 1-3 bei Olympischen Winterspielen) sinnvoll ist, kann allerdings zu Recht bezweifelt werden und ist angesichts der wachsenden internationalen Konkurrenz bei Olympischen Sommer- und Winterspielen eher als eine unrealistische Zielvorgabe zu bezeichnen.

Keineswegs nachvollziehbar ist hingegen die Annahme, dass die bestehenden Strukturen nicht dasselbe leisten können, wie die nun durch das Gesetz angestrebten neuen Strukturen.

Ersetzen wir die neuen „Etiketten“ mit den alten so wird sehr schnell zu erkennen sein, dass mit dem angeblich neuen Sportgesetz keineswegs ein neues schlagkräftiges Instrument zur Steuerung des deutschen Hochleistungssports eingeführt wird.
Im alten Hochleistungssportsystem Deutschlands entsprach dem Stiftungsrat das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes, dem Vorstand entsprach die Abteilung Spitzensport des DOSB, der Sportbeirat in der neuen Struktur entspricht dem Sportbeirat des DOSB, in dem mehr sportfachliche Kompetenz vertreten war/ist als dies in dem jetzt neuen “Sportbeirat“ – allein schon auf Grund seiner festgeschriebenen, funktionsgebundenen Personalstruktur – der Fall ist. Die „Oberaufsicht“ über die ordnungsgemäße Verwendung der für den Spitzensport zweckgebunden staatlichen Zuwendungen lag in der alten Struktur beim Bundesminister des Innern und für Heimat. Dieser wird heute lediglich durch das neue „Türschild“ Bundeskanzleramt ersetzt. Die Möglichkeit der Stiftung und der ergänzenden Finanzierung durch „Private“ gab es auch in der alten Struktur durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe. Diese Art von Vergleich könnte fortgeführt werden.

Gewiss gab es genügend Gründe, die alte Struktur infrage zu stellen, was vorrangig an den schwachen personellen Strukturen der Abteilung Leistungssport liegt, die der DOSB ursächlich verschuldet hat. Bei einer Wiederbelebung der Strukturen eines unabhängigen Nationalen Olympischen Komitees und einer qualitativen Erneuerung des DOSB- Personals wäre jedoch eine weitaus kostengünstigere und unbürokratischere Verbesserung des Leistungssports in Deutschland möglich gewesen, als dies nun mit dem neuen Sportgesetz der Fall sein wird. Von einer Entbürokratisierung kann beim neuen Gesetz ganz gewiss nicht gesprochen werden, denn die Strukturen werden eher komplizierter, als dass sie vereinfacht werden. Höhere finanzielle Zuwendungen zu Gunsten der Sportförderung sind sowohl bei der alten Struktur wie bei der neuen entscheidend für die Erreichung der Ziele, die bisher bereits bestanden haben und die im neuen Sportgesetz lediglich fortgeschrieben werden.

Eine äußerst wichtige, aber zentrale Frage wird in dem Gesetzesentwurf vermutlich aus guten Gründen erst gar nicht beantwortet: Welche Aufgabe soll zukünftig der DOSB wahrnehmen, wenn alle Belange des Hochleistungssports der neu zu gründenden „Spitzensport-Agentur“ zugeordnet werden? Welche sportpolitische Funktion soll der DOSB angesichts der Zuständigkeit der Länder für den Schul- und Breitensport mit seiner durchaus personalintensiven Zentrale in Frankfurt zukünftig wahrnehmen? Damit verbunden stellt sich die weiterführende Frage, wer zukünftig den deutschen Sport international vertritt und wer gegenüber dem IOC die Rolle eines unabhängigen Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland wahrnimmt? Praxis nah muss auch gefragt werden, wer zukünftig für die Nominierung unserer Olympiamannschaften verantwortlich ist. Ironisch könnte die Frage hinzugefügt werden, ob es wünschenswert ist, dass zukünftig beim Einmarsch der Nationen das deutsche Olympia Team vom Bundeskanzler, seiner Sportministerin und seinen von ihnen ernannten zwei Vorständen angeführt wird.

Die größten Zweifel in Bezug auf die Angemessenheit des neuen Sportgesetzes sind jedoch außerhalb der in dem Gesetz behandelnden Themen und organisatorischen Bereiche zu suchen.

Von einer tragfähigen Basis, die jedes Hochleistungssportsystem benötigt, wird in diesem Gesetz nicht einmal andeutungsweise gesprochen. Doch es ist die Basis, die die Zukunft des Hochleistungssports zur sichern hat: Sportunterricht und Schulsport, Wettkampsport im Verein, Wettkampfsport an Universitäten etc. Sie gilt, es prioritär zu fördern, will man zukünftig im internationalen Hochleistungssport konkurrenzfähig sein.

Anstelle eines Nachworts

Kernsätze aus der Rede des Bundeskanzlers Helmut Schmidt bei der 25-Jahr-Feier des Deutschen Sportbundes am 6. Dezember 1975 in der Frankfurter Paulskirche:

„Es wäre sehr naiv, wollten wir den Sport in einer kommunistischen Gesellschaft nicht als Teil der dort herrschenden politisch-ideologischen Wirklichkeit begreifen. Wer das Ziel hat, hinter dem Leistungsstand der anderen Seite in einigen Disziplinen nicht zurückzubleiben, kann zwar aus den Erfolgen der anderen Antrieb für seinen eigenen Leistungswillen gewinnen, aber er muss aufpassen, dass er nichts verpflanzen will, was sich nicht verpflanzen lässt. Und er muss aufpassen, dass er nicht verschüttet, was hierzulande kräftige Wurzeln hat: nämlich die Freude des Einzelnen, etwas zu leisten in selbstverwalteten und selbstverantwortlichen Verbänden und Vereinen. Sport darf für uns nie zur Speerspitze im ideologischen Kampf werden.

Wir bejahen die volle Unabhängigkeit des Sports. Wir sind Partner, die einander helfen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Wir werden Partner bleiben, weil unser Staat nicht alles allein machen will, weil er die freiwillige Mitverantwortung und tätige Mitarbeit seiner Bürger sucht. (….)

Sie, Herr Präsident Weyer, haben vor kurzem die Turn- und Sportbewegung als einen Glücksfall für unsere Gesellschaft bezeichnet. Und Sie haben dabei – durchaus im Sinne des politischen Selbstverständnisses, zu dem der DSB sich erfreulicherweise bekennt – von einer gewaltigen Bürgerinitiative gesprochen; Sie haben gesprochen von der freiheitlichen Selbsthilfe des Sports, die den Staat entlastet.

Weil ich dem, was Sie damit im Kern meinten, voll zustimme, will ich heute in meiner Laudatio die nicht vergessen, die diesen Glücksfall recht eigentlich ausmachen, das sind unsere Vereine. Ihnen zu danken, ist mir in dieser Stunde besonderes Anliegen. Haltet mir die Vereine hoch! (…)

Wirklichkeit des Schulsports ist unerträglich

Über den Schulsport habe ich vor wenigen Tagen mit den Ministerpräsidenten der Länder gesprochen. Ich spreche jetzt nur für meine Person, weil ich nicht ganz sicher bin, ob ich das was jetzt kommt, für die ganze Bundesregierung sagen darf. Aber ich halte das, was wir in Sachen Schulsport in Wirklichkeit vorfinden in unserem Lande, für schlechthin unerträglich.

Ich bin fest überzeugt, es darf so nicht bleiben, dass bei den allgemein-bildenden Schulen im Schnitt gerade zwei Stunden Sportunterricht in der Woche angeboten werden, keineswegs immer auch erteilt werden; und bei den Grundschulen und den Sonderschulen sieht es noch schlimmer aus, bei den Berufsschulen am allerschlimmsten.

Es wird uns ja durchaus zugegeben, dass der Sport – übrigens zusammen mit den musischen Betätigungen – als Randgebiet vernachlässigt wird. Das hat natürlich auch zu tun mit dem derzeit geltenden Zulassungsverfahren zur Hochschule. Zeugnisse in Sport gehen grundsätzlich in den Notendurchschnitt nicht ein, den man braucht, um den Numerus clausus zu überwinden, Zeugnisse in Musik oder in Malerei oder Zeichnen auch nicht.

Aber ich denke, dass es auch etwas zu tun hat mit falschen, weil nicht zu Ende gedachten Reaktionen auf das Dritte Reich. Als ich zur Schule ging, – ich bin 1936 mitten in der Nazizeit aus der Schule gekommen, – da hatte natürlich die damals in Deutschland allein regierende Partei, ähnlich wie in anderen Diktaturen, auch aus dem Sport ein politisches Instrument gemacht.

Das hat Ressentiments und Widerstand ausgelöst, der sich dann in den Köpfen der Pädagogen nach 1945 nicht sofort verflüchtigte. Wie hätte er das auch tun können? Jeder war doch bemüht, die Konsequenzen zu ziehen aus den Erfahrungen, die man in der Naziära gemacht oder erlitten hatte. Aber es ist ein großes Missverständnis, zu meinen, Sport in der Schule sei ein Attribut einer Diktatur. Im Gegenteil, wer in der Schule nur die geistes- und naturwissenschaftlichen Fächer paukte und versäumte darüber denjenigen Teil der Erziehung, der nur durch den Sport geleistet werden kann, oder er versäumte darüber denjenigen Teil der Erziehung, der nur durch Musik oder Bildende Kunst und das Einüben derselben geleistet werden kann, der schafft eben dadurch Pennälertum.

Ich werde nie vergessen, was ich auf dem Felde des Sports meiner Schule zu verdanken habe. Vielleicht haben wir Jungens damals nicht ganz soviel Sprachen oder Mathematik gelernt, aber wir haben sechs Tage in der Woche jeden Tag eine Stunde Sport gemacht, und eine von diesen sechs Sportstunden war eine Schwimmstunde.

Mit 18 Jahren konnte niemand ein ‚genügend‘ in Sport bekommen, der nicht das Deutsche Sportabzeichen erworben hatte, und ‚gut‘ erhielt man nur, wenn man mindestens 10 Bedingungen fürs Sportabzeichen erfüllte. Ich hatte 21, ich durfte eine ‚Eins‘ kriegen. Ich war jedoch in der Klasse nicht der Einzige mit einer ‚Eins‘, sondern zwei Drittel hatten eine, die hatten alle über 20 mal die Bedingungen des Sportabzeichens in ein und demselben Jahr erfüllt. Das war der Erfolg dieses Schulsports über acht oder neun Jahre!

Dank an Turnlehrer Ernst Schöning

Nie werde ich meine innere Dankbarkeit gegenüber meinem Turnlehrer Ernst Schöning aufgeben – er lebt heute noch, inzwischen wohl 90 Jahre alt – für das, was er uns jungen Leuten an menschlichem Vorbild gegeben hat. Er hat uns in nichts anderem unterrichtet als wie man miteinander Handball spielt, wie man miteinander Faustball spielt, wie man seinen eigenen Körper zu beherrschen lernt im Gerätturnen. Von ihm ist der stärkste pädagogische Einfluss ausgegangen auf uns junge Menschen. Es gibt viele, denen es so gegangen ist.

Deswegen ist es nicht nur ein Irrtum zu meinen, Sport an der Schule und sportliches Spiel an der Schule seien Attribute diktatorischer Gesellschaften. Es ist vielmehr ein schweres Versäumnis an der pädagogischen Aufgabe, wenn Sport und ebenso Erweckung und Einübung musischer Interessen an der Schule zurückbleiben.

In diesen Tagen wird der 100. Geburtstag des früheren Reichstagspräsidenten Paul Löbe gefeiert. Er hat vor einem halben Jahrhundert, nämlich 1927, öffentlich die tägliche Sportstunde für die Schulen gefordert.

Schauen Sie sich um, wo Sie diese heute finden!

Bei den jungen Menschen ist ja eine innere Bereitschaft da, die nur geweckt zu werden braucht. Nicht zuletzt deswegen sind so viele Jungen und Mädchen in Ihren Vereinen, meine Damen und Herren, weil sie an der Schule sportlich im Stich gelassen werden.

Deshalb sollte jeder versuchen, in seinem Ort, in seiner Stadt, in den Bereichen, in denen er persönlichen Einfluss hat, die Schule ein bisschen zum Schulsport anzuregen.“

Letzte Bearbeitung: 30.10.2025

[1] Zuwendungsempfänger sind bei der Gestaltung ihrer Gehälter an das sogenannte „Besserstellungsverbot“ gebunden. Dieses besagt, dass ein Zuwendungsempfänger, der seine Ausgaben überwiegend aus Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln bestreitet, seine Beschäftigten nicht besserstellen darf als vergleichbare Bundesbedienstete. (Vgl.: Rödel & Partner: https://www.roedl.de/themen/newsletter-gesundheits-sozialwirtschaft/2024/themenspecial/besserstellungsverbot-lohnbestandteile– Zugriff am 28.10.2025)

[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird gelegentlich auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Sportwissenschaft
Wilhelmstr. 124 – 72074 Tübingen – Germany
Mobil: +49 162 2903512 – Tel. 00498641 6997330

 

author: GRR

 

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