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26
03
2022

Radrennen - Symbolbild - Foto: Horst Milde

Gent-Wevelgem: Wetten, bis der Sprint „lanciert“ ist – Von KLAUS BLUME

By GRR 0

WEVELGEM – An diesem Sonntag rollt in Belgien zum 84. Mal der flämische Rad-Klassiker Gent-Wevelgem. Ein Rennen über Stock und Stein, 248,9 Kilometer lang – ein Volksfest, weit und breit.

Warum, haben wir auch diesmal wieder erlebt. Schließlich geht es auf den Straßen zwischen Lille und Gent nicht nur um ein Radrennen.

„Nein, Monsieur, das würde ich Ihnen nicht raten.“ Carl Deprez aus Staden in Flandern zwirbelt seinen riesigen grauen Schnauzbart, dann erklärt er, warum er abrät: „Sehen Sie, mit einem Fahrer, wie dem einstigen großen Tom Boonen könnten Sie sehr viel Geld bei mir gewinnen. Ansonsten: Sechzig zu Zwanzig steht die allgemeine Quote für einen absoluten Außenseiter-Tipp. Doch ich glaube nicht, dass irgendeiner der dreizehn Deutschen am Sonntag als Erster über die Ziellinie sprintet.“

Ein fairer Tip des zugelassenen Buchmachers Carl Deprez. Die Favoriten für den 84. belgischen Traditions-Klassiker über Kopfsteine und Naturstraßen nach Wevelgem in Westflandern sind andere: wie immer, viele Belgier – vor allem aber Vorjahrssieger Wout van Aert vom niederländischen Team Jumbo Visma. Wer auf ihn setze, könne deshalb nicht viel Geld gewinnen. Und Aussenseiter? „Nehmen Sie doch mal wieder den Deutschen John Degenkolb, der hat 2007 hier sogar gewonnen“, rät Deprez. Überredet. Obwohl wir skeptisch bleiben.

Zocker und Radrennen: Auf dem Fahrrad, neben dem Fahrrad, in den Begleitfahrzeugen der „Directeur sportifs“, der Team-Chefs – und am Straßenrand. Überall wird hier an solchen Tagen gewettet. Und zwar bis eine Minute vor Schluss eines Rennens. Denn offiziell heißt es, bis der Sprint vor dem Ziel „lanciert“ ist. Wann dieser Moment eintritt, entscheidet der Buchmacher, bei dem Sie gerade gewettet haben. Und zwar nach Gusto. In Belgien, in Frankreich ist das so. Bei zugelassen und illegalen Buchmachern, auf der Straße, in der Kneipe. Überall stehen in diesen Tagen jene Kreidetafeln, auf denen die Werte der Rennfahrer auf- und absteigen.

Bis der Sprint „lanciert“ ist.

Am Tag vor dem großen Sprint-Klassiker Gent-Wevelgem steigt dieses Wettfieber ganz besonders. Denn alle setzen auf irgendeinen Außenseiter, doch meist gewinnt dann doch einer der Top-Favoriten. Zuletzt gab’s 1997 einen ganz und gar verrückten Aussenseitersieg, mit dem niemand gerechnet hatte: durch den Franzosen Philippe Gaumont. Damals war die Enttäuschung bei den „Prognostiekern“ groß, wie sich in Flandern die Zocker nennen. Denn Gaumont, so erinnert sich Buchmacher Carl Deprez noch heute, stand weder bei ihm, noch bei seinen Kollegen auf der Schiefertafel. „Da sind wir alle gut davon gekommen“, erinnert er sich.

Die besten Quoten, so heißt es in der Szene, gäbe es jedoch bei den illegalen Buchmachern, in verschwiegenen Cafés und stillen Bistros, tief in der flämischen Provinz. Dabei müsse man sich am besten auf die Tipps der belgischen „Directeur sportifs“ verlassen. Die wüssten, wo man richtig Geld machen könne.

Also hielten wir uns dran. Doch im ersten Wirtshaus gibt man uns den Tip, lieber auf den Außenseiter der ersten flämischen Provinzklasse im Fußball zu setzen: „Mijnher, ich mache Ihnen auch eine verdammt gute Quote.“ Nur raus hier, dachten wir. Endlich, irgendwo hinter einem Dorf, das fast schon in Frankreich liegt, wurden wir fündig: O

Ob wir uns nicht auch beim flämischen Championat im Finken-Singen als „Prognostieker“ betätigen wollten? Oder beim Schelde-Preis der Brieftauben-Züchter? „Da, Mijner,“ sagt der Wirt vom Sport-Café, „können Sie richtiges Geld gewinnen, vor allem bei Kombinations-Wetten.“

Wir verstünden aber nichts von Brieftauben und singenden Finken. Macht nichts, sagte der Wirt. Trotzdem bekommen wir unseren kombinierten Wettschein fürs Finken-Schlagen plus Gent-Wevelgem. Wir schreiben zehn Namen drauf und zahlen sechzig Euro.

Und wissen, es ist ein verlorener Einsatz.
 
Klaus Blume
Uhlenhorster Weg 2
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