Es wird an Mäusen umgesetzt. Ich bin der Überzeugung, dass alles, was an Mäusen geht, grundsätzlich auch am Menschen möglich ist. Aber es ist nicht erlaubt. Kein verantwortungsvoller Wissenschaftler wird das am Menschen tun; das kann massive Nebenwirkungen haben.
Gendoping – „Was an Mäusen geht, ist auch am Menschen möglich – Wer annimmt, Bodybuilder seien tumbe Kerle, täuscht sich. Im Internet stellen Bodybuilder wissenschaftliche Veröffentlichungen vor – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Patrick Diel, Experte für Gendoping, im F.A.Z.-Interview über Muskeln, die wachsen, wenn man auf dem Sofa liegt.
Sie vertreten seit Jahren die These: Gendoping ist möglich, also wird vermutlich irgendwer es auch betreiben. Warum gibt es keine Beweise?
Vor zehn Jahren habe ich gesagt: Gendoping ist nicht möglich. Um die Jahrtausendwende bin ich zu einer anderen Erkenntnis gelangt. Ursprünglich hatte man angenommen, dass die Techniken von Gentherapie auch den Sport erreichen. Man setzte Gendoping gleich mit Gentherapie. In Wirklichkeit hat Gendoping mit Gentherapie nur wenig zu tun.
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Es geht im Sport nicht um Heilung, sondern um Leistungssteigerung. Da greift man doch gern auf den medizinischen Fortschritt zurück . . .
Gentherapie will mit genetischen Trägern, den Vektoren, einen Defekt oder eine meist unheilbare Krankheit bekämpfen. Am Ausgangspunkt steht ein kranker Mensch, denn nur an ihm ist der Einsatz eines solch unausgereiften Verfahrens überhaupt vertretbar. Im Sport dagegen hat man es mit kerngesunden, überdurchschnittlich leistungsfähigen jungen Menschen zu tun. Deshalb muss man Gendoping nicht eng, sondern so weit fassen, wie es die Welt-Antidopingagentur Wada definiert. Den Transport von Genmaterial durch Viren in die Zelle halte ich im Moment nicht für das große Problem – im Vergleich zu allem anderen, was da kommt.
Nämlich?
Gendoping, das auf alles abzielt, was die Verarbeitung einer genetischen Information einer Zelle verändert. Zum Beispiel Myostatin. Jeder denkt bei Gendoping an Muskelmäuse und Superrinder. Die Mäuse sind transgen erzeugt; das macht jedes einigermaßen qualifizierte Labor in Deutschland. Bei den Rindern beruht die Züchtung, wie man heute weiß, auf einem genetischen Defekt. In beiden Fällen beruht das enorme Muskelwachstum darauf, dass die Wirkung von Myostatin ausgeschaltet wird. Therapeutisch greift man dazu nicht in die Keimbahn ein. Myostatin ist ein negativer Regulator. Bei Muskeldystrophie zum Beispiel wird viel Myostatin produziert. Auch im Weltraum schwinden die Muskeln; das Myostatin ist hoch. Schaltet man es aus, wachsen die Muskeln. Kurz nachdem er das Myostatin entdeckte, hat Professor Se-Jin Lee es patentieren lassen und Wyeth Pharmaceuticals die Lizenz verkauft. Wyeth arbeitet jetzt im klinischen Versuch daran, Myostatin durch einen Antikörper zu hemmen.
Ob da nun Gene verändert werden oder nicht: Für Doping ist ein Mittel, das Muskeln wachsen lässt, hervorragend geeignet.
Versuche mit gesunden Mäusen zeigen Muskelzuwachs und damit verbunden Kraftzuwachs. Wer mit anabolen Steroiden dopt, muss hart trainieren, um Wirkung zu erzielen. Hemmt man die Wirkung von Myostatin, wachsen die Muskeln auch jemandem, der nur auf dem Sofa liegt. Bequem, oder?
Die Substanz müsste sich verkaufen wie warme Semmeln . . .
Wenn Sie das Wort Myostatin in eine Suchmaschine eingeben, kriegen Sie etwa hunderttausend Hits. Neunzig Prozent haben mit Bodybuilding zu tun. Wyeth hat einen einzigen Wirkstoff im klinischen Versuch, er heißt MYO 029. Alle warten seit mehr als einem Jahr auf erste Ergebnisse. Es gibt noch kein Medikament, das die Substanz enthält.
Worum geht es dann im Internet?
Tausend Firmen behaupten, sie hätten die Substanz, die Myostatin hemmt. Sie geben ihren Mitteln die tollsten Namen und verkaufen sie teuer. Aber da ist nichts drin, sie wirken nicht. Das wissen wir, weil unsere Kollegen vom Dopingkontrolllabor für die Beobachtung dieses Marktes ganze Arbeitsgruppen unterhalten. Sie bestellen das Zeug sogar und testen es.
Klinische Forschung bedeutet, dass die Substanz existiert. Gibt es neben den Quacksalbern nicht auch Kriminelle, die so etwas für den Schwarzmarkt stehlen?
Manche Wissenschaftler sagen, aus einer klinischen Forschung könne nichts diffundieren. Aber natürlich kann das sein. Wenn der Antikörper den Weg aus der klinischen Studie nach draußen findet, kann er missbraucht werden. Ob das geschieht, weiß ich nicht.
Nach der Definition der Wada ist die Unterdrückung von Myostatin Gendoping.
Das ist das Paradoxe: Das ist zwar nicht Gendoping im engeren Sinn. Aber es ist genau das, was sich viele zum Doping wünschen: ein Mittel, das angewandt und abgesetzt werden kann. Dauerhaft will kein Mensch die Kontrolle seines Körpers über das Muskelwachstum ausschalten.
Das sollte ja der Vorteil von Repoxygen sein, dem Mittel aus den Dopingakten von Thomas Springstein: Es schaltet die Produktion von Epo an und aus.
Es gibt kein Repoxygen. Die Firma Oxford Biomedics, die es entwickeln wollte, hat keinen Investor gefunden, weil das Medikament überflüssig ist. Es gibt sehr gutes Epo, und es gibt neuerdings etwas viel Besseres. Das sind HIF-Stabilisatoren, die die Produktion von Epo anregen. Sie machen künstliches Epo überflüssig, indem sie den Abbau der Substanzen hemmen, die die Epo-Produktion des Körpers reduzieren. Auch diese Substanz ist mittlerweile im klinischen Versuch.
Man greift immer früher in die molekularen Reaktionsketten des Körpers ein, aber nicht wirklich ins Erbgut . . .
Ich halte den Begriff des Gendopings deshalb für überholt. Wir sollten von molekularem oder zellulärem Doping sprechen. Wir erkennen immer mehr Mechanismen auf dieser Ebene. Wissen Sie noch, was für einen Computer Sie vor zwanzig Jahren benutzt haben? Genauso wie in der Computertechnologie ist der Wissenszuwachs in der Molekularbiologie fortgeschritten.
Wir sprechen von Muskelmasse, wir sprechen von Sauerstoffversorgung. Ist das alles, was Molekulardoping kann?
Es gibt drei Ansatzpunkte: Kraft, Sauerstoff und Nährstoffe. Der Körper braucht Nährstoff, den er in Energie umwandelt. Dazu braucht er Sauerstoff. Und er braucht einen guten Motor, das sind die Muskeln.
Die Muskelfaser zu verändern, wäre das nicht richtiges Gendoping?
Kürzlich haben koreanische Wissenschaftler bei einer Maus das PPAR-Delta-Gen so verändert, dass sich schnelle Muskelfasern zu langsamen veränderten. Diese können länger anhaltend Energie erzeugen. Das Resultat: die Marathon-Maus, die viermal länger laufen kann als ihr normaler Artgenosse. Umgekehrt ist es auch vorstellbar: die Sprinter-Maus.
Wird das realisiert?
Es wird an Mäusen umgesetzt. Ich bin der Überzeugung, dass alles, was an Mäusen geht, grundsätzlich auch am Menschen möglich ist. Aber es ist nicht erlaubt. Kein verantwortungsvoller Wissenschaftler wird das am Menschen tun; das kann massive Nebenwirkungen haben.
Können ethische Einwände sich gegen kommerzielle oder ideologische Interessen durchsetzen?
Nein, das glaube ich nicht. Beim Doping gilt: Was möglich ist, wird angewandt.
Aber die Leute müssen erst einmal die Substanzen in die Hände bekommen . . .
Es reicht, wenn sie Veröffentlichungen lesen. Glauben Sie nicht, sie täten das nicht. Wer annimmt, Bodybuilder seien allesamt tumbe Kerle, der täuscht sich. Gehen Sie mal in die Internetforen: Dort stellen Bodybuilder wissenschaftliche Veröffentlichungen vor und brechen sie auf das allgemeine Verständnis herunter, etwa über Muskelmäuse. Dann wird diskutiert, wie toll es wäre, wenn man das Zeug hätte und wie man es bekommen könnte.
Gibt es einen Schwarzmarkt?
Vielleicht. Substanzen wie HIF-Stabilisatoren können Sie versuchen zu bekommen oder im Labor selbst synthetisieren. Es ist ja alles veröffentlicht. Kleine Labore wie Balco haben gezeigt, wie einfach es ist, ein Steroid herzustellen. Bei Methoden, für die sie einen Antikörper brauchen, ist es nicht ganz so einfach: Den muss man in einem zellulären System produzieren lassen.
Ist das schwierig?
Es gibt Tausende gut ausgebildete Molekularbiologen auf der Welt, die das können. Jeder etwas fortgeschrittene Doktorand bei uns im Labor könnte das.
Heißt das: Wer also entschlossen genug ist und genug Geld in die Hand nimmt, bekommt alles, Substanzen, Methoden und Probanden?
Methoden mit Sicherheit. Zum Thema Probanden hat mir ein amerikanischer Wissenschaftler kürzlich erzählt, dass er in einer Maus ILG überexprimiert hat, das ist der Insuline-like Growth Factor. Die Maus bekam sehr starke Muskeln. Er hat darüber veröffentlicht, und in der Folge bekam er fast täglich E-Mails von Leuten, die sich anboten, anstelle der Maus die Substanz an sich ausprobieren zu lassen. Der Mann war fassungslos. Mir zeigt das: Es gibt eine Verbindung von Fachzeitschriften zu Muckibuden.
Glauben Sie, dass allein Bodybuilder solche Veröffentlichungen beobachten? Totalitäre Systeme stellen sich im Sport dar. In manchen Sportarten gibt es sehr viel Geld zu verdienen. Wie sieht die Praxis aus?
Ich bin kein Freund übertriebener Darstellungen. Gendoping ist für viele ja eine Steigerung, eine neue Dimension. In Wirklichkeit ist es wie bisher, es sind lediglich neue Substanzen dazugekommen. Die sind ethisch nicht verwerflicher als die, von denen wir bisher wissen. Es ist doch nicht ungefährlich, sich Epo zu spritzen, wenn man einen normalen Hämatokritwert hat. Anfang der achtziger Jahre sind die Leute reihenweise gestorben. Im vergangenen November ist während der amerikanischen Olympiaqualifikation im Marathon in New York einer der Favoriten tot zusammengebrochen.
. . . Ryan Shay. Die Obduktion ist wohl noch nicht abgeschlossen.
Sie machen Witze. Ich will niemanden verurteilen, aber ein solcher Vorfall und die Tatsache, dass man nichts darüber erfährt, passen ins Bild. Jemand hat sein Leben aufs Spiel gesetzt und verloren.
Jemand, der die Kenntnisse hat, könnte also alles kopieren, was er in der Literatur findet?
Einen Expressionsvektor könnte jeder zu Hause herzustellen versuchen. HIF-Stabilisatoren natürlich nicht oder einen Antikörper wie Myostatinhemmer. Ich möchte mir nicht vorstellen, dass Athleten an HIF-Stabilisatoren geraten und sie nehmen. Das ist ja nur eine Pille, die sie schlucken.
Dann startet die Epo-Produktion?
So hat man sich das vorgestellt. Aber es scheint ein Problem zu geben. Der klinische Versuch wurde abgebrochen. Wenn diese Substanz in den Sport geriete, hätten wir wirklich ein Problem.
Ist es gefährlicher als Epo?
Keiner weiß, wie es an gesunden Athleten wirkt.
Wird Molekulardoping eingesetzt?
Ich halte das im Prinzip für möglich. Aber wir haben keine Möglichkeit, das zu überprüfen. Man wird, fürchte ich, eines Tages durch Todesfälle darauf aufmerksam werden, oder Journalisten werden es herausbekommen.
Welche Rolle spielt Anti-Aging, das Doping für Normalbürger?
Es spielt eine enorme Rolle. Wir haben den demographischen Wandel, und wir wollen alle älter werden, fit und gesund bleiben und noch dazu gut aussehen.
Wer will, kann sich mit Testosteron, Wachstumshormon und anderen Substanzen fit halten, wie sie Sylvester Stallone bei einem Australien-Besuch im Gepäck hatte . . .
Es geht immer um das gleiche Ziel. Nehmen Sie Myostatinhemmer: Wyeth entwickelt sie gegen die schreckliche Krankheit Duchenne-Muskeldystrophie. Biomorphics nennt als Indikation altersbedingten Muskelschwund, Diabetes II und Anti-Aging. Das ist ein viel größerer Markt, weil er auch gesunde Menschen bedient. Viagra ist ein ähnliches Beispiel. Reich wird man mit Produkten, die sich millionenfach verkaufen.
Das Gespräch führte Michael Reinsch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, dem 12. März 2008