Der Olympiapark ist so groß, dass zwei Augen ihn kaum fassen können. Erst der Blick vom Glockenturm auf die raumgreifende und, ja, machtheischende Weitläufigkeit macht deutlich, dass hier mehr brachliegt als eine Fläche von 130 Hektar. Das sportliche Herz der Stadt könnte hier pulsieren. ©Horst Milde
Gelände im Jahrhundertschlaf – Macht was aus dem Berliner Olympiapark! – Robert Ide im Tagesspiegel
Es ist die größte Sportanlage Europas und einer der schönsten Landschaftsparks Berlins. Doch wer weckt das historisch belastete Areal aus dem Jahrhundertschlaf? Die Stadt muss es erschließen, der Sport muss sich öffnen – und wir sollten einfach mal hingehen.
Man kommt gar nicht rein, also fast nicht. Viel schlimmer aber ist: Man kommt gar nicht drauf. Darauf, dass es hier schön sein könnte. Während Skater übers Tempelhofer Feld jagen und Kinder im neuen Park am Gleisdreieck um die Wette rasen, döst und schnarcht, tief im Westen Berlins, ein einmaliger Landschaftspark seinen Jahrhundertschlaf. Der macht ihn zwar noch schöner, aber auch immer vergessener. Wann wird der Olympiapark zum Leben erweckt?
Das große Stadion nebenan ist voller Emotionen, selbst wenn die Betonschüssel leer ist – sogar ausgelöffelt macht sie satt, erweckt Bilder im Kopf, unzählige, auch ungewollte.
Die Nazi-Spiele mit ihrer allumfassenden Propaganda, die nur Jesse Owens besiegen konnte für einen Moment. Das WM-Finale 2006, in dem Jahrhundertfußballer Zinedine Zidane der Kopf platzte. Der unglaubliche, aber wahre Lauf von Usain Bolt. Und alle zwei Wochen Herthas Auf und Ab. Doch drumherum: Leere. Stille. Verfall.
Der Olympiapark ist so groß, dass zwei Augen ihn kaum fassen können. Erst der Blick vom Glockenturm auf die raumgreifende und, ja, machtheischende Weitläufigkeit macht deutlich, dass hier mehr brachliegt als eine Fläche von 130 Hektar. Das sportliche Herz der Stadt könnte hier pulsieren. Das Erholung suchende Berlin könnte hier an seinem Stadttor flanieren, joggen, Rast machen. Aber an den Pförtnern und Schranken kommt man nur mit einem kombinierten Stadion-Park-Ticket vorbei, und Fahrradfahren ist verboten. Geschichte könnte hier erfahrbar werden, unmittelbar eindringlich und dabei wie nebenbei. Aber monumentale Monumente stehen in der Landschaft herum, der Erklärung harrend.
Kleines Beispiel, oder besser: großes. Mit einer Halbkugel über dem Kopf öffnet sich der Kuppelsaal. Hier fanden 1936 olympische Fechtwettkämpfe statt, über steile Treppen gelangt man zu nummerierten unbenutzten Sitztribünen. An einem Herbstabend sind 100 Menschen gekommen – der Tagesspiegel und das Olympiastadion haben zur Diskussion geladen über das vergessene Gelände. Viele Besucher staunen über das geschwungene Gebäude, von dem der Putz blättert, aber nicht seine Geschichte – ein Oval der Duelle, in dem nur noch selten mit Säbeln und noch seltener mit Argumenten gefochten wird.
Einige Schüler der Poelchau-Oberschule sind gekommen, einer von drei Berliner Eliteschulen des Sports. „Unser Gebäude in Charlottenburg ist asbestverseucht“, klagt Schülersprecherin Özge Arslan. „Jeden Tag werden wir mit dem Bus herkutschiert, um zu trainieren. Wann endlich wird hier unsere neue Schule gebaut?“ Unten auf dem Podium fällt Klaus Böger die undankbare Aufgabe zu, um Geduld zu bitten. Der Landessportbundchef und langjährige Sportsenator weiß, dass eine Sanierung des Areals 70 Millionen Euro kosten würde. Böger beklagt, dass der neue rot-schwarze Senat unzählige Kultur-Großprojekte plane, zum Olympiapark aber noch kein Wort gefunden hat, „dabei ist Sport auch Kultur“.
Und tatsächlich, gerade an diesem Ort kann man sehen, fühlen, wie sehr Sport ein Spiegel von Gesellschaft ist. Das Maifeld, einst Pferderennbahn und dann Aufmarschplatz der Nationalsozialisten, ist zuweilen noch Schauplatz einer Polopartie. Auf den Tribünen wächst Gras über Geschichte. Hier lässt sich gut nachdenken über den Missbrauch von Massenkultur – und darüber, was Sport und Gesellschaft daraus lernen können. Doch warum muss gleich das gesamte Gelände verfallen? Das fragt sich nicht nur Architekt Hubert Nienhoff vom Architekturbüro gmp, der von einem „vergessenen Juwel“ spricht. Er hat für den Olympiapark ein Konzept entworfen, dass man im Internet bestaunen kann.
Es entwickelt die Vision für einen lebendigen Olympiapark: mit saniertem Freibad, einem Gesundheitszentrum, einem Sportlerhotel. Zukunftsträume?
In der Gegenwart darf das Juwel jedenfalls nicht weiter abstumpfen. Der wichtigste Pächter Hertha BSC sollte das Gelände, das er seine Heimat nennt, stärker bespielen. Mit Tagen des Offenen Parks, Autogrammstunden, mehr öffentlichen Trainingseinheiten. Der Senat als Verwalter des Geländes sollte die Tore ohne Eintritt öffnen und sich um mehr zahlungsstarke Mieter als den Sauerland-Boxstall bemühen. Der Berliner Sport sollte kleine Zeichen setzen – etwa durch Ausweisung einer Laufstrecke mit elektronischer Zeitmessung (wie es sie im Tiergarten gibt) oder einen Trimm-Dich- Pfad. All das wäre nicht teuer, aber Anreiz für jedermann. Und wichtiger Anstoß für Berlins Sportleben und Geschichtskultur.
Aber auch die Berliner sollten das Gelände erobern: Rettet den Olympiapark, nehmt ihn ein für diese Stadt! Erweckt die größte Sportlandschaft Europas; streicht sie durch Benutzung aus dem Vergessen, in das der Park im Kalten Krieg als Sperrzone der Britischen Streitkräfte geraten ist!
Gebt der Geschichte neue Gegenwart – damit sie lebendig bleibt.
Robert Ide im Tagesspiegel, Sonnabend, dem 29. Oktober 2011