Angesichts dieser positiven Externalitäten des Lauf- beziehungsweise Breitensports erscheint eine staatliche Förderung und Unterstützung als Selbstverständlichkeit – allerdings entspricht dies mitnichten der Realität. ...
Gebührenerlass – verdeckte Subvention oder Selbstverständlichkeit? Horst Milde in Sportfinanzierung – Spannungen zwischen Markt und Staat – Edition HWWI
Weniger beachtete staatliche Unterstützungsformen des Sports – Der Titel dieses Beitrages „Gebührenerlass – verdeckte Subvention oder Selbstverständlichkeit?“ ist sicher auslegungsbedürftig. So stellt sich die Frage, ob es überhaupt Gebührenerlasse gibt und wem diese gegebenenfalls gewährt werden.
Die Antworten hängen von der jeweiligen Perspektive ab. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Beiträgen soll hier insbesondere ein Einblick in die Praxis und in die Erfahrungen aus der Initiierung, Konzipierung und Realisierung von Lauf- und Breitensportveranstaltungen gegeben werden – kurz: „aus der Praxis – für die Praxis“.
Der real.- Berlin-Marathon nahm im Jahr 1974 mit gerade 286 Läufern seinen Anfang und umfasst derzeit rund 60 000 Teilnehmer. Ursprünglich fand diese Laufveranstaltung abseits der Stadt statt und wurde zunächst von vielen nicht ernst genommen. Nach einigen Jahren zog der Lauf in die Innenstadt um und in 32 Jahren entwickelte er sich zu der Weltklasseveranstaltung, als die er heute bekannt ist. So hat der real.- Berlin-Marathon seine eigene Faszination entwickelt und wird in einem Atemzug mit den Läufen in New York City (NYC), London, Boston und Chicago genannt.
Er umfasst alles in einem: Weltklasse mit mehreren Weltrekorden, Breitensport mit 40 000 Joggern, Breitensportläufern und Walkern aus über 100 Ländern, 9 000 Inline-Skater, Kinder- und Jugendläufe mit zusätzlich annähernd 10 000 Teilnehmern, Rollstuhlsport und ein großes Rahmenprogramm über mehrere Tage; zudem Hunderttausende Zuschauer in den Straßen und vor den Fernsehern sowie 100 000 Lauftouristen
in der Stadt Berlin. Welche deutsche Sportveranstaltung kann das schon von sich behaupten?
Auf gleiche oder ähnliche Weise entwickelten sich (mit qualitativen und quantitativen Differenzierungen) Laufsportveranstaltungen in vielen deutschen Städten. Der JPMorgan-Chase-Lauf in Frankfurt zählt beispielsweise ebenfalls über 60 000 Teilnehmer auf der Distanz von 5,6 Kilometern. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 150 Marathonläufe, die rund 100 bis 60 000 aktive Teilnehmer umfassen. Was hat diese Entwicklung im Laufsport möglich gemacht? Zunächst ist dies keine Entwicklung, die von heute auf morgen realisierbar war, sondern vielmehr ging ein langer und teilweise auch quälender Prozess voraus.
Dabei mussten sich verschiedene Faktoren in ihr Gegenteil verkehren:
– Die Mobilität der Bevölkerung musste heraus aus der Zuschauerrolle hin zur eigenen aktiven Teilnahme an Sportveranstaltungen entwickelt werden. Hierzu bedurfte es einer Änderung der Denkweise und der körperlichen und psychischen Einstellung.
– Staatliche Amtsstellen und Behörden waren zu einer Freigabe von Straßen, Parks und Wegen für Laufsportveranstaltungen zu bewegen – eine ähnlich schwere Aufgabe.
Damit hat der Sport die Innenstadt – nicht als Public Viewing, sondern als Sport treibendes Vorbild – erreicht und den motorisierten Verkehr zumindest vorübergehend verdrängt. Dies lässt sich als Erfolg an sich verbuchen, sowohl für den Sport als auch aus gesundheitspolitischer Sicht. Es ist sogar davon auszugehen,
dass ein trainierender Läufer durch seine sportliche Einstellung nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie, sein Umfeld, seine Nachbarn und die anonymen Zuschauer an der Straße positiv beeinflusst und diese zumindest teilweise motiviert, ebenfalls Sport zu treiben.
Angesichts dieser positiven Externalitäten des Lauf- beziehungsweise Breitensports erscheint eine staatliche Förderung und Unterstützung als Selbstverständlichkeit – allerdings entspricht dies mitnichten der Realität. ….
Das gesamte Referat von Horst Milde ist erschienen in:
Sportfinanzierung – Spannungen zwischen Markt und Staat
Reihe Edition HWWI Band 2
https://www.hwwi.org/Edition_HWWI_Band_2.5783.0.html
Herausgegeben von Martin-Peter Büch,
Wolfgang Maennig und Hans-Jürgen Schulke
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Carl von Ossietzky
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