Blog
08
04
2025

Anita DeFrantz, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees aus den USA, spricht auf der 144. IOC-Sitzung - Foto: IOC-Video-Screenshot.

Gastbeitrag: US-Pionierin Anita DeFrantz feiert Kirsty Coventrys Erdrutschsieg bei der Präsidentschafts wahl – Von Karen Rosen – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel

By GRR 0

Niemand hätte es Anita DeFrantz verübelt, dass sie die 144. Sitzung des Internationalen Olympischen Komitees geschwänzt hätte. DeFrantz ist geschwächt durch Medikamente, die sie gegen Krebs einnimmt, und leidet auch an Multipler Sklerose.

„Ich sagte zu meinen Brüdern: ‚Ich gehe. Nichts hier auf der Erde oder darüber hinaus wird mich davon abhalten, dort zu sein’“, sagte DeFrantz, eine amerikanische Athletin, Olympiaorganisatorin und Aktivistin, die seit 1986 IOC-Mitglied ist. „Dann dachte ich: ‚Vielleicht hätte ich manche Kritik über die Menschheit dieser Erde und darüber hinaus über die Verantwortlichen des Weltsports nicht sagen sollen.‘

Die heute 72-jährige Olympia-Bronzemedaillengewinnerin von 1976 im Rudern war entschlossen, Kirsty Coventry aus Simbabwe zu unterstützen, die zweite Frau, die für das Amt der IOC-Präsidentin kandidierte. DeFrantz war die erste im Jahr 2001.

Sie hat einen Rollator auf Rädern durch das Costa Navarino Resort geschoben. „Während ich herumlaufe„, sagte DeFrantz, „merke ich, dass eines meiner Beine schleppend ist, aber sie hat gewonnen! Das war die Mission.“

Und DeFrantz konnte die entscheidende “Stimme” sein, die Coventry an die Spitze gebracht hat. Die zweifache Olympiasiegerin im Schwimmen aus Simbabwe brauchte für den Sieg im ersten Wahlgang 49 Stimmen und bekam genau diese Zahl.

„Ich hatte erwartet, dass viele Leute für sie stimmen würden, und ich hatte gehofft, dass es die erste Runde sein würde, denn mit jeder weiteren Abstimmungsrunde wird die Wahl ekliger”, sagte DeFrantz. Die Leute fangen an, ihre Stimmen hin und her zu schieben, und man kann nicht mit dem Schritt halten, was gerade passiert.“

Sie sagte, die Leute hätten ihr gesagt, dass ihre Stimme entscheidend sei. „Ich sage: Danke für diese freundlichen Worte. Und es war das Richtige.“

Als Coventrys Sieg bekannt gegeben wurde, war DeFrantz eine der ersten, die ihr gratulierte, indem sie ihren Rollator benutzte, um in der Reihe der Gratulanten vor einigen Kollegen vorzudrängeln, aber sie sagte, dass diese damit einverstanden gewesen seien.

Dann sagte DeFrantz zu Coventry: „Herzlichen Glückwunsch. Du bist mein Star.“Coventry wurde emotional, als sie während ihrer Pressekonferenz über DeFrantz sprach. Sie nannte sie eine „große Inspiration für mich und für viele Frauen. Und ich war einfach sehr stolz darauf, dass ich sie stolz machen konnte.“

Es ist bezeichnend, dass Coventry in der nach dem antiken Olympia benannten 144. IOC-Sitzung in Pylos gewann, denn bei den antiken Spielen durften Frauen nicht antreten. Der französische Begründer der modernen Spiele, Baron Pierre de Coubertin, dessen Herz in Olympia begraben ist, konnte sich zu seiner Zeit noch nicht vorstellen, dass auch Frauen bei Olympischen Spielen teilnehmen könnten.

„Wir müssen die ganze Welt im IOC vertreten haben“, sagte DeFrantz. „Als ich gewählt wurde, war ich eine von fünf Frauen unter 98 IOC-Mitgliedern, und jetzt sind 43 Prozent (der 109 Mitglieder) Frauen.

„Wir sind nun genug, um etwas zu bewirken. Fünf von uns konnten keinen Unterschied ausmachen.“

Einige britische Pressevertreter berichteten, IOC-Präsident Thomas Bach, der sich für Coventry als seine Nachfolgerin eingesetzt hatte, habe DeFrantz gesagt, sie müsse kommen.

„Absolut nicht“, sagte DeFrantz. „Thomas konnte mich nicht anweisen, irgendetwas zu tun. Ich stimme ihm in vielen Dingen zu und ziehe es durch und gebe mein Bestes für die Olympische Bewegung, weil ich sie liebe.“

Sie wies auch die Idee zurück, dass Bach die IOC-Mitglieder angewiesen habe, für Coventry zu stimmen, „weil die Leute nicht herumgeschubst werden wollen“, sagte DeFrantz. Und wenn sie vom Präsidenten herumgeschubst würden, hätten sie wahrscheinlich nicht für Kirsty Coventry gestimmt.“

Als DeFrantz 2001 für das Amt der IOC-Präsidentin kandidierte, verlor sie gegen Jacques Rogge. „Ich habe damals viel gelernt und ich habe das Resultat einzuordnen gewusst“, sagte DeFrantz. Danach kamen die Leute zu mir und sagten: ‚Weißt du, ich konnte einfach nicht für dich stimmen, weil Präsident (Juan Antonio Samaranch) sich Sorgen machte, dass Un Yong Kim genug Stimmen bekommt, und das wäre überhaupt nicht gut gewesen.’“

DeFrantz war langjährige Vorsitzende der IOC-Frauenkommission und wurde in den IOC-Exekutivrat gewählt.

Coventry kam über die Athletenkommission in das IOC und erreichte dann auch einen Sitz im Executive Board.

„Sie leitete die Athletenkommission in der Phase, in der wir noch am Rednerpult protestierten, was jedoch meist wirkungslos war“, sagte DeFrantz. Und dann war sie Vorsitzende der Koordinationskommission in Brisbane und half den australischen Veranstalter zu verstehen, dass es Dinge gibt, die man tun muss und tun sollte und  andere die man  nicht tun darf und kann, weil es einen sonst ´aus dem Wasser hauen´ würde. Sie hatte also Führungsverantwortung.“

DeFrantz lobte auch Coventrys Bilanz als Sportministerin in Simbabwe, einschließlich ihres Umgangs mit einem Fußballskandal. „Sie wurde von der beliebtesten zur unbeliebtesten Ministerin, weil sie standhaft blieb“, sagte DeFrantz. „Und das zeigte Mut und Entschlossenheit und die Fähigkeit, sich gegen Menschen zu wehren, die einen nicht mehr mögen.“

DeFrantz war zu krank, um im Januar nach Lausanne zu gehen – „Meine Brüder ließen mich nicht“ –, als Coventry und ihre sechs Rivalinnen vor den IOC-Mitgliedern ihre Vorstellungsvorträge hielten. Aber diesmal haben sie sich nicht einmal getraut es zu versuchen, mich von meiner Reise nach Griechenland zur entscheidenden IOC- Session zurückzuhalten.

„Ich bin so stolz auf meine Kolleginnen und Kollegen dass sie das geschafft haben“,sagte DeFrantz. Ich bin so stolz, dass die Olympische Bewegung endlich so aussieht wie der Rest der Welt.“

Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Sportwissenschaft
Wilhelmstr. 124 – 72074 Tübingen – Germany
Mobil: +49 162 2903512

 

Sportjournalismus in Deutschland – mittelmäßig und selbstgerecht – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel

 

author: GRR