Uta Pippig - Foto: Norbert Wilhelmi
Für ihr Lebenswerk geehrt: Uta Pippig schrieb in Berlin, New York und Boston Marathon-Geschichte von Jörg Wenig und Christian Ermert
German Road Races zeichnete 2021 erstmals zusammen mit laufen.de die herausragenden Läufer des Jahres aus.
Bei der GRR-Jahresmitgliederversammlung in Brilon wurde außerdem Uta Pippig mit dem „GRR-Award für das Sportliche Lebenswerk“ ausgezeichnet. Wir veröffentlichen heute das von Christian Ermert und Jörg Wenig geschriebene Portrait über die jeweils dreifache Berlin- und Boston-Marathon-Siegerin.
Großartige Läuferinnen und Läufer, die während und nach ihrer leistungssportlichen Karriere ganz Besonderes für den Laufsport erreicht haben, werden Jahr für Jahr von German Road Races und laufen.de mit einem jährlichen Award für ihr sportliches Lebenswerk ausgezeichnet wurden. 2021 erhält diesen Preis Uta Pippig, die in den 90er-Jahren die großen Marathonrennen in Berlin, Boston und New York gewann. In Boston gelang ihr 1994, 1995 und 1996 ein Hattrick, den sie mit dem Sieg bei der 100. Auflage 1996 krönte.
Uta Pippig hat während ihrer Karriere Marathon-Siege gefeiert, die aus unterschiedlichsten Gründen geschichtsträchtig waren und zog so auch international eine große mediale Aufmerksamkeit auf sich. 1990 triumphierte sie in Berlin beim ersten Rennen durch Ost und West, 1993 sorgte sie für den ersten deutschen Sieg beim New York-Marathon und 1996 gewann sie den 100. Boston-Marathon. Zweimal joggte sie mit dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton am Weißen Haus in Washington. Mit ihrer lockeren, sympathischen und offenen aber nie überheblichen Art gewann Uta Pippig viele Fans und hat sicherlich etliche Menschen zum Laufsport gebracht.
1965 in Leipzig geboren, ist Uta Pippig in Petershagen, einem kleinen Vorort östlich von Berlin, aufgewachsen. Dort begann sie mit der Leichtathletik. Laufen machte ihr am meisten Spaß, doch ihr Talent blieb auch im DDR-Sportsystem lange unentdeckt. Beim Ost-Berliner TSC wollte man sie nicht, so ging Uta Pippig zum ASK Potsdam. Dort wurde 1986 Dieter Hogen ihr Trainer.
Von den Marathonläufen in Boston, New York, London oder West-Berlin konnten die beiden damals nur träumen, auch alle anderen Anträge auf Startgenehmigungen für ausländische Läufe wurden vom DDR-Verband abgelehnt. In den zwei Jahren vor der Wende arrangierten sich Uta Pippig und Dieter Hogen so gut es ging mit der Situation, um zumindest ihre eigenen, auf Uta Pippig zugeschnittenen Trainingsziele zu verfolgen. „Das war eine wahre Herausforderung“, erinnert sich die Läuferin an die späten 1980er-Jahre in Ostdeutschland.
Der Fall der Mauer war für Uta Pippig und Dieter Hogen, damals auch privat liiert, dann wie eine Befreiung und für die Läuferin gleichzeitig der Start für eine Weltklasse-Karriere. Nun konnten sie endlich alles alleine bestimmen – das Training, die Wettkampfplanung, Uta Pippigs Medizinstudium und was noch alles dazu gehört, um sich als Athletin auf den Weg Richtung internationale Klasse zu machen. Unmittelbar nach der Wende gingen die beiden zunächst für ein Jahr nach Stuttgart, um dann wieder nach Berlin zurückzukehren und fortan für den SCC Berlin zu starten. Bereits 1990 stellte Uta Pippig bundesdeutsche Rekorde über 5000 Meter, 10.000 Meter und im Marathon auf. Sie wurde Dritte in Boston und gewann den historischen Berlin-Marathon, der erstmals durch das Brandenburger Tor führte und weltweite Aufmerksamkeit erlangte.
1990: Sieg beim unvergesslichen ersten Marathon durch das endlich nicht mehr geteilte Berlin
„Dieses Rennen ist natürlich unvergesslich“, erinnert sich Uta Pippig heute an den Marathon, der Ende September 1990 drei Tage vor der deutschen Wiedervereinigung stattfand. „Mit den vielen Lauffreunden aus Ost und West und den Zuschauern an der Strecke war es wie ein Lauf in die Freiheit. Das Wir-Gefühl war unbeschreiblich. Davon hätte ich zwölf Monate vorher nicht einmal zu träumen gewagt.“ Nach einem siebten Platz im olympischen 10.000-Meter-Finale von Barcelona gewann Uta Pippig 1992 zum zweiten Mal den BERLIN-MARATHON.
1993: Dem ersten Sieg einer Deutschen in New York folgten drei Siege in Boston
Ein noch deutlich spektakulärerer Triumph gelang ihr ein Jahr später: Gut zweieinhalb Monate nachdem sie sich bei den Weltmeisterschaften 1993 in Stuttgart im 10.000-m-Finale mit Rang neun hatte zufriedengeben müssen, stürmte sie überraschend zum Sieg beim New York-Marathon. Bis heute ist Uta Pippig die einzige Deutsche, der bei dem legendären Marathon-Spektakel ein Sieg gelang.
Im Frühjahr 1994 sorgte Uta Pippig beim Boston-Marathon für eine Sensation. Sie gewann das hochkarätige Rennen mit einem Streckenrekord von 2:21:45 Stunden und der zu diesem Zeitpunkt drittschnellsten je gelaufenen Zeit. Dies war damals auch ein deutscher Rekord. Mit Siegen in Boston 1995 und1996 schaffte sie einen Hattrick beim ältesten City-Marathon der Welt, was vorher noch keiner anderen Frau gelungen war. Zweimal (1994 und 1995) wurde sie nach ihren Boston-Triumphen gemeinsam mit den anderen Siegern des Rennens (Läufer und Rollstuhlfahrer) von Bill Clinton ins Weiße Haus eingeladen, um mit dem damaligen US-Präsidenten durch die angrenzenden Parkanlagen zu joggen.
25 Jahre später erinnert sie sich vor allem an die dramatische 100. Auflage des Boston-Marathon von 1996 als wäre die gestern gewesen. „Die Erinnerungen an diesen Lauf und die Begeisterung der Menschen sind noch relativ frisch. Ich muss sie nur anknipsen“, sagt sie über das Rennen, in das sie mit einer Top-Form gestartet war, aber nach einigen Kilometern Magenprobleme bekommen hatte. „Ich hatte einen ziemlich großen Rückstand auf die Kenianerin Tegla Loroupe, wollte nicht aufgeben, wollte diesen Lauf unbedingt gewinnen, habe die Schmerzen so gut es ging ignoriert und dann nach einer langen Aufholjagd zum dritten Mal gewonnen“, sagt Uta Pippig.
Mit drei Siegen in der Hall of Fame des BMW BERLIN-MARATHON
Nicht nur in Boston sondern auch in ihrer Heimatstadt Berlin gelangen Uta Pippig, die bis 1994 parallel zum Hochleistungssport auch Medizin studierte, drei Marathon-Siege. 1990, 1992 und 1995 gewann sie in der deutschen Hauptstadt. Nach ihrem zweiten Sieg beim Berlin-Marathon 1992 blieb Uta Pippig über diese Strecke fast vier Jahre lang unbezwungen. Ausgerechnet bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta riss die Erfolgsserie jedoch. Verletzungsbedingt musste sie das Rennen aufgeben. 1994 und 1995 war Uta Pippig mit ihren jeweiligen Zeiten sowohl im Halbmarathon als auch im Marathon die Nummer eins in der Jahresweltbestenliste.
Nach ihrem Boston-Triumph 1996 kam Uta Pippig nicht mehr an ihre besten Leistungen heran. 20 Jahre nach diesem legendären Sieg, lief sie als 50-Jährige nochmals diesen Klassiker. Ohne besondere Vorbereitung joggte Uta Pippig nach 3:38:40 Stunden ins Ziel. „Es war wie eine Zeitreise von heute in die Vergangenheit und wieder zurück. Ich habe das Lachen und die Zurufe gehört. Die Begeisterung war unglaublich und alles war top organisiert“, erzählte Uta Pippig 2016.
Heute lebt die 56-jährige Uta Pippig, die auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt, hauptsächlich in Boulder (US-Bundesstaat Colorado) und leitet von dort aus ihre Stiftung „Take The Magic Step”. Diese von ihr gegründete Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen auch mit Hilfe des Laufsports zu einem gesünderen Lebensstil zu führen. „Take The Magic Step” engagiert sich zudem stark im karitativen Bereich, vor allem bei der Unterstützung von unterprivilegierten Kindern.
Uta Pippig im Interview. „Junge Menschen in eine hoffnungsvolle Zukunft begleiten“ – Interview: Christian Ermert
Uta, womit verbringst du heute vor allem deine Zeit?
Uta Pippig: Mit meiner Familie und vielen Stunden Fitness, allein oder mit Freunden. Ich bin gerne in der Natur. Wandern und Laufen gehören zum Tagesprogramm. Oder ich kümmere mich um den Garten. Manchmal halte ich das mit meiner Kamera fest, folge dem Licht, das macht mir Freude. Beruflich betreue und berate ich Läuferinnen und Läufer. Nach der Corona-Pause werde ich im kommenden Jahr wieder meine Motivations- und Fitnessseminare aufnehmen. Auch habe ich seit einigen Jahren eine Kolumne in der Tageszeitung „Die Welt“, die ich sehr gerne schreibe. Die meiste Zeit beansprucht aber meine Stiftung „Take The Magic Step“.
Kannst du kurz erklären, was „Take The Magic Step“ ist?
Uta Pippig: „Take The Magic Step“ ist eine Stiftung, die ich mit meinem Geschäftspartner Michael Reger vor circa 15 Jahren gegründet habe. Wir unterstützen in den USA und Deutschland in erster Linie Charity-Organisationen, die sich um benachteiligte Kinder und Jugendliche kümmern. So begleiten wir die jungen Menschen auf ihrem hoffnungsvollen Weg in die Zukunft. Aktuell liegt mir das Projekt „Run for Children“ besonders am Herzen. Es ist eine Charity-Aktion im Rahmen des BMW Berlin-Marathon, bei der sich Läuferinnen und Läufer mit einer Spende einen der begehrten Startplätze sichern können. Wir sind guter Hoffnung, damit Läufer zu erreichen, die so die Organisation „Children for a Better World“ unterstützen möchten.
Man muss aber keinen Marathon laufen, um „Take The Magic Step“ zu unterstützen, oder?
Uta Pippig: Nein, unter dem Titel „Take The Magic Step“ bieten wir auch unser Fitness- und Gesundheitsprogramm an. Für uns ist der „magische Schritt“ der erste Schritt aus der Tür, der erste Schritt auf dem Weg zu mehr Gesundheit, Fitness und Glück. Das kann für jeden einzelnen im Detail etwas anderes bedeuten: Das erste Mal fünf Kilometer laufen. Das eigene Fitness-Programm um eine Stunde pro Woche erweitern. Den Weg zu einem lang angepeilten Ziel endlich besser planen. Oder die Gesundheit mehr in den Vordergrund stellen. Wir wollen die Menschen dabei inspirieren: Durch unsere Webseite und meine Seminare, aber auch durch mein Vor-Ort-Sein bei Laufevents. Uns kommt es auf die Vermittlung von fundiertem Wissen an. Wir wollen, dass die Menschen ihre Lebensgewohnheiten für mehr Gesundheit, Fitness und Wohlbefinden verändern. Aber behutsam – Schritt für Schritt. Dafür steht „Take The Magic Step“. Und das haben wir in Form einer Stiftung organisiert, so dass die Einnahmen nach Abzug der Kosten als Spenden direkt und ohne Abzug Kindern zugutekommen, die auf diese Unterstützung angewiesen sind.
Deine Stiftung ist in den USA ansässig. Lebst du heute mehr in den USA oder in Berlin?
Uta Pippig: In beiden Ländern habe ich einen Teil meiner Familie und viele Freunde. In den kommenden Jahren werde ich mehr Zeit in Berlin verbringen, das hängt unter anderem mit den karitativen Projekten zusammen.
Was bedeutet dir Laufen heute?
Uta Pippig: Unglaublich viel. Es ist Teil meiner Lebensphilosophie, meines Lebens. Ich fühle mich frei, genieße die Bewegung und kann dabei entspannen. Heute laufe ich ohne Druck, entscheide selbst, ob ich etwas ambitionierter laufen möchte. Einssein mit der Natur, den Sonnenuntergang beobachten und der Magie des Lichtes folgen – das ist es, was mir Freude macht.
Wenn du auf deine Karriere im Hochleistungssport zurückblickst: Was nimmst du von jener Zeit in deine Zukunft mit?
Uta Pippig: Die Spannung vor und während eines Wettkampfs. Die totale Verausgabung. Und das alles mit anderen zu teilen. Die Energieübertragung von den Zuschauern an den Laufstrecken war unbeschreiblich, sie trägt mich bis heute. Ich möchte in meinen jetzigen Aufgabenfeldern auch jungen Athleten so viel wie möglich von dem, was ich erfahren habe, mit auf ihren Weg geben. Dazu gehören natürlich Informationen über das richtige Training.
Aber es gibt auch viele andere Fragen, auf die junge Athleten Antworten suchen: Wie ist es zu schaffen, mit dem Druck des Leistungssports zurechtzukommen? Wie erreicht man mentalen Fokus? Das sind meine Stärken und die möchte ich mit jungen Athletinnen und Athleten teilen.
Jörg Wenig und Christian Ermert