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19
07
2007

Olympische Jugendspiele - eine schöne Vision mit mehr Risiken als Chancen für den Nachwuchsspitzensport

Früh übt sich, wer ein Olympiasieger werden will – Kleine, gefährliche Kopie – Prof. Helmut Digel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)

By GRR 0

Im Jahr 2010, so die Absicht, werden die ersten Olympischen Spiele für Jugendliche stattfinden. Die Idee einer weltweiten Initiative, mit der Kinder und Jugendliche an den Sport und an die Werte des fairen Wettkampfs herangeführt werden, verdient Unterstützung. Sich verändernde Wertvorstellungen, neue Konsum- und Freizeitgewohnheiten und nicht zuletzt der umfassende demographische Wandel in der Weltbevölkerung legen es nahe, dass sich die Dachorganisationen des Sports für eine nachhaltige Bindung des Nachwuchses einsetzen.

Der von der Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gerade gebilligte Plan Olympischer Jugendspiele ist eng an den Gedanken einer olympischen Erziehung geknüpft. Unbeantwortet ist die Frage, in welchem Verhältnis diese Werteerziehung zum eigentlichen sportlichen Wettkampf stehen soll. Die Olympischen Jugendspiele sollen in Partnerschaft mit den Medien und der Wirtschaft ausgetragen werden, die kaum für eine Werteerziehung zu gewinnen sein dürften: Das Publikumsinteresse an Spitzensport und damit das Interesse von Medien sowie Sponsoren beruhen vielmehr vor allem auf der Spannung und dem Leistungsniveau sportlicher Wettkämpfe.
Nebenwirkungen, die nicht gesteuert werden können

Darf die Jugend der Welt ihr Können demnächst bei Olympia zeigen?

Im internationalen Hochleistungssport gibt es schon seit längerer Zeit gefährliche Prozesse, die die Gefahr der Selbstzerstörung in sich bergen. Dazu gehören das Doping-Problem ebenso wie die ständige Bedrohung der Ressource Athlet durch einen ausufernden Sportkalender, die Zunahme von Betrug und Gewalt sowie eine maßlose Kommerzialisierung. Bei der Planung Olympischer Jugendspiele muss deshalb vorbeugend diskutiert werden, welchen Imageschaden es für die gesamte olympische Bewegung bedeutete, würden die ersten Fälle von Doping und Sportinvaliden im Kontext dieser Veranstaltung ruchbar werden.
Trotz guter Absichten, die dem Projekt Olympische Jugendspiele zugrunde liegen, ist wahrscheinlich, dass gefährliche Nebenwirkungen zum Tragen kommen, die nicht mehr gesteuert werden können. Schon die Terminabstimmung wird vor allem dann Schwierigkeiten bringen, wenn an diesen Spielen vorrangig Jugendliche teilnehmen werden, die dem öffentlichen Schulwesen angehören. Wie soll die duale Karriere Schule/Leistungssport bei wachsenden Beanspruchungen durch den Sport gelingen?
Jugendspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit?

Der Spagat zwischen Leistungssport und Werteerziehung ist wichtig

Die wichtigste Frage vor der Einführung Olympischer Jugendspiele lautet aber, welche Qualität diese Veranstaltung prägen soll. Stehen die Begegnung, das Gespräch, die interkulturelle Verständigung im Mittelpunkt, und bildet der sportliche Wettkampf nur den Rahmen? Das wäre wünschenswert. Betrachtet man jedoch die Interessenlage von Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren, so erscheint eine derartige Gewichtung höchst unrealistisch.
Jugendliche, die für Olympia in Frage kommen, werden sich vielmehr durch ein hohes Leistungsmotiv auszeichnen, mit anspruchsvollen Zielen in ihrer Sportart, in Wettkämpfen bewährt auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene. Solche Spiele werden ein Zuschauer- und Medieninteresse hervorrufen, es sei denn, man würde diese Spiele dadurch als etwas Besonderes definieren, dass sie unter Ausschluss des Publikums stattfinden, was unwahrscheinlich ist. Dem steht schon das Interesse der Jugendlichen entgegen, ihre sportlichen Leistungen einer Öffentlichkeit zu präsentieren.
Geist des Fairplays würde wohl erheblich belastet

Die Jugend trainiert erstmal ohne motorisierten Untersatz

Soll der Sport Priorität haben, stellt sich die Frage nach den Inhalten. Hier bieten sich zwei Möglichkeiten: Entweder werden bewusst solche Sportarten gewählt, die bislang nicht Inhalt bei Olympischen Spielen sind, wodurch es dann zu einer Dominanz sogenannter jugendlicher Trendsportarten kommt. Oder es werden Sportarten genau jener internationalen Verbände angeboten, die bis heute die Olympischen Spiele der Erwachsenen prägen. Mit nichtolympischen Sportaktivitäten als zentralem Inhalt entsteht die Gefahr, dass solche Spiele lediglich ein Marktforum für Sportgeräte und andere Neuheiten bieten. Die olympische Jugendbewegung unterwirft sich auf diese Weise selbst dem Gesetz der Mode, das durch schnellen Wechsel geprägt ist. Die Idee, herausragende menschliche Leistungen zu präsentieren, die im Geiste des Fairplay erzielt werden, wird von einer derartigen Entwicklung erheblich belastet.

Der erste Weg, der Verzicht auf Bekanntes, wird notwendigerweise den Widerstand der traditionellen internationalen Fachverbände hervorrufen, denn auf diese Weise sehen sie ihre eigene Zukunft bedroht. Wird der zweite Weg gewählt, also auf Bewährtes gesetzt, werden die Olympischen Jugendspiele bloß eine kleinere Kopie der Erwachsenenspiele. Unter innovatorischen Gesichtspunkten können sie so kaum eine bedeutsame Rolle spielen. Die vom IOC bisher definierten Rahmenbedingungen für Olympische Jugendspiele sollen Grenzen setzen, um eine schädliche Entwicklung zu verhindern. So wird die Teilnehmerzahl auf 3500 limitiert, die Vermarktung soll auf bestehende Partner ausgerichtet sein, und die massenmediale Multiplikation soll kontrolliert werden. Verständliche, aber ebenfalls kaum realisierbare Absichten.
Altersbeschränkung führt zu Legitimationsproblemen

Die Jugend soll Spaß am Sport haben – dafür muss das IOC sorgen
Folgt man der Konzeption, so haben die internationalen Verbände zu entscheiden, welche Wettkämpfe innerhalb der jeweiligen Sportart ausgetragen werden und welche Altersgruppe (Mindestalter 14, Höchstalter 18 Jahre) eingeladen wird. Mit dieser Vorgabe geraten die internationalen Verbände schnell in erhebliche Legitimationsschwierigkeiten. Jede Altersgruppe, die nicht eingeladen wird, jede Disziplin, die nicht im Programm erscheint, erhöht den Legitimationsdruck. Deshalb wird es auch in dieser Hinsicht mittel- und langfristig zu einer Angleichung der Spiele von Erwachsenen und von Jugendlichen kommen.
Versucht das IOC diesem Problem möglicherweise dadurch zu begegnen, dass es jeder olympischen Sportart das gleiche Kontingent an Sportlern und Sportlerinnen zuweist, wird es angesichts der Unterschiedlichkeit der Sportarten – gerade im Vergleich der Mannschaftssportarten und der Einzeldisziplinen – sehr rasch zu ungerechten Bedingungen kommen.
Dimensionen wie bei „echten“ Olympischen Spielen

Massensport Fußball: Die richtige Wahl über die Sportarten muss gut durchdacht sein

Werden bei den Olympischen Jugendspielen von den internationalen Fachverbänden nur solche Wettkämpfe angeboten, die bislang bei den Erwachsenen nicht stattfinden, hat dieser Wettbewerb zwar einen Laborcharakter, in dem man neue mögliche Events der jeweiligen Sportart erprobt. Doch auch hier wird sich für die Fachverbände das Auswahlproblem stellen. Zudem läuft beispielsweise die Jugend-Leichtathletik Gefahr, sich von der Erwachsenen-Leichtathletik abzulösen und nicht mehr die wünschenswerte Brücke hin zum Erwachsenensport zu bilden. Wird, um beim Beispiel Leichtathletik zu bleiben, bei Jugend-Weltmeisterschaften jeweils im Jahr vor Olympischen Jugendspielen die Auswahl der Teilnehmer getroffen, ist eine frühe Elitebildung mit all ihren Folgen die Konsequenz.

Trotz der geplanten Begrenzung der Teilnehmerzahl wird deutlich, dass es sich bei Olympischen Jugendspielen um ein Großereignis des Weltsports handeln wird. Es wird sich über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen erstrecken müssen, Herausforderungen für die Organisation sind absehbar. Die Zahl der Kampfrichter und Betreuer muss schon deshalb in einer Größenordnung wie bei Erwachsenenspielen üblich kalkuliert werden, weil bei Kindern und Jugendlichen sehr viel mehr Betreuungsbedarf existiert. Dies gilt umso mehr, wenn das pädagogisch und sozialpolitisch bedeutsame Ziel der Begegnung und Verständigung im Mittelpunkt stehen soll.

Ökonomisch Konkurrenzveranstaltung für das IOC

Bis zur Fahrt in einem Ferrari dauert es für ihn wohl noch etwas – mit oder ohne Olympia für die Jugend
Diese Hinweise belegen, dass Olympische Jugendspiele vermutlich nur in Städten ausgerichtet werden können, die sich auch für Olympische Spiele der Erwachsenen beworben oder diese schon ausgerichtet haben. Man benötigt Infrastrukturen in einer vergleichbaren Größenordnung, weshalb sich für die ausrichtenden Städte auch vergleichbare ökonomische Chancen und Risiken ergeben werden. Der geplante Verzicht auf den Neubau von Wettkampfstätten bei gleichzeitiger Wahrung bestimmter Standards für die Wettkampfstätten wie für Unterbringung und Transport wird zur Folge haben, dass viele Länder und Städte als mögliche Austragungsorte ausgeschlossen werden. Dies lässt sich wiederum kaum mit den Idealen der olympischen Bewegung vereinbaren.
Olympische Jugendspiele werden zumindest aus nationaler Perspektive bedeutsame Großveranstaltungen darstellen. Damit beginnt für solche Spiele die bekannte Verwertung durch Medien und Wirtschaft. Das IOC könnte sich aus ökonomischer Sicht mit diesem Ereignis eine eigene Konkurrenzveranstaltung schaffen, die den Wert der Olympischen Erwachsenenspiele eher begrenzt als fördert. Eine solche Abwertung kann nicht im Interesse des IOC liegen.
Manche Sportart könnte nicht verantwortet werden

Verlangt eine frühe und genaue Planung sowie kreative Konzepte:

Prinzipiell stellt sich die Frage nach der Sättigung des Markts im Unterhaltungsbereich. Ob eine Ausweitung des Sports wünschenswert ist, muss von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich beantwortet werden. Genauer können schon heute die Auswirkungen beschrieben werden, die sich für die olympischen Fachverbände mit der Einführung Olympischer Jugendspiele ergeben. Denn jede Stärkung globaler sportlicher Großveranstaltungen führt zu einem sinkenden Interesse an den Einzelveranstaltungen der olympischen Sportarten. Schon seit längerem ist zu erkennen, dass der Fortbestand einiger olympischer Sportarten ganz wesentlich an die finanzielle Unterstützung des IOC und die große Bühne alle vier Jahre gebunden ist. Diese problematische Entwicklung wird durch Olympische Jugendspiele sicherlich beschleunigt.

Aus trainingswissenschaftlicher und medizinischer Sicht, aber auch unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten können Olympische Jugendspiele in vielen Sportarten gar nicht oder nur sehr bedingt verantwortet werden. Ein olympischer Wettkampf setzt zwangsläufig voraus, dass sich Athletinnen und Athleten mit enormen Trainingsumfängen vorbereiten. Auf diese Weise kommt es zu einer Vorverlegung des Leistungsalters in fast allen olympischen Sportarten. Dies steht im Widerspruch zu einem trainingswissenschaftlichen Konsens, dass man auf eine frühe Spezialisierung verzichten sollte, etwa um die Zahl der Karriereabbrecher vor dem Erwachsenenalter zu reduzieren. Auch angesichts der Doping-Problematik, von der fast alle Sportarten intensiv betroffen sind, sind eine Vorverlegung des Leistungsalters und eine Spezialisierung geradezu fatal.

Ideenwettbewerb von Fachleuten ist notwendig
Bestehende Prozesse der Selbstzerstörung im System des Sports können durch die Einführung Olympischer Jugendspiele beschleunigt, beabsichtigte positive Wirkungen durch viele unbeabsichtigte Nebeneffekte konterkariert werden. Eine ohnehin kaum kontrollierbare Wachstumsspirale innerhalb des Sports kann beschleunigt werden und eine gutgemeinte Veranstaltung unter Organisationsgesichtspunkten aus den Fugen geraten. Kurz: Die Risiken dieser Idee scheinen größer als die Chancen zu sein.

Sollen solche Spiele nicht zu Alibihandlungen oder Schauveranstaltungen verkommen, bedarf es früher und genauer Planung sowie kreativer Konzepte. Selbst wenn die Prioritätensetzung der interkulturellen Verständigung von den Jugendlichen akzeptiert wird, sind Olympische Jugendspiele eine äußerst anspruchsvolle Herausforderung. Das IOC hat eine große Verantwortung. Ohne einen Ideenwettbewerb unter den besten internationalen Fachleuten auszuschreiben, wird das IOC ihr wohl kaum gerecht werden können.

Prof. Dr. Helmut Digel
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
Sonnabend, dem 14. Juli 2007

Der Autor leitet des Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen und ist Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes. Sein Lehr- und Forschungsschwerpunkt liegt in der Sportsoziologie.

author: GRR

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