Man glaubt ihm jedoch, wie ernst er es meint mit dem Laufen. „Das meiste über mich selbst und über das Schreiben von Romanen habe ich durch mein tägliches Lauftraining gelernt.
Freier Kopf – Haruki Murakamis Buch über das Laufen – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Schreiben heißt sich vergiften, so hat es Haruki Murakami erfahren. Bei jedem Roman dringe ein Gift aus dem Innern seines Körpers an die Oberfläche, und je besser der Stoff des Romans, desto gefährlicher. Wie beim Kugelfischessen kommt Murakami sich dann vor – die feinsten Stellen des Fischs liegen den giftigsten am nächsten.
Als Murakami beschloss, Schriftsteller zu werden, hat er sich daher gleich eine Immunisierung gesucht: das Laufen. Ein ungesunder Geist soll wenigstens in einem gesunden Körper wohnen. Für Murakami ist Laufen jedoch mehr als nur ein Ausdauertraining, um auch beim Schreiben länger durchzuhalten. Laufen ist für ihn eine Metapher fürs Leben und jetzt, nach 25 Jahren auf der Straße, Anlass für ein Buch: „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“.
Ein literarischer Fußabdruck hat dem Laufen ohnehin gefehlt, also das, was Nick Hornbys „Fever Pitch“ für den Fußball ist. Anders als sonst aber wirkt Murakamis Stil dieses Mal etwas hüftsteif. Anstatt wie in seinen Romanen alles fließen zu lassen, springt er in seinem Laufbuch zwischen verschiedenen Wettkämpfen und Trainingseinheiten vor und zurück. Auch hat er sich nicht entschieden zwischen einem Tagebuch, einer Biografie oder einer ausgeschmückten Analogie von Laufen und Schreiben.
Man glaubt ihm jedoch, wie ernst er es meint mit dem Laufen. „Das meiste über mich selbst und über das Schreiben von Romanen habe ich durch mein tägliches Lauftraining gelernt.“ Murakami läuft allerdings nicht, um Einfälle ausgeschüttet zu bekommen, so wie andere Läufer Glückshormone. Seine Motivation ist eine andere: Er läuft ins Leere. Erst diese Leere ist Voraussetzung für neue Gedanken. Der gewöhnliche Läufer würde sagen, er bekomme „den Kopf frei“.
Wie seine Romanhelden durchbricht Murakami im Lauf der Zeit unsichtbare Grenzen. Auch für den Läufer Murakami ist auf der anderen Seite der Grenze nichts mehr so, wie es vorher war. Nach jahrelangem täglichen Training aber ist sein Buch auch ein Loblied auf das Ritual. Eine ständig wiederholte Übung, eine einfache Gewohnheit haben aus Murakami etwas gemacht: einen passablen Läufer mit bislang 27 Marathons.
Und einen noch viel besseren Schriftsteller.
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel vom Sonntag, dem 4. Mai 2008
Haruki Murakami: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede.
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
Dumont Buchverlag, Köln 2008.
165 Seiten, 16,90 €.