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13
08
2011

Franz Lieber aus Berlin - Vom Turner der Hasenheide zum Berater von Abraham Lincoln - Manfred Nippe in SPORT IN BERLIN ©Manfred Nippe

Franz Lieber aus Berlin – Vom Turner der Hasenheide zum Berater von Abraham Lincoln – Manfred Nippe in SPORT IN BERLIN

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Es gibt nur wenige Deutsch-Amerikaner des 19. Jahrhunderts, de­ren Namen, Leben und Wirken sowohl in deutschen Konversationslexika wie Brockhaus und Meyer als auch in der Encyclopedia Britannica und den amerikanischen Nachschlagewerken zu finden. Neben Carl Schurz, dem Bürgerkriegsgeneral und US-Innenminister, ist das der Berliner Franz Lieber.

Aus dem frühen Turner der Hasenheide und Freiheitskämpfer in Preußen wurde in Amerika ein renommierter Jurist, Vater des internationalen Kriegs- und Völkerrechts und Be­rater des amerikanischen Prä­­sidenten Abraham Lincoln.

Franz Lieber wurde 1798 in Berlin geboren. Franz, der blonde Lockenkopf, war der Liebling der Straße und bald auch des Turnplatzes von Friedrich Ludwig Jahn in der Hasenheide, den er ab 1811 besuchte.

Zum zweiten Kriegszug gegen Napoleon trat Lieber 1815 als Freiwilliger in das Colberger Regiment ein. In der Schlacht von Waterloo wurde er schwer verwundet. Nach dem Abitur am Gymnasium zum Grauen Kloster schrieb sich Lieber für ein Studium der Militärmedizin an der Berliner Pépinière ein. Auf dem Turnplatz war er bald Vorturner und neben Eiselen und Maßmann einer der Stellvertreter Jahns.

Zum Verhängnis wurden ihm Aufzeichnungen über Gespräche mit Friedrich Ludwig Jahn, den er schwärmerisch verehrte, und der ihm gegenüber einen möglichen Tyrannenmord am preußischen Polizeidirektor und ‚Großinquisitor’ Karl Albert von Kamptz bejaht haben sollte. In den 1819 beginnenden Demagogenprozessen gegen revolutionäre Turner und Burschenschaftler wurden seine „Goldsprüch­lein“ zum corpus delicti und führten zur Verhaftung von Jahn und ihm selbst.

Gegen die Aufrührer verhandelte Kammergerichtsrat E.T.A. Hoffmann, der nicht nur ein begnadeter Musiker und Dichter, sondern auch ein Großer in seinem juristischen Berufe war. Die Aufzeichnungen Liebers bezeichnete er als ‚kindischen Unsinn’, lehnte eine Bestrafung der ‚Gesinnung ohne Tat’ ab und plädierte nach umfangreichen Verhören auf Freispruch, und zwar sowohl von Jahn als auch Lieber. Franz Lieber wurde nach vier Monaten 1820 freigelassen. Der Jahn-Prozess selbst zog sich noch sechs Jahre hin und brachte dem Turnvater 1826 trotz eines Freispruches Verbannung und Polizeiaufsicht. Seit 1825 war Lieber mit Jahn verwandt, er war ein Cousin dessen zweiter Ehefrau Emilie.

Franz Lieber wurde das Studium an deutschen Hochschulen verboten, gleichzeitig stand er ‚als aufrührerischer Student’ unter polizeilicher Beobachtung. Es gelang ihm, die Behörden auszutricksen und nach Ablehnungen der Universitäten Berlin, Heidelberg, Tübingen, Marburg und Gießen in Jena zum Dr. phil. zu promovieren. In Dresden schloss er sich den Philhellenen an, die für die Befreiung der Griechen eintraten und gegen die Türken kämpften. Er ging 1821 nach Griechenland und erlebte einen Krieg im Chaos, desillusioniert kehrte er über Rom, wo er  eine Hauslehrerstelle beim preußischen Gesandten und berühmten Historiker Barthold G. Niebuhr fand, 1823 nach Preußen zurück.

Nach einer erneuten zehnmonatigen Inhaftierung 1824 in Cöpenick kam er durch Fürsprache von Niebuhr frei, führte in Halle seine Studien weiter und flüchtete vor neuer Verhaftung 1826 nach England. Seine spätere Frau, Mathilde Oppenheimer aus Hamburg, lernte er dort kennen. 

Über seine alten Turnfreunde Carl Follen und Carl Beck emigrierte er 1827 nach Neu England, übernahm die Leitung des öffentlichen Turnplatzes in Boston und widmete sich dem Aufbau einer Schwimmschule. Carl Follen war Professor für Turnen und Deutsch an der Harvard Universität und hatte zusätzlich die Einrichtung des Bostoner Turnplatzes bis zum Eintreffen Liebers übernommen.  Turnvater Jahn, um den sich Harvard zweimal vergeblich bemüht hatte, empfahl Lieber als bestens geeignet und qualifiziert. So wurde Lieber neben Carl Follen und dem seit 1825 an der Round Hill-Schule als Turnlehrer tätigen Carl Beck zu einem Turnpionier in den Vereinigten Staaten. Beck war auch Übersetzer von Jahns „Deutsche Turnkunst“ ins Englische. Alle drei kannten sich von der Hasenheide.

Allerdings gelang es nicht, das Jahnsche Turnen dauerhaft in Boston zu etablieren. Die Konzepte des Turnplatzes und der Schwimmschule gingen nicht auf, die Teilnehmerzahlen sanken und die Finanziers ruderten zurück. Für Franz Lieber bot sich ab 1828 eine wissenschaftliche und publizistische Karriere an.

Ein großer Wurf wurde die von ihm bis 1832 abgeschlossene 13-bändige ‚Encyclopedia Americana’, die seinen wissenschaftlichen Ruf festigte. 1835 trat er eine Professur für Geschichte und politische Ökonomie an der Universität von Süd Carolina an. Eine ihm 1844 bei seiner Europareise vom preußischen König angebotene Professur lehnte er ab. Seinem Freund, dem Staatsrechtler Professor Karl Mittermaier gegenüber begründete er seine Rückkehr in die USA mit den Worten, dass er in Berlin ‚ein unbefriedigtes, unglückliches, vielleicht sogar ein verächtliches Leben geführt haben würde’. Auch von Jahn distanzierte er sich, dessen Begeisterung er im Nachhinein für ‚hohl, ungesund und unnatürlich hielt’ und in dessen Poesie er ‚nichts Erhebendes, nichts Belebendes’ mehr sah.

Die achtundvierziger Revolution war für Lieber ein Grund, noch einmal Deutschland zu besuchen. Enttäuscht über die gescheiterte Revolution kehrte er nach Süd Carolina zurück. Erst 1857 gelang es ihm, die ‚Sklavenhalterstaaten’ zu verlassen und eine Professur für Geschichte und Politikwissenschaft an der Columbia Universität in New York anzutreten.

Der Ausbruch des Bürgerkriegs beförderte ihn 1861 in das Kriegsministerium der Union, hier wurde er juristischer Berater von Präsident Lincoln. Der von ihm verfasste „Lieber-Code“ wurde als Generalorder Nr. 100 von Lincoln unterzeichnet und ist der Vorgänger der späteren Genfer Konvention und der Charta vom Internationalen Roten Kreuz. Der Lieber-Code wurde im Bürgerkrieg von beiden Seiten als Grundlage des Kriegsrechts akzeptiert und wird auch heute noch im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen und Kriegsverbrecherprozessen zitiert. Francis Lieber verstarb am 2. Oktober 1872 in New York.

 

Manfred Nippe in SPORT IN BERLIN, Juli/August 2011

 

Langfassung und Literaturhinweise: www.manfred-nippe.de

 

Manfred Nippe – Berlin, Sport & Mehr

 

author: GRR

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