In der von dem 73 Jahre alten Lamine Diack aus Senegal geführten IAAF hat sich offenbar eine Mentalität der Umverteilung entwickelt
Finanzkollaps befürcht – Wohin steuert die Weltleichtathletik? Es gibt Dissonanzen über den Kurs. Vor allem die Fernsehpolitik ist umstritten. Der TV-Blackout trifft nicht nur den Sport an sich, sondern auch die Sponsoren. Und der IAAF droht die Puste auszugehen. Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Wenn der Weltverband sein Finanzgebaren nicht ändert, steuert die Leichtathletik weiter ins Abseits und der Weltverband selbst in die Zahlungsunfähigkeit. Davor warnte der Europäische Dachverband EAA am Dienstag. Er fordert vom Weltverband (IAAF), sofort Maßnahmen zu ergreifen, um sein Budget auszugleichen, sowie die Fernsehpolitik zu überdenken.
Die Europäer fürchten, dass die Leichtathletik in Europa Präsenz verliert – wie bei der Hallen-Weltmeisterschaft in Doha und der Cross-WM in Bydgosczc vom März, die im Fernsehen Westeuropas praktisch nicht vorkamen. Mit dem Versuch, die Rechte für alle ihre Meisterschaften bis 2013 en bloc zu verkaufen, ist die IAAF bei den öffentlich-rechtlichen Sendern Europas und deren Dachorganisation EBU abgeblitzt. Nun vermarktet die schwedische Agentur IEC die Rechte.
Wie sieht die Zukunft der Weltleichtathletik aus? Der IAAF droht die Puste auszugehen
Der TV-Blackout trifft nicht nur die Freunde der Leichtathletik, sondern auch die Sponsoren. Deshalb fordern die EAA und ihr Schweizer Präsident Hansjörg Wirtz, Übertragungen im frei empfangbaren TV zu garantieren. „Wir in Europa leben mehr als die IAAF von Marketing- und Fernseheinnahmen“, sagt Wirtz. „Die IAAF bekommt im Gegensatz zu uns Geld von den Olympischen Spielen.“
Auch der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Clemens Prokop, kritisiert „die falsche Richtung“ der Fernsehpolitik. Die aktuelle Situation sei für Bestand und Entwicklung der Leichtathletik von Nachteil. Die Weltmeisterschaft im Sommer in Barcelona wird im Fernsehen übertragen werden.
„Fehler können passieren. Aber man muss sie korrigieren“
Bis zur Weltmeisterschaft in Daegu in Südkorea ist noch bis Sommer 2011 Zeit. Die Fernsehsender der EBU können also mit dem Vertragsschluss warten. Der IAAF droht darüber allerdings die Puste auszugehen. Von Ausgaben von 70 Millionen Dollar und nur 47 Millionen Dollar Einnahmen wollen manche Fachleute beim IAAF-Budget wissen, das von hohen Personalkosten und ehrgeizigen Entwicklungsprojekten geprägt ist. Andere sprechen von einem strukturellen Defizit von gut zehn Millionen Dollar. Einnahmen und Ausgaben des Verbandes schwanken von Jahr zu Jahr erheblich. Die IAAF verrät keine Zahlen.
In der kommenden Woche beginnt in Doha am Persischen Golf die neue Diamond League. Nach der Hallen-Weltmeisterschaft dort hatte IAAF-Schatzmeister Jean Poczobut, früher Präsident des französischen Verbandes, das Council, den obersten Rat des Verbandes, vor dem Weg in die Zahlungsunfähigkeit gewarnt. Die Rücklagen – sie sollen vor einem Jahr noch um die 80 Millionen Dollar betragen haben – würden bei einem anhaltenden strukturellen Defizit innerhalb weniger Jahre aufgezehrt sein.
In der von dem 73 Jahre alten Lamine Diack aus Senegal geführten IAAF hat sich offenbar eine Mentalität der Umverteilung entwickelt. Mit Diack habe er schon viele Diskussionen gehabt, sagt Wirtz, doch geschehen sei nichts. „Fehler können passieren. Aber man muss sie korrigieren.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 5 Mai 2010