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18
08
2009

Das sagt auch ihr Vorbild, Stabhochsprung-Weltrekordhalter Sergej Bubka. „Es kann passieren.“ Hat Isinbajewa zu viel riskiert, als sie die Latte fünf Zentimeter höher legen ließ? „Nein, das ist für sie eigentlich keine große Angelegenheit.“

Favoritensturz: Jelena Isinbajewa wird Letzte – Die Russin Jelena Isinbajewa schaffte bei der Leichtathletik-WM in Berlin keinen einzigen gültigen Sprung. Gold und Silber gingen an Polen. Silke Spiegelburg wurde als beste Deutsche Vierte. Friedhard Teuffel im Tagesspiegel

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Jelena Isinbajewa hatte sich ein kleines Nest gebaut, ausgelegt mit einem Handtuch, und geschützt in einer verlassenen Ecke am Rand der Anlaufbahn. Dort wartete sie, bis sie endlich an der Reihe war. Warten ist sie gewohnt, da lohnt es sich für sie, sich ein bisschen einzurichten.

Meist dauert es eine Stunde, bis die Latte im Wettbewerb so hoch liegt, dass sich die beste Stabhochspringerin der Welt auch gefordert fühlt. Aus dieser kleinen, gemütlichen Ruhezone sollte jedoch später eine Kummerecke werden. In die zog sich die Russin zurück nach einer der größten Niederlagen ihrer Karriere.

Die Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Weltrekordhalterin stieg also am Montagabend wieder in den Wettkampf ein, als fast alle schon ausgeschieden waren. Die beiden Deutschen Anna Battke und Kristina Gadschiew  hatten 4,40 Meter übersprungen, aber nicht mehr und landeten damit auf den Plätzen sieben und zehn. Silke Spiegelburg war jedoch auch bei 4,75 Meter noch dabei. Die beiden sprangen unmittelbar hintereinander, nicht ahnend, dass sie die traurigen Teilnehmerinnen dieses Weltmeisterschaftsfinales werden sollten.

Isinbajewa scheiterte im ersten Versuch an 4,75 Meter und entschied sich, bei 4,80 Meter weiterzumachen. Die Polin Anna Rogowska hatte schließlich inzwischen 4,75 Meter gemeistert, und an ihr wollte Isinbajewa jetzt vorbeiziehen.

Doch der erste Versuch über 4,80 Meter misslang, und allmählich begann sich eine etwas mulmige Stimmung über der Stabhochsprunganlage auszubreiten. Isinbajewa hat das Stabhochspringen der Frauen mit ihrer Dominanz erst groß gemacht, sie hat von den Olympischen Spielen in Athen 2004 an alle großen Meisterschaften gewonnen. Vor dem letzten Versuch spielte sich eine ungewöhnliche Szene ab, Isinbajewa ging noch einmal zu ihrem Trainer Witali Petrow, um sich zu beraten, sonst benötigt Isinbajewa in einer solch frühen Phase des Wettbewerbs keine große Unterstützung.

Ihr letzter Versuch über 4,80. Sie sprang, überwand mit den Füßen die Latte, riss sie dann aber mit dem Bauch mit sich hinunter in die Tiefe. Schon in der Luft wurde aus ihrem sonst so fröhlichen Gesicht ein trauriges. Auf der Matte gelandet vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und weinte. Ausgeschieden ohne gültigen Versuch. Die Polin Rogowska konnte ihr Glück derweil gar nicht fassen, mit den gemeisterten 4,75 ist sie die neue Weltmeisterin. Sie feierte, während sich Isinbajewa in ihr kleines Lager zurückzog und dort versteckte. Später sagte sie: „So etwas passiert im Sport, auch wenn man eine große Karriere hat.“

Das sagt auch ihr Vorbild, Stabhochsprung-Weltrekordhalter Sergej Bubka. „Es kann passieren.“ Hat Isinbajewa zu viel riskiert, als sie die Latte fünf Zentimeter höher legen ließ? „Nein, das ist für sie eigentlich keine große Angelegenheit.“ Doch sie war nicht allein mit ihrer Trauer auf der Anlage. Silke Spiegelburg kauerte sich mitten auf den grauen Boden der Anlaufbahn und weinte minutenlang. Ihr blieb der vierte Platz mit 4,65 Meter, auch die beiden Zweitplatzierten Chelsea Johnson aus den USA und Monika Pyrek aus Polen hatten diese Höhe übersprungen aber insgesamt weniger Fehlversuche als Spiegelburg. „Der erste Sprung über 4,75 war der beste Sprung, den ich in meinem Leben gemacht habe. Der hat sich so gigantisch angefühlt“, sagte sie.

Nur hatte sie sich etwas verschätzt und die Ständer, an denen die Latte aufgehängt wird, in ungünstigem Abstand zum Einstichkasten platzieren lassen. „Ich hätte mal besser auf meinen Trainer hören sollen“, sagte sie. Als sie den ersten Sprung nicht bewältigte, hätte der Wettbewerb einen unglücklichen Lauf genommen. „Da sind dann langsam die Emotionen gekommen.“ Zu viele offenbar, um in ihren letzten beiden Versuchen noch einmal so konzentriert zu sein wie in ihrem ersten über 4,75.

Dass sie im Wettbewerb vor Jelena Isinbajewa platziert ist, wird ihr kein Trost gewesen sein.

Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Dienstag, dem 18. August 2009

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