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15
09
2007

Aber für die schwierige Aufgabe, das Olympiastadion bei der WM 2009 an neun Tagen mit Nachmittags- und Abendveranstaltungen zu füllen, ist ein einfallsreicher Sponsor weit und breit nicht in Sicht.

Falsche Namen, Sparsamkeit am falschen Platz: Widerstrebende Interessen an der Leichtathletik-WM in Berlin – Nur mit Postboten ist kein Olympiastadion zu füllen – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)

By GRR 0

BERLIN. 70 000 Besucher werden an diesem Sonntag zum Istaf im Berliner Olympiastadion erwartet. Bei den Weltmeisterschaften der Leichtathleten in Osaka vor zwei Wochen hätten man das Publikum von drei Tagen zusammenzählen müssen, um auf eine solche Summe zu kommen. „Viel zu oft passiert nicht genug. Die Atmosphäre fällt zusammen wie ein Soufflé“, klagt Sebastian Coe über das WM-Programm. Der ehemalige Läufer organisiert die Olympischen Spiele 2012 in London und sagt: „Es mag vertragliche Einschränkungen dafür geben, das WM-Format vor der nächsten Ausgabe in Berlin zu ändern. Aber erwägen müssen wir solche Änderungen.“
Helmut Digel, Vorgänger Coes im Präsidium des Internationalen Leichtathletikverbandes (IAAF), fordert die Streichung von Vorläufen und ganzen Disziplinen, um die WM 2009 von neun auf sechs Tage zu verkürzen.

Selbst das Istaf würde in Berlin und Brandenburg nicht genug Leichtathletikfreunde auf die Beine bringen, um die 70 000 Plätze der Arena zu füllen. Sponsor DKB-Bank warb deshalb im Umkreis von mehreren hundert Kilometern etwa bei Feuerwehrleuten und Postboten. Für 17 Euro gibt es die Eintrittskarte, eine Busfahrt nach Berlin, eine Mütze obendrein – und einen Platz im Block mit lauter anderen Feuerwehrmännern oder Postboten. 790 Busse aus ganz Deutschland werden am Sonntag anrollen. „Wir zahlen nicht drauf“, heißt es beim Sponsor. „Wir schaffen ein Break- even“, sagt Istaf-Geschäftsführer Gerd Janetzky, und das ist bei einem Etat von 2,6 Millionen Euro aller Ehren wert.

Aber für die schwierige Aufgabe, das Olympiastadion bei der WM 2009 an neun Tagen mit Nachmittags- und Abendveranstaltungen zu füllen, ist ein einfallsreicher Sponsor weit und breit nicht in Sicht. Karten zu verschenken, das reicht nicht: Nicht einmal zur Fußball-WM kamen alle, die Freikarten bekommen hatten. Zudem sind im August 2009 Sommerferien in Berlin.

Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, und Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), haben deshalb Michael Mronz ins Boot geholt, der die Reiter-Festspiele vom vergangenen Jahr in Aachen zu einem Erfolg machte. Seine Ideen von Bundesjugendspielen mit Stefan Raab im Fernsehen sowie seine Erfahrung mit Wok-Rodeln und Grillen mit Prominenten scheinen in eine ähnliche Richtung zu zielen wie die Akquise bei Post und Feuerwehr: über den harten Kern der Fans hinaus.

Doch Fachleute berichten von frappierender Ahnungslosigkeit des Promoters bei der Präsentation. Sein Konzept, selbst vor Mitgliedern des Aufsichtsrates geheim gehalten, zerstreut nicht die Zweifel an seiner Kompetenz. Es ist ein Kompendium bekannter Namen, offenbar sollen jedoch die falschen Leute zu Kamingesprächen eingeladen werden.

Mag sein, dass die Verpflichtung von Mronz, dem Lebensgefährten des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, die Leichtathletik-Weltmeisterschaften im gesellschaftlichen und politischen Berlin verankern soll. Jedenfalls bilden die 24 Mitglieder von Aufsichtsrat und Local Organizing Committee (LOC) von Wowereit über den IAAF-Präsidenten Lamine Diack bis zu Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ein weites Netz von Unterstützern.
Außerdem demonstriert Wowereit in diesen verschwenderisch ausgestatteten Gremien Sparsamkeit, wenn er etwa prüfen lässt, ob Athleten in Jugendherbergen untergebracht werden könnten.

Den Etat von 45 Millionen Euro bestreitet etwa zur Hälfte das Land Berlin. Einen Zuschuss vom Weltverband wie noch zur WM 1993 in Stuttgart gibt es nicht. Der damalige IAAF-Präsident Primo Nebiolo strich ihn, als er sah, dass der DLV sich von den vier Millionen Mark eine Verbandszentrale in Darmstadt gebaut hatte.

Die Redundanz seiner Aufsichtsgremien empfand Geschäftsführer Heiner Henze als Zumutung. Deshalb beantragte er in seiner Funktion als Schatzmeister des DLV in der Gesellschafterversammlung, deren Einfluss einzuschränken. Das war der Bruch. Als Prokop und das LOC ihn mit der Präsentation von Maskottchen und Präsentationsfilm zweimal durchfallen ließen, trat Henze zurück. Sein Nachfolger ist Frank Hensel, der Generalsekretär des DLV.
Zusätzlich zur Vorbereitung der Nationalmannschaft auf Olympische Spiele und die WM 2009 hat er damit auch die Organisation der WM und des damit verbundenen Kongresses von mehr als 200 Verbänden übernommen. Sponsoren fehlen so dringend, dass das OK einer japanischen Agentur 1,5 Millionen Euro für das Recht überwiesen hat, sich einige Vermarktungsnischen zu öffnen.
Nun darf sie versuchen, ein Reisebüro oder ein Energieunternehmen zu akquirieren. Für die Lufthansa, seit neuestem Partner des DLV, ist noch kein Platz.

Henze ist das zweite Opfer der widerstrebenden Interessen. Der erste Verlust war der Unternehmer und ehemalige Präsident der Industrie- und Handelskammer, Werner Gegenbauer. Er führte die Bewerbung an, die die WM nach Berlin holte – und weigerte sich, ein OK zu führen, das vollständig vom DLV kontrolliert wird. Das Istaf gehörte zur Bewerbung. Gegenbauer, einer der wohlhabendsten Männer der Stadt, kaufte es gemeinsam mit dem Unternehmensberater Janetzky aus dem Konkurs, um die WM-Bewerbung nicht durch das Sterben des inzwischen siebzig Jahre alten Sportfestes zu kompromittieren.

Die Verbindung zwischen Sportfest und Weltmeisterschaft scheint inzwischen gekappt.
Während an der Siegessäule Flaggen mit dem Logo der WM wehen, wird am Sonntag im Olympiastadion nichts auf das größte Sportereignis des Jahres 2009 hinweisen.

Michael Reinsch
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
Sonnabend, dem 15.09.2007,

author: GRR

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