Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
DDR-Dokumente zeigen Ullrichs Doping-Plan – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Frank Ullrich möchte als Vorsitzender des Sportausschusses des Bundestags in den NADA-Aufsichtsrat. Stasi-Berichte des DDR-Verbandsarztes dokumentieren die Oral-Turinabol-Doping-Planungen zu dessen aktiver Zeit.
Die Position von Frank Ullrich als Vertreter des Deutschen Bundestages im Aufsichtsrat der Nationalen Anti-Dopingagentur (NADA) gerät ins Wanken. Trotz seiner großen Erfolge als Athlet und Trainer im DDR-Sportsystem will der Bundestagsabgeordnete der SPD aus Thüringen, Vorsitzender des Sportausschusses, niemals wissentlich mit Doping in Berührung gekommen sein.
Berichte des einstigen Verbandsarztes des Deutschen Skiläufer-Verbandes der DDR (DSLV), Hans-Joachim Kämpfe, gegenüber dem Staatssicherheitsdienst der DDR stehen in Widerspruch zu dieser Behauptung. Demnach sollte Ullrich wie die gesamte erste Garde des DDR-Biathlons mit dem Testosteron-Präparat Oral-Turinabol gedopt werden.
Kämpfe, Mediziner in Dresden und von der Staatssicherheit von März 1977 an als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) Schmied geführt, hat im März 1984 handschriftlich eine „Kurzeinschätzung der Wirksamkeit der UM in der Vorbereitung der OWS 1984 in Sarajewo“ verfasst und mit seinem Klarnamen unterschrieben. Sie liegt der F.A.Z. vor. UM steht für Unterstützende Maßnahmen, DDR-Euphemismus für Doping. OWS steht für Olympische Winterspiele. Mittel der Wahl war das vom VEB Jenapharm hergestellte Anabolika-Präparat Oral-Turinabol (OT).
Ullrich auf Liste aufgeführt
„Im Biathlon wurde die Beeinflussung mit OT nach den in den vorhergehenden Jahren bewährten Prinzipien geplant und realisiert“, heißt es darin. Für Ullrich, Olympiasieger im Biathlon von Lake Placid 1980, waren die Spiele von Sarajewo seine dritten; bei der Eröffnungsfeier war er Fahnenträger der DDR-Mannschaft.
In einem Bericht über die „Anwendungskonzeption u. M. des DSLV im Trainingsjahr 1985/86“ teilt Kämpfe im Juli 1985 mit, dass 21 Biathleten der Kaderkreise 1 und 2 in vier Zyklen von Oktober 1985 bis Januar 1986 mit je insgesamt 450 Milligramm Oral-Turinabol gedopt werden sollten. In der Liste ist auch Ullrich aufgeführt, seinerzeit 27 Jahre alt.
Frank Ullrich: Stasi-Unterlagen belegen, dass er als Biathlet mit dem Testosteron-Präparat Oral-Turinabol gedopt wurde.
„Was meinen Namen speziell auf der Liste angeht, war ich dann doch überrascht“, schreibt Ullrich auf Anfrage: „Zum einen, weil ich meines Wissens nie Oral-Turinabol genommen habe. Zum anderen, weil sich die Doping-Angaben, wenn ich den handschriftlichen Bericht richtig gelesen habe, auf die Saison 85/86 beziehen – also auf einen Zeitraum, in dem ich kein aktiver Sportler mehr war. Ich musste mich im Spätsommer 85 einer Bandscheibenoperation unterziehen und danach offiziell meine aktive Sportlerkarriere beenden. Bereits in der Saison 84/85 hatte ich aus persönlichen Gründen sehr selten und individuell trainiert und nur an zwei Läufen teilgenommen.“
Werner Franke aus Heidelberg, emeritierter Professor für Zell- und Molekularbiologie sowie Aufdecker des systematischen DDR-Dopings, sagte gegenüber der F.A.Z., mit diesen Akten sei die Doping-Vergangenheit Ullrichs nicht mehr von Vermutungen geprägt, sondern durch Fakten bewiesen: „Vage darf nicht mehr sein. Jetzt ist es belegt.“ Franke verfügt durch seine Arbeit über Funktion und Instrumentalisierung des Sports in der DDR für die Enquetekommission des Deutschen Bundestags über ein riesiges Archiv.
Der Antrag der CDU für die Sitzung des Sportausschusses an diesem Mittwoch, Ullrich aus dem Aufsichtsrat der NADA abzuberufen, wird wegen Krankheit Ullrichs verschoben. Die Union erwartet allerdings, dass Ullrich den Sitz im Aufsichtsrat bei der Sitzung am 26. April nicht einnimmt, da der Sportausschuss erst wieder am 27. April tagt. Wer im Aufsichtsrat einer Organisation sitze, deren Hauptzweck der Kampf gegen Doping ist, müsse über jeden Zweifel erhaben sein, was die eigene Vergangenheit im Zusammenhang mit Doping betrifft, heißt es in dem Antrag: „Dies ist bei Frank Ullrich nicht der Fall.“
Ullrich dagegen beharrt gegenüber der F.A.Z.: „Ich habe nie wissentlich Oral-Turinabol oder irgendein anderes Dopingmittel erhalten. Meine Devise als Sportler und später auch als Trainer war Erfolg durch gutes Training, durch härtesten persönlichen Einsatz – nichts anderes. Bei trainingsunterstützenden Mitteln bin ich davon ausgegangen, dass es sich um Vitamin- und Mineralienpräparate gehandelt hat, die der Regeneration dienen.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 5. April 2022