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14
07
2016

Start und Ziel des Halbmarathon der EM 2016 am Rijksmuseum ©Paul Deelman

Ernüchterung pur in Amsterdam 2016 – Die deutschen Starter im Halbmarathon-Wettbewerb der Europameisterschaften lassen viele Wünsche offen – Ein Kommentar von Horst Milde und Wilfried Raatz

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Das Ergebnis ist Ernüchterung pur: Bei der Halbmarathon-Premiere im Rahmen der Europameisterschaften 2016 in Amsterdam wurden die deutschen Männer Zehnter von sechzehn klassierten Nationen mit sechs Minuten Rückstand auf den Überraschungssieger Schweiz, die deutschen Frauen Vierzehnter mit einem Rückstand von dreizehn Minuten auf Europameister Portugal, dahinter lediglich noch Norwegen und Schweden.

Bei den Männern waren dies Frankreich, Norwegen, Portugal, Österreich, Israel und Tschechien.

Bei der Einzelwertung muss man in der Rangliste bis auf die Plätze 17 bzw. 24 vorrücken, um mit Julian Flügel bzw. Anja Scherl die besten deutschen Athleten zu finden.

Das ist gewiss sowohl für Anja als auch für Julian ein persönlicher Erfolg.

Unbestritten, aber für ein Läuferland, wie es Deutschland zweifellos ist, eine mäßige Bilanz. Sicherlich hat jeder seinen persönlichen Grund, weshalb es nicht so „lief“, wie man zuvor in der Funktionärsetage prognoszierte oder die Athleten sich in den sozialen Netzwerken zur Schau stellten.

Hier sind es Magenprobleme, dort eine kaum ausgeheilte Verletzung oder ein Sturz im Training, offenbar ist man mit Ausreden hierzulande schneller als die Beine tragen.
Unbestritten sind die inzwischen zumeist verbesserten Trainingsrahmen.

Kaum einer der deutschen Starter ist Feierabendläufer, sondern arbeitet mit reduziertem Stundenkontingent (bei finanziellen Einbußen), Student mit gestrecktem Stundenplan, oder gar in einer Sportfördereinheit der Polizei oder der Bundeswehr. Oder läuft professionell. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) schickt die Disziplinbesten in schöner Regelmäßigkeit ins Trainingslager, für die Langstreckenläufer in ferne Höhentrainingslager in den USA, Äthiopien oder Kenia. Entweder mit kompletter Kostenübernahme oder Eigenkostenbeteiligung. Leider mit aktuell nur mäßigem Ertrag – siehe Amsterdam.

Was sind jedoch die Gründe für das eher bescheidene Abschneiden?

Es hat fast den Anschein, dass sich die deutschen Langstreckenläufer auf der Jagd nach der Olympianorm im Marathonlauf und einer Leistungsbestätigung auf einer Unterdistanz verausgabt haben, in der erforderlichen Regenerationsphase nicht die nötige Sorgfalt walten ließen und bekannte Trainingsgesetzmäßigkeiten missachtet haben.

Diesen Schluss muss man zwangsläufig ziehen, denn die Liste der Verletzten ist im Wochenrhythmus größer geworden. Gottlob gibt es Ausnahmen, aber die Regel sieht im Olympiajahr 2016 anders aus. Mit reichlich Getöse hat die deutsche Laufgemeinde erreicht, dass der DLV durch Anpassung der Normen das maximale Kontingent an (Marathon-)Olympiastartern zur Nominierung vorschlagen konnte. Jetzt ist es an den Athleten selbst, die Vorschusslorbeeren mit Taten zu untermauern.

Schauen wir nicht auf andere Nationen, in denen der Wechsel der Startberechtigung „von heute auf morgen“ machbar ist, sondern loten wir unsere Stärken aus, die zweifellos vorhanden sind – aber vielleicht unter anderen Vorzeichen abzurufen sind. Wir sollten unseren Talenten aber auch die erforderliche Zeit lassen, damit sie zu einem Läufer mit internationalem Zuschnitt heranreifen können.  

Ob die Austragung eines Halbmarathons bei Europameisterschaften eine einmalige Sache war oder ob es künftig zum Standardprogramm zählt, das wird sicherlich bei einer internen Auswertung von European Athletics entschieden.

Eine Entscheidung pro Halbmarathon wäre zu begrüßen, denn, sind wir einmal ehrlich, eine Marathonentscheidung wie zuletzt in Zürich mit insgesamt 50 Männern und 47 Frauen im Ziel und einer Leistungsbreite von 20 bzw. 40 Minuten ist keineswegs so attraktiv, als dass sich Europas Beste zeigen, denn diese bevorzugen sicherlich einen der attraktiven Herbstmarathons mit den entsprechenden Antritts- und Leistungsprämien.

Schon alleine aus dieser Überlegung heraus spricht (fast) alles für die Beibehaltung des Halbmarathon-Wettbewerb, denn dieser ist mehr als eine Standortbestimmung zum Herbstmarathon.

Berlin hat 2018 mit der EM wiederum die Chance, mit einem attraktiven Innenstadtkurs und einem begeisterungsfähigen Publikum sein Feingefühl für die Langstreckler zu zeigen – so wie es bei den Weltmeisterschaften 2009 war, als man den Marathonlauf erstmals herausgelöst aus dem starren Raster der WM- und Olympiatradition auf einem Rundkurs am Brandenburger Tor durchführen konnte.  

Horst Milde und Wilfried Raatz 

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author: GRR

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