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28
06
2012

Arne Gabius in Helsinki - Nach den langsameren Jahren - 5000-Meter-Läufer Arne Gabius verziert die Saison seines Lebens mit EM-Silber- Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung ©Eigene website von Arne Gabius

EM Helsinki – Nach den langsameren Jahren – 5000-Meter-Läufer Arne Gabius verziert die Saison seines Lebens mit EM-Silber- Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Helsinki – Arne Gabius hatte keine Eile auf den ersten Runden, er ordnete sich in den hinteren Reihen des Feldes ein und wartete ab. Irgendwann streifte jemand sein Bein, er strauchelte, er fing sich und lief ruhig weiter nach seinem Plan, den er sich zurecht gelegt hatte für das 5000-Meter-Finale der Leichtathletik-EM in Helsinki.

Nach der Hälfte des Rennens hatte das Feld Anatoli Rybakow aus Russland eingeholt, der für die ersten Runden einsam vorausgelaufen war, und dann begann das Rennen so richtig. Mo Farah, der britische Weltmeister, verschärfte das Tempo, Gabius folgte, weitere Medaillenanwärter schlossen auf. 800 Meter vor Schluss dachte Arne Gabius daran, wie gut er sich fühlte.

Und auf der letzten Runde, als Farah sich endgültig von seinen Konkurrenten verabschiedete, merkte der Deutsche, dass sein Plan aufging. „30 Meter vor Schluss habe ich nach links und rechts geschaut“, sagte Arne Gabius später, als er von der Ehrenrunde für seinen Silber-Gewinn zurückgekehrt war, „und dann war da niemand.“

Die EM in Helsinki ist nicht gerade die Premium-Meisterschaft des olympischen Kernsports, dafür lassen sie zu viele Prominente aus verschiedenen Nationen aus, dafür liegt sie zu dicht vor den Sommerspielen in London in fünf Wochen. Aber sie ist für ein paar Begabte eine günstige Gelegenheit, sich mit einem Erfolg für gute Trainingsarbeit zu belohnen und etwas Seelenhygiene zu betreiben. Und am ersten Tag in Finnlands Haupstadt haben gerade die deutschen Leichtathleten den Eindruck gemacht, als wollten sie diese Gelegenheit unbedingt nutzen.

Der Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch zum Beispiel, der sich mit 4291 Punkten zu Halbzeit in eine Position gebracht hat, von der aus er an diesem Donnerstag zum Titel greifen könnte. Oder die deutschen Sprinterinnen, von denen sich an diesem kühlen Mittwoch nicht nur Titelverteidigerin Verena Sailer für das Finale an diesem Donnerstag qualifizierte, sondern auch deren Kaderkolleginnen Tatjana Pinto und Anne Cibis. Aber vor allem natürlich Arne Gabius aus Tübingen, der im guten Läufer-Alter von 31 seine beste Saison erlebt und bei der ersten EM-Entscheidung gleich die erste Medaille für den deutschen Leichtathletik-Verband gewann.

 

Medizinstudent bis 2011

Ein ziemlich kluges Rennen hat Gabius gezeigt in diesem EM-Lauf. In jeder Phase war er im Bilde, nie schien ihn jemand überfordern zu können – außer natürlich Mo Farah, der mit seiner Bestzeit von 12:53,11 Minuten allerdings ohnehin aus einer höheren Liga zu diesen Titelkämpfen herabgestiegen war. In 13:31,83 Minuten sicherte sich Gabius den Silberrang zwischen Farah (13:29,91) und dem Kenia-Türken Polat Kemboi Arikan (13:32,63).

In einer Zeit also, die Gabius im vergangenen Jahr noch an die Grenzen seiner Kraft geführt hätte und mit der er ein insgesamt sehr gelungenes Saisonwerk veredelte. Mit Bestzeiten fiel Gabius schon in der Hallensaison auf, verzierte die Winterspielzeit mit Platz acht bei der Hallen-WM in Istanbul und hat nun seine Mission nahtlos fortgesetzt. Vor drei Wochen verbesserte er seinen persönlichen 5000-Meter-Rekord auf 13:13,43 Minuten und qualifizierte sich damit für Olympia. Jetzt ist er EM-Zweiter und fragt : „Was will ich mehr?“

Von einem Gabius, der ausdauernd über zu hohe Qualifikationsnormen klagte, hat er sich in einen Gabius verwandelt, der ausdauernd sein Potential abruft. Wie es dazu kommen konnte, erklärt sich einleuchtend aus einer Veränderung in seinem Leben. Bis vergangenes Jahr war er noch Medizinstudent, und weil es im Medizinstudium keine Sportfördergruppe gibt, weil Praktisches Jahr sowie diverse Prüfungen auch vom Spitzenläufer vollen Einsatz verlangen, konnte Gabius nicht all seine Energie aufs Training verlegen. Dieter Baumann, der 5000-Meter-Olympiasieger von 1992, bis Herbst Gabius’ Trainer, berichtet: „Der stand jeden Tag zehn Stunden in der Klinik. Der hat trainiert um 5.30 Uhr und abends um 18 Uhr. Der war diszipliniert, der hat alles durchgezogen. Nur: Wenn ich so lange in der Klinik stehe, dann kann ich natürlich keinen Dauerlauf im 3:30-Minuten-Schnitt machen. Da waren die Dauerläufe etwas langsamer.“

Gabius und Baumann verbindet weiterhin eine vertrauensvolle Freundschaft, aber Gabius geht jetzt seinen eigenen Weg. Sein Medizinstudium ist abgeschlossen, er kann sich voll auf die Lauferei konzentrieren und tut dies eigenverantwortlich. Für Gabius funktioniert das, so hat er Zeichen gesetzt. Der Regensburger Philipp Pflieger, 24, in 13:51,23 Minuten 15., fand den Fortschritt des älteren Kollegen jedenfalls ziemlich motivierend. Pflieger lernt daraus: „Wenn man dran bleibt, ist auch für einen deutschen Läufer eine Zeit unter 13:20 kein Ding der Unmöglichkeit.“

Und Gabius selbst? Stand im Lichte seines Glückes und sagte: „Ich bereue nichts.“ Schon gar nicht, fürs Medizinstudium ein paar langsamere Jahre in Kauf genommen zu haben. Er hat einen Beruf für die Zeit nach dem Sport, und jetzt kann er ja alles nachholen.

Sein nächstes Ziel? Das Olympia-Finale. Arne Gabius findet mittlerweile, dass er sich so hohe Ziele stecken darf.

 

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Mittwoch, dem 27.Juni 2012

author: GRR

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