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Kjell-Eric Stahl (ganz lks.) als Sieger der Marathonpremiere 1983 mit den drei Erstplatzierten 2016 (v.l.) Solomon Merne Eshete (3.), Oliver Herrmann (1.) und Charles Korir (2.) ©Wilfried Raatz/ wus-media

Einmal mehr weißblauer Himmel über München – Mit Oliver Herrmann gewinnt ein gebürtiger Münchener den Marathon-Wettbewerb – Herzschlagfinale bei den Frauen: Latifa Schuster zwei Sekunden vor Anne Lupke – Wilfried Raatz berichtet

By GRR 0

Er ist schon eine eigene Marke, der München-Marathon. Am Vortag gab es beim immer beliebter werdenden Trachtenlauf zum läuferischen Auftakt einen wolkenverhangenen Himmel mit später einsetzendem Regen.

Am Marathon dann bei zunächst noch empfindlicher Morgenfrische mit gerade einmal vier Grad (aber Tendenz steigend) einen strahlend weißblauen Himmel über München – ideales Marathonwetter für die 31. Auflage der Sightseeingtour durch die bayerische Landeshauptstadt.

Doch die Marathonläufer bzw. die Starter für eine der drei Neben-Wettbewerbe strömten deutlich weniger als vor einem Jahr, als man in München die dreißigste Auflage des Stadtmarathons gebührend feiern konnte.

Für Marathonchef Gernot Weigl ein überaus nachvollziehbares, weil auch andernorts übliches Phänomen: „Ein Jubiläum mobilisiert zusätzlich“, sodass er anstelle der im vergangenen Jahr gezählten 22.800 Anmeldungen heuer nur 20.041 Anmeldungen, die sich auf 6106 im Marathon-, 7928 im Halbmarathon-, 3243 im 10 km- und 2764 im Staffel-Wettbewerb splitteten, in einer ersten Bilanz vorlegen konnte.

Dabei konnte Gernot Weigl, der seit 2000 mit der runabout München Marathon GmbH, die Veranstaltung organisiert, mit einem neuen Phänomen aufwarten: Die Akzente unter den teilnehmerstärksten Nationen haben sich hinter Deutschland durch Italien (1100) vor Österreich (980) und Russland (!) verschoben. „Wir haben zunächst einen Übertragungsfehler vermutet, doch es waren tatsächlich 450, die sich auf den unterschiedlichen Strecken angemeldet haben!“

Sogar einige Russen wurden im offiziellen Olympiaoutfit auf der Marathonmesse gesichtet, im Lauf selbst herrschten andere „Gesetze“. Am Vortag machten diese aber durch farben- und detailprächtige Landestrachten erheblich auf sich aufmerksam, die in erstaunlicher Anzahl beim Trachtenlauf auf der 3 km-Schleife im Olympiapark das Gegengewicht zur bajuwarische Trachten-Übermacht darstellten und um das begehrte Weißwurst-Frühstück (mit Weißbier versteht sich) liefen.

In der international geprägten Startliste fallen aber auch 140 Chinesen auf, die offenbar ein Faible für die bayerische Metropole entdeckt haben.

Nach dem tristgrauen Samstag zeigte sich der Marathontag unverhofft dann doch noch im Sonntagsblau. Zusammen mit der herrlichen Herbstfärbung eine absolute Werbeveranstaltung für München, auch wenn sich die Stadt lediglich durch die dritte Bürgermeisterin vertreten ließ.

Dafür war Kjell-Eric Stahl angereist, der 1983 den ersten München-Marathon in 2:13:33 Stunden für sich entscheiden konnte.

Der schwedische Ehrengast war zunächst beim Marathonstart dabei, um dann selbst mit inzwischen 70 Jahren nach jahrelanger Abstinenz die Laufschuhe noch einmal zu einem Wettbewerb zu schnüren. 52:51 wurden für den einstigen Marathon-Vielstarter gestoppt, der es in seiner außergewöhnlichen Karriere auf 101 Marathonläufe, darunter 70 unter der 2:20-Stundenmarke, gebracht hat. Und noch heute den Landesrekord in 2:10:38 Stunden hält. Und dies alles bei einer Vollzeitanstellung in einer schwedischen Telekommunikationsfirma mit Personalverantwortung für mehrere hundert Angestellten.

Kjell-Eric Stahl durfte dann auch mit Oliver Herrmann den Sieger 2016 im Ziel begrüßen. Dieser zeigt mit seinen 36 Jahren als Unternehmer mit zwei Firmen in Asien einer weiteren in Europa ähnliche Nehmerqualitäten, ist aber freilich bei einer Siegerzeit von 2:27:12 Stunden fast eine Viertelstunde langsamer als der Schwede. “Eigentlich wollte ich 2:20 laufen, doch hinten heraus ist es sehr zäh geworden“, gestand der in München geborene Marathonsieger mit einem deutschen und einem Schweizer Pass. Bis ins Ziel hinein hatte er mit dem 2:15-Läufer Charles Korir einen treuen Weggefährten zur Seite, den er bei seinen Aufenthalten in Kenia kennengelernt hatte – und ihn als Tempomacher nach München bestellt hatte.

Und der 28jährige Kenianer zeigte sich als „ergebener“ Lauffreund und überließ den emsigen Unternehmer im Rohstoffhandel und Finanzierungsprojekten mit Wohnsitz Singapur auch den Sieg bei einem Rückstand von einer Sekunde.

Seine Entscheidung für einen Start beim München-Marathon passt so ganz in die Weiglsche Philosophie der „local heroes“, denn bis zur Einberufung zur Bundeswehr lebte Oliver Herrmann in München und suchte für seinen Start ein Rennen mit weniger Kommerz. „In München hat man eine Chance auf eine bessere Platzierung. Schließlich ist es der Traum eines jeden Läufers, einmal einen Marathon zu gewinnen!“

Diesen Marathonsieg hat sich Oliver Herrmann allerdings vor allem dank seiner eisernen Disziplin erarbeitet, denn sein Alltag beginnt um 4.00 Uhr morgens mit dem Lauftraining, ab 6.00 Uhr sitzt er dann im Büro.

Ein zweites Training folgt dann in der Mittagszeit oder um 17.00 Uhr. Ob er seine Traumzeit von 2:20 Stunden irgendwann verwirklichen kann, das steht derzeit natürlich in den Sternen wie auch die Träume des aktuell in Lyon lebenden Charles Korir, der von einer 2:09 bis 2:10 ebenso träumt wie auch der drittplatzierte aus Äthiopien stammende Solomon Merne Eshete, der im Trikot des TV Wasserlos in Deutschland schon zu manchem Erfolg durchgestartet ist und auf Bestzeiten von 29:26 über 10 km und 1:06 über die Halbmarathondistanz verweisen kann.

Er hatte sich erst nachgemeldet – und lief der Spitze aus einem hinteren Startblock mit einem Rückstand von 70 Sekunden hinterher. Mit einer Nettozeit von 2:27:43 Stunden (brutto netto jedoch 2:28:52) wäre der Asylbewerber aus Hanau durchaus auch für den Sieg in Betracht gekommen. Es dürfte für Solomon ein wichtiger Lernprozess für künftige Rennen sein, schließlich war er mit einem mutigen Tempolauf bereits nach sieben Kilometern zum alleine auf weiter Flur laufenden Debütanten Sebastian Hallmann aufgelaufen und seit diesem Zeitpunkt bis zur Halbmarathonmarke ein wertvoller Wegbegleiter für den Neueinsteiger geworden.

Das einstige vornehmlich Bahn-und Cross-Ass, seit einem Jahr in die Organisation des München-Marathon neben der Betreuung von „München läuft!“ eingebunden, hatte sich sein Debüt auf der 42,195 km langen Distanz sicherlich etwas leichter vorgestellt, denn aufgrund seiner Vorbereitung auf den Transalpine Run über 260 km und 14.000 Höhenmetern, den er zusammen mit dem früheren 10.000 m-Meister Alexander Lubina mit Bravour absolvierte, sah er zumindest eine gute Ausdauergrundlage für das Rennen in seiner Heimatstadt gelegt.

Doch die Kilometer auf Asphalt behagten offensichtlich seiner Wadenmuskulatur nicht, denn er lief gegen Ende des Rennens nach eigenem Aussagen stetig am Limit zum Krampf – auf Rang zwölf in 2:38:48 zu Ende.  

Ob die Zukunft für Sebastian Hallmann auf der Straße liegt, das ist sicherlich angesichts der Erfahrungen auf dem zweiten Streckenabschnitt eher fraglich, schließlich möchte er bereits im kommenden Jahr wiederum bei der ultimativen Mehrtages-Herausforderung quer durch die Alpen wieder dabei sein – und dabei "auf dem Treppchen“ stehen, wie er ehrgeizige Pläne verriet.

Allerdings reizt ihn aber auch schon der Lauf durch seine Heimatstadt: „Ich fand die Begeisterung richtig toll, da lässt sich aber noch mehr machen…“ ganz im Sinne seiner Organisationskollegen, für die er im ersten Jahr seiner Einbindung eher „Mädchen für Alles“ (wie er es nannte) war.

Hinter den beiden „Führungspärchen“ Herrmann/Korir und (zunächst) Hallmann/ Merne Eshete bildete sich eine gute Verfolgergruppe um die Deutschen Marco Bscheidl und Robert Kubisch, den Holländer Casper Koelma und den Franzosen Frederic Gabry. Dahinter noch suchte der Südtiroler München-Marathonsieger von 2005 Hermann Achmüller dennoch seine Chance, die mit zunehmender Streckenlänge aber auch kommen durfte, denn der 100 km-Spezialist rückte schließlich bis auf Platz vier mit 2:32:48 vor und setzte sich damit sogar noch vor den Schützling von Günter Zahn, den für die LG Passau startenden Marco Bscheidl, der im November im deutschen 50 km-Aufgebot für die Weltmeisterschaften steht.

Während das Männerrennen spannend und dennoch mit klarer Rollenverteilung zu Ende ging, war der Ausgang bei den Frauen bis in die Zielkurve im Olympiastadion offen wie selten zuvor – mit dem glücklichen Ende für die Französin Latifa Schuster. Die 35jährige lebt mit ihrem deutschen Mann, der ebenfalls im Marathonfeld im 4-Stunden-Bereich unterwegs war, im Elsass, ist aber häufig bei den Läufen im südwestdeutschen Raum anzutreffen.

Latifa lief zusammen mit Coco Wieland stets an der Spitze – ehe auf den letzten fünf Kilometern das Rennen kippte. Mit verantwortlich war dafür die Hamburgerin Anne Lupke, die resolut die Führung übernahm, die Französin aber nicht abschütteln konnte – und sich dieser letztlich bei einer Siegerzeit von 2:56:20 erst im harten Finale um zwei Sekunden geschlagen geben musste.

„München ist ein genialer Marathon“ freute sich Latifa Schuster im Ziel. Erstaunliches berichtete sie dem Dolmetscher über ihre Vorbereitung, die sie über Unterdistanzen bestritt. „Ja, es stimmt, ich habe im Wettkampf trainiert für den Marathon!“ Auch dieses Konzept ging auf, denn die erzielten 2:56:20 (2:56:08) bedeuten Bestzeit für die Französin.

Apropos Bestzeit. Denn diese dürfen sowohl Anne Lupke als auch Coco Wieland seit dem 31. München-Marathon neu schreiben. Anne steigerte ihre im Frühjahr in Hamburg gelaufene Bestmarke beim nunmehr dreißigsten Marathonlauf ihrer Karriere um knapp eine Minute auf 2:56:10, konnte sich allerdings, durchaus verständlich wegen der hauchdünnen Niederlage, noch nicht so recht über ihre neue Bestmarke freuen.

Umso mehr strahlte Coco Wieland mit der Siegerin um die Wette, denn der bereits 46jährigen aus Ismaning gelang mit 2:57:29 der ersehnte Sprung unter die 3-Stunden-Marke. „Ich habe mich seit meinem ersten Marathon vor sieben Jahren jeweils in München kontinuierlich gesteigert – und nun endlich unter drei Stunden…!“ Die frühere Mountainbikerin hat übrigens erst vor zwei Jahren mit dem Rauchen aufgehört – und offenbar tut ihr die Nikotin-Abstinenz rein läuferisch gut.

Im großen Trubel der Marathonfinisher gingen fast die Erstplatzierten über die halbe Distanz unter.

Etwas angesäuert dabei mit Tobias Schreindl der Marathonsieger 2014. Der Schützling von Günter Zahn war im Olympiapark an den führenden Wondemag Seed Egasso aus Äthiopien herangelaufen, verlor aber kurz vor dem Olympiastadion im dichten Überholmanöver den Kontakt und wurde in 1:07:48 Zweiter.

„Ich wollte schon vor den Deutschen in Frankfurt eine 1:06 laufen. Aber das hat heute nicht sein sollen!“ Auch Benedikt Hoffmann, der Berglauf-Langdistanz-WM-Fünfte dieses Sommers, haderte mit dem verpassten Ziel als Dritter mit einer Endzeit von 1:09:40. „Durch die viele Umfänge habe ich an Schnelligkeit eingebüßt. Ich habe mir heute schon etwas mehr vorgestellt…!“

Bekannte aber auch, dass ihn seit Wochen eine hartnäckige Achillessehnenreizung im Training behindert. Wie Tobias Schreindl wird auch er in drei Wochen beim Frankfurt-Marathon an der Startlinie für die Wertung der Deutschen Meisterschaften stehen.

Bei den Frauen hatte Nora Schmitz vom PTSV Trier in 1:20:25 knapp die Nase vorne, dahinter kamen mit Yvonne Kleiner (1:20:41) und Susanne Ölhorn (1:21:43) zwei bayerische Läuferinnen ins Ziel.

Die 10 km-Distanz entschieden der Spanier Julio del Val Gonzales (31:32) und die Britin Laura Smith (35:43) – und unterstrichen den starken internationalen Charakter des München-Marathon, wenngleich einmal mehr über alle Wettbewerbe hinweg die „local heroes“ die maßgeblichen Akzente zu setzen wussten.   
 
Wilfried Raatz

author: GRR

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