Der elektronische Staffelstab geht von Nico (re.) auf Justin. - Foto: Matthias Thiel
Eine unglaubliche Bereicherung – Matthias Thiel in LAUFZEIT – Die Laufgruppe des USE-SOWAS e.V. läuft an der Ostsee in Dierhagen
Gelebte Inklusion, ziemlich unkompliziert. Die Laufreise einer Berliner Gruppe von Menschen mit psychischen Einschränkungen zeigt, dass Inklusion auch dort funktionieren kann, wo man es vielleicht gar nicht erwartet.
Der Laufsport macht’s möglich. Und das genau dann, wenn alle nur ein ganz klein wenig aufeinander zugehen.
„Ich freu‘ mich so – morgen geht’s endlich los!“ Maximilian lässt seiner Vorfreude vollen Lauf. Er ist einer der vierzehn Starter beim Ostsee-Staffelmarathon in Dierhagen. Nix besonderes? Doch, schon. Zum 4. Mal ist die Laufgruppe des USE-SOWAS e. V. fast eine Woche an die Ostsee gefahren, um als Höhepunkt der Reise an der traditionellen Laufveranstaltung teilzunehmen.
Die Teilnehmer sind Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und damit nicht für den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelbar. Hier springen Einrichtungen wie die USE gGmbH in Berlin ein, um den Betroffenen ein sinnerfülltes Leben mit einer regelmäßigen Arbeit in verschiedenen Berufsfeldern zu ermöglichen. Und wie überall, sind da auch Laufsport-Interessierte dabei.
Der dort angegliederte USE-SOWAS e. V. organisiert seit Jahren einen Lauftreff für diese Beschäftigten, die in ihrer Freizeit ihren Spaß am Laufsport ausleben können. Der Berliner Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Wolfgang Niemczyk, selbst ein eingefleischter Läufer, gründete den Schöneberger Lauftreff „Laufen für die Seele“, der interessierten Patientinnen und Patienten die Möglichkeit anbietet, sich sportlich „auszutoben“. Dr. Niemczyk stellte fest, dass bei einigen der „Mitläufer“ nach einer Zeit des regelmäßigen Laufens die Medikation verringert werden konnte, sie wurden auch geistig merklich leistungsfähiger.
Jahreshöhepunkt mit Wegfahren
Daran anknüpfend sollte ein Höhepunkt für die Läufer*Innen geschaffen werden, ein zusätzlich motivierendes Ziel zum darauf hintrainieren. Der Staffelmarathon an der Ostsee in Dierhagen kam da gerade recht. Hier kann die sportliche Leistung in mindestens Zweier-Teams aufgeteilt werden, und man ist trotzdem einen Marathon gelaufen. Und so eine 5-Kilometer-Staffelrunde schafft von den Lauftrefflern jeder und jede. Also unterzog sich der passionierte Berliner Läufer und USE-Mitstreiter Dietmar Klocke der Mühe, eine knapp einwöchige Reise für die Lauftruppe zu ermöglichen. Und da ist doch einiges mehr zu beachten, um den Belangen der Menschen mit psychischen Einschränkungen gerecht zu werden, und alle, im doppelten Sinne des Wortes, mitzunehmen. Was ist da nicht alles vorzubereiten und zu bedenken?
Überglücklich alle auf dem Strohballen-Siegerpodest – Foto: Matthias Thiel
Beim traditionellen Planungstreff im Schöneberger Café „Pusteblume“ erhalten die Teilnehmer an der Laufreise akribisch vorbereitete Unterlagen mit Skizzen, Beschreibungen, Telefonnummern, damit jeder weiß, was wann und wo passieren wird, immer unterstützt von den beiden „Mitläuferinnen“ Simone Prieß und Manu Milbradt.
Auf die (Deutsche) Bahn und los!
Die Reise startete am Freitag des letzten September-Wochenendes am Berliner Hauptbahnhof. Dank Packliste und Wegbeschreibung sind alle pünktlich vor Ort (außer die Deutsche Bahn). Unterkunft wurde in Graal-Müritz in einer Einrichtung der Caritas bezogen. Dort gab es abends auch einen thematisch passenden Film: „Gold – Du kannst mehr als Du denkst“ erzählt dokumentarisch von die Lebensgeschichten von drei Spitzensportlern: Kirsten Bruhn, querschnittgelähmte Schwimmerin aus Deutschland, Henry Wanyoike, blinder Marathonläufer aus Kenia und Kurt Fearnley, australischer Rennrollstuhlfahrer. Das sozusagen als motivierende Einstimmung auf das Wettkampfwochenende.
Der Samstag diente nach einen Morgenlauf fast komplett der Vorbereitung des Wettkampftages. Wer läuft mit wem in welchem Staffel-Team, wer traut sich vielleicht zwei Staffelrunden zu, wer kümmert sich um die Verpflegung, den Teamzelt-Aufbau und und und. Als entspannenden Abschluss besuchte die ganze Truppe das Freilichtmuseum Klockenhagen.
Thomas und Dietmar – Der harte Abschnitt Ostsee-Sandstrand – Foto: Matthias Thiel
Sonntag, Wettkampftag.
Am Frühstückstisch wurde Nicoles Geburtstag gefeiert und dann ging es schon ab nach Dierhagen. Kurz nach Ankunft stand das Team-Zelt. Mit anrührender gegenseitiger Hilfe pinnten sich alle die Startnummern an, nochmals ging es die Reihenfolge innerhalb der Staffelteams durch. Um 10 Uhr Startschuss. Die 5-Kilometer-Runde ist mit einem Abschnitt Sandstrand „gewürzt“, der allen etwas mehr abverlangt. Die meisten kannten die Strecke schon, trotzdem mussten kleine Unsicherheiten ausgebügelt werden. Sieglinde wurde die erste Runde von Dietmar begleitet, Boris hatte sich kurz verlaufen … all’ das tat dem Elan und der Freude am Event keinen Abbruch. Die Übergabe des elektronischen Staffelstabs klappte immer, jeder, der in Wechselzone ankam, wurde frenetisch gefeiert.
Geschafft: Zufrieden im Ziel. – Foto: Matthias Thiel
Dem Veranstalter, dem Ostseebad Dierhagen, ist es gelungen, die inklusive Laufgruppe nahtlos in die Veranstaltung einzubinden. Auch die die etwas langsameren Walker mussten auf keine Lautsprecheransage verzichten. Bis zum letzten Zieleinlauf war das Orga-Team mit vollem Einsatz dabei. Und voller Stolz ging es für die USE-Truppe auf den Siegerpodest aus Strohballen, auch so eine Dierhägener Besonderheit. Medaille, Urkunde, ein kleines Präsent – die Veranstalter haben hier wirklich emotional „abgerundet“ – für alle! Kathrin Egner, in der Kurverwaltung verantwortlich für Veranstaltungen, bringt ihre Erfahrung mit dem USE-Laufteam auf einen einfachen Nenner: „Die Teilnahme der Laufgruppe um Dietmar Klocke ist für uns hier eine unglaubliche Bereicherung, die wir nicht mehr missen möchten.“
Gibt es da noch etwas hinzuzufügen?
Ja, drei Dinge. Erstens: Alle sind nach zwei weiteren Tagen mit kleinen Entspannungsläufen und Ausflügen wieder gesund und sehr glücklich in Berlin angekommen. Zweitens: Schirmherren der Laufgruppe sind der Berliner Marathongründer Horst Milde und Prof. Dr. med. Andreas Ströhle (Charité). Drittens: Last but not least geht ein Dank an die Gemeinde Kleinmachnow, die den Aktiven die Funktions-T-Shirts im USE-Look gesponsert hat.
Und vielleicht doch noch viertens:
Auch im kommenden Jahr wird es eine solche Reise nach Dierhagen geben, zum kleinen 5-jährigen Jubiläum.
Der Berichterstatter hat sich vorgenommen, die Laufgruppe des USE-SOWAS e. V. dabei tat-, besser laufkräftig, zu unterstützen und in einem Staffelteam mitzulaufen …
Text und Fotos: Matthias Thiel
Erschienen in LAUFZEIT 1/2024. Alle Inhalte sind zu finden unter https://www.laufzeit.de/produkt/laufzeit-ausgabe-1-2024/
https://www.laufzeit.de/produkt/laufzeit-ausgabe-1-2024/
Wenn es gelingt, für unser Aktiv-Reiseformat finanzielle Unterstützer zu gewinnen, dann könnten wir das Laufreise-Projekt auch in Zukunft fortsetzen und es verstetigen.
Bitte unterstützen Sie unser Projekt „Inklusive Laufreise“ mit einer Spende!
Die IBAN der Unionhilfswerk Förderstiftung lautet:
Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE90370205000003229000; BIC: BFSWDE33BER.
Verwendungszweck: Inklusive Laufreise 2024
Ihr Ansprechpartner für Rückfragen beim UNIONHILFSWERK: Martin Bartsch. Selbstverständlich können Sie Ihre Spende steuerlich geltend machen.
Jeder Beitrag hilft!
Die USE-SOWAS-Läuferinnen und Läufer sind davon überzeugt, dass sich die Laufreise nachhaltig und als ein Ansporn zum regelmäßigen Sportreiben ins Gedächtnis bei allen Aktiven einprägen wird. Wir freuen uns schon heute auf eine Neuauflage im nächsten Jahr!
Im Namen der Projektinitiatoren und Lauftreff-Übungsleiter: Simone Prieß, Manuela Milbradt und Dr. Wolfgang Niemcyk
gez. Dietmar Klocke
USE-SOWAS: https://use-sowas.de/
UNIONHILFSWERK: https://www.unionhilfswerk.de/
https://germanroadraces.de/?p=204364